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Mit der Aufgabe des Geschäftsbetriebes kann das Markenrecht nach § 4 Nr 2 verloren gehen. Etwas anderes gilt dann, wenn der Aufgabe des bisherigen Geschäftsbetriebes des Markenrechtsinhabers alsbald die Gründung eines neuen Betriebs folgt und es sich nur um eine vorübergehende Nichtbenutzung der Marke gehandelt hat. Hatte sich das Publikum aufgrund der Verkehrsdurchsetzung der Marke daran gewöhnt, die benutzte Marke auf einen bestimmten Betrieb zu beziehen, ist nicht einzusehen, weshalb sich diese Gewöhnung nicht auf die Herkunft gleichartiger Waren eines neuen Geschäftsbetriebes des Markenrechtsinhabers erstrecken sollte, falls er seinen bisherigen Geschäftsbetrieb aufgegeben hatte, jedoch in der Lage war, kurzfristig einen neuen Betrieb mit Waren oder Dienstleistungen gleicher Art zu eröffnen.
1. Sinn und Zweck der Norm
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Nach § 4 Nr 3 entsteht schließlich der Markenschutz auch durch die gem des Art 6bis PVÜ notorische Bekanntheit einer Marke. Eine Bezeichnung genießt nur dann den Schutz als notorisch bekannte Marke, wenn sie als Mittel zur betrieblichen Herkunftsunterscheidung benutzt worden und bekannt geworden ist. Darüber hinaus soll erforderlich sein, dass das Zeichen im Inland notorisch bekannt ist, eine nur ausländische Notorietät reicht nicht aus (BPatG 26.2.2009 – 32 W (pat.) 125/07, Rn 60, juris – medi – LIVE-talk/medi.eu).
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Der Schutz nach § 4 Nr 3 verlangt das Vorliegen aller Voraussetzungen für eine Marke. Nach der stRspr auch des EuG besteht die wesentliche Funktion der Marke darin, die betriebliche Herkunft der Ware oder der Dienstleistung zu identifizieren, um es dem Verbraucher, der die mit der Marke gekennzeichnete Ware oder Dienstleistung erwirbt, zu ermöglichen, bei einem weiteren Erwerb seine Entscheidung davon abhängig zu machen, ob er gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hat (EuG GRURInt 2010, 50 Rn 23 – Dr. No: Das Gericht verneinte deshalb die markenrechtliche Schutzfähigkeit von einem bloßen Filmtitel und im Zusammenhang damit stehenden Merchandisingartikeln).
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Art 6bis PVÜ, der den Schutz „notorisch bekannter Marken“ vorsieht, wurde 1925 bei der Haager Version in den Pariser Unionsvertrag eingefügt. Er bestimmt, dass die Eintragung einer Marke abzulehnen oder zu löschen ist, wenn sie mit einer Marke verwechselt werden kann, von der im Eintragungsland notorisch feststeht, dass sie bereits einem anderen Verbandsangehörigen gehört und für gleiche oder gleichartige Waren benutzt wird. Die Eintragung des Zeichens als Marke im Ursprungsland ist somit nicht notwendig, auch nicht, dass sie im Eintragungsland benutzt wird. Es reicht aus, dass sie in diesem Land als Kennzeichen gleicher oder gleichartiger Waren des anderen notorisch bekannt ist (vgl Heydt GRUR 1952, 321, 323 mN). § 4 Nr 3 setzt Art 4 Abs 2 lit d MRRL um, weshalb auch hier der Rspr des EuGH sowie des EuG besondere Bedeutung zukommt.
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Ausländische Marken, die im Inland nicht benutzt werden, können bei Vorliegen einer notorischen Bekanntheit im Inland Markenschutz genießen (vgl EuG GRURInt 2010, 50 f Rn 22; BGH GRURInt 1969, 257 – Recrin; LG Hamburg CR 1999, 785 – Animal Planet). Die Bedeutung von § 4 Nr 3 erstreckt sich auf diese ausländischen, im Inland nicht genutzten Marken, die im Inland die erforderliche notorische Bekanntheit aufweisen, da die deutschen notorisch bekannten Marken bereits über § 4 Nr 2 Markenschutz genießen. Nach der Rspr des EuGH bedarf es nicht der notorischen Bekanntheit der Marke im Inland insgesamt sondern lediglich einer Bekanntheit im wesentlichen Teil des Inlands (EuGH GRUR 2008, 70 – Nuno/Franquet).
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§ 4 Nr 3 erweitert die Regelung des Art 6bis PVÜ, weil § 4 Nr 3 nicht nur auf Waren, sondern auch auf Dienstleistungen Anwendung findet, kein grenzüberschreitender Sachverhalt notwendig ist, der Markenrechtsinhaber nicht zu den von der PVÜ geschützten Personengruppe zählen muss und die Marke nicht zusätzlich auch noch in einem anderen PVÜ-Staat geschützt zu sein braucht (OLG Frankfurt Urt v 12.9.2012 – 9 U 36/11, Rn 41, juris; Sack GRUR 1995, 81, 92 mN).
2. Der Begriff der notorischen Bekanntheit
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Über die Beantwortung der Frage, bei Vorliegen welcher Voraussetzungen von einer notorischen Bekanntheit auszugehen ist, herrscht Streit. Während einige Autoren für die Annahme einer Notorietät einen Bekanntheitsgrad von ungefähr 70 % verlangen (vgl Ingerl/Rohnke § 4 Rn 31), begnügen sich andere Autoren mit geringeren Prozentsätzen, wie zB über 63 % (vgl Nölle-Neumann/Schramm GRUR 1966, 70, 81). Weiterhin wurde vertreten, die Voraussetzungen für eine notorische Marke lägen bei einer Verkehrsdurchsetzung gem § 4 Abs 3 WZG vor (vgl Althammer WZG, § 4 Rn 83, 4. Aufl) oder eine erdrückende Mehrheit müsse die Marke kennen, weshalb ein höherer Grad als bei § 25 WZG, ohne allerdings die Voraussetzungen für eine berühmte Marke erfüllen zu müssen, vorliegen sollte (vgl Baumbach/Hefermehl § 4 Rn 150). Die Rspr des BGH verlangte für die Anwendung von Art 6bis PVÜ, dass die für die Annahme einer Verkehrsgeltung notwendige Bekanntheit erheblich übertroffen sein muss (vgl BGH GRURInt 1969, 257 – Recrin; vgl auch Kur GRUR 1994, 330 ff; dies GRUR 1999, 866 ff, die nicht nur für eine mengenmäßige, sondern auch inhaltliche Betrachtungsweise plädiert).
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Eine Bekanntheit von über 50 % sollte aber immer ein bedeutsames Indiz für die Annahme einer Notorietät sein. Nach der Rspr des OLG Frankfurt muss die allgemeine Bekanntheit deutlich über 50 % bestehen, etwa bei 63 %, 70 %, aber nicht unter 60 % (OLG Frankfurt 12.9.2012 – 9 U 36/11 Rn 41, juris mN). Eine demoskopische Erhebung kann nach dieser zuzustimmenden Rspr entbehrlich sein, wenn sich die erforderliche Notorietät aus anderen Umständen zweifelsfrei ergibt (OLG Frankfurt 12.9.2012 – 9 U 36/11 Rn 41, juris).
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Angesichts des Umstandes, dass der Rechtsbegriff der notorischen Bekanntheit ein relatives Eintragungshindernis nach Art 8 Abs 2c UMV darstellt, dessen Interpretation durch den EuGH verbindlich zu erfolgen hat, wird aller Voraussicht nach in der Zukunft der Rspr des EuGH insoweit die entscheidende Bedeutung zukommen. Das Abstellen auf bloße Mengen dürfte nicht mehr genügen; vielmehr könnte auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen sein, nämlich Dauer, Umfang und geografische Ausdehnung des Markengebrauchs und/oder der Markenpromotion, wirtschaftlicher Wert der Marke, der eingeräumte Schutz für die Marke sowie Dauer und geografische Markenregistrierungen oder Eintragungsersuchen, soweit hieraus auf die Bekanntheit oder den Gebrauch der Marke geschlossen werden kann (vgl auch Hacker Rn 81 unter Bezug auf die „Gemeinsame Empfehlung betreffen die Bestimmungen über den Schutz notorisch bekannter Marken“ der WIPO v 29.9.1999 mN, der bei Anwendung dieser Empfehlung eine nicht unerhebliche Ausweitung des Notorietätsschutzes prognostiziert, sollte die Rspr diese Grundsätze anwenden, und Kunz-Hallstein, der diese Empfehlung zur Auslegung des Art 6bis PVU und die diese entwickelnden Bestimmungen des Art 16 TRIPS als grundsätzlich verbindlich für die zuständigen Behörden und Gerichte in Deutschland ansieht, wobei dem Wortlaut der Mehrzahl der Vorschriften die erforderliche inhaltliche Bestimmtheit fehlt: Kunz-Hallstein