IV. Ablauf der Hauptversammlung
6 › I. Allgemeines
I. Allgemeines
6 › I › 1. Verhältnis europäisches Recht – nationales Recht
1. Verhältnis europäisches Recht – nationales Recht
1
Für die Hauptversammlung einer SE bestehen eine Reihe von Rechtsvorschriften im europäischen und im nationalen Recht. Diese werden in der Folge nach ihrem hierarchischen Gefälle behandelt, wobei die SE-VO an erster Stelle steht. Dies ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 SE-VO, in dem das Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander geregelt ist.[1]
1.1 SE-VO
2
In der SE-VO finden sich im Titel III unter Abschnitt 4 „Hauptversammlung“ in den Art. 52–60 die wesentlichen die Hauptversammlung betreffenden Vorschriften.[2] Allerdings enthält nicht jede Vorschrift unmittelbar geltendes Recht. Vielmehr gibt es weitere Instrumente, die sich in
– | Regelungsermächtigungen für den nationalen Gesetzgeber des Sitzstaats, |
– | Subsidiaritätsvorschriften zugunsten des nationalen Rechts und |
– | Spezialverweisungen |
unterscheiden lassen.[3] Wird ein Sachverhalt nicht durch eine dieser Möglichkeiten oder – verordnungskonform – durch die Satzung der SE geregelt, gilt über die Generalverweisung des Art. 9 Abs. 1 c SE-VO nationales Recht.
1.2 Nationales Recht für SE im SEAG aufgrund Regelungsermächtigungen in SE-VO
3
In der SE-VO gibt es – bezogen auf die Hauptversammlung der SE – folgende Regelungsermächtigungen: Art. 54 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 1, 56 und 59 Abs. 2.
4
In Art. 54 Abs. 1 S. 1 SE-VO ist geregelt, dass die Hauptversammlung mindestens einmal im Kalenderjahr binnen sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres zusammentreten muss.[4] Gem. Art. 54 Abs. 1 S. 2 SE-VO können die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass die erste Hauptversammlung bis zu 18 Monaten nach Gründung der SE abgehalten werden kann. Im SEAG befindet sich hierzu keine Regelung; der nationale Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung also keinen Gebrauch gemacht.
5
Gem. Art. 55 Abs. 1 SE-VO besteht eine Regelungsermächtigung für den nationalen Gesetzgeber, nach der für die Einberufung der Hauptversammlung und die Aufstellung ihrer Tagesordnung auf Antrag von einem oder mehreren Aktionären ein niedrigerer Prozentsatz als die in Art. 55 SE-VO festgelegten 10 % bestimmt werden kann. Diese Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber in § 50 Abs. 1 SEAG dahingehend ausgeübt, dass ein Anteil von mindestens 5 % am Grundkapital ausreicht. Diese Vorschrift entspricht § 122 Abs. 1 AktG. Für die SE mit Sitz in Deutschland findet nach h.M. die dreimonatige Vorbesitzzeit gem. § 122 Abs. 1 S. 3 AktG, der auf § 142 Abs. 2 S. 2 AktG verweist, keine Anwendung, da Art. 55 Abs. 1 SE-VO die Voraussetzungen für ein Minderheitsverlangen auf gemeinschaftlicher Ebene abschließend darstellt. Es genüge, wenn das Quorum bei Stellung des Antrags vorliegt.[5]
6
Art. 56 S. 1 SE-VO bestimmt, dass die Ergänzung der Tagesordnung für eine Hauptversammlung durch einen oder mehrere Punkte von einem oder mehreren Aktionären beantragt werden kann, sofern sein/ihr Anteil am gezeichneten Kapital mindestens 10 % beträgt. Gem. Art. 56 S. 3 SE-VO können die Satzungen oder das Recht des Sitzstaats unter denselben Voraussetzungen, wie sie für AG gelten, einen niedrigeren Prozentsatz vorsehen. Hierzu bestimmt § 50 Abs. 2 SEAG, dass es ausreicht, wenn die Ergänzung der Tagesordnung von einem oder mehreren Aktionären beantragt wird, sofern sein oder ihr Anteil 5 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 500 000 EUR erreicht. Diese Vorschrift entspricht § 122 Abs. 2 AktG.
7
Gem. Art. 59 Abs. 1 SE-VO bedarf die Änderung der Satzung eines Beschlusses der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, sofern die Rechtsvorschriften im Sitzstaat der SE keine größere Mehrheit vorsehen oder zulassen.[6] Nach Art. 59 Abs. 2 SE-VO kann jeder Mitgliedsstaat bestimmen, dass abweichend von Abs. 1 die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Hiervon hat der nationale Gesetzgeber Gebrauch gemacht: Gem. § 51 SEAG kann die Satzung der SE bestimmen, dass die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des Grundkapitals vertreten ist. Dies gilt nicht für die Änderung des Gegenstands des Unternehmens,[7] für einen Beschluss zur Verlegung des Sitzes der SE sowie für Fälle, für die eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist.[8]
1.3 Subsidiaritätsvorschriften in SE-VO zugunsten des nationalen Rechts
8
An verschiedenen Stellen ist in der SE-VO bestimmt, dass die Regelung der SE-VO zurücktritt, wenn der Sitzstaat für seine AG abweichende Regelungen getroffen hat. Für die Hauptversammlung gibt es Subsidiaritätsregelungen in Art. 54 Abs. 1, 57 und 59 Abs. 1 SE-VO.
9
Gem. Art. 54 Abs. 1 S. 1 SE-VO muss die Hauptversammlung mindestens einmal im Kalenderjahr zusammentreten, sofern das Recht des Sitzstaats nicht häufigere Versammlungen vorsieht. Dies ist im deutschen Aktienrecht nicht vorgesehen; nach dem Aktiengesetz reicht es aus, einmal im Jahr eine Hauptversammlung durchzuführen. Im Gegensatz zu anderen Verweisungs- und Subsidiaritätsvorschriften spricht der Verordnungsgeber hier von Rechtsvorschriften für „Aktiengesellschaften, die dieselbe Art von Aktivitäten wie die SE betreiben“. Es wird also nicht pauschal auf das im Sitzstaat der SE für AG maßgebliche Recht verwiesen, sondern zusätzlich eine Art Identität des Unternehmensgegenstandes gefordert. Da das deutsche Aktienrecht aber nicht nach Art des Unternehmensgegenstandes differenziert, hat dieser Formulierungsunterschied für eine SE mit Sitz in Deutschland keine Relevanz.
10
Art. 57 SE-VO bestimmt, dass Beschlüsse der Hauptversammlung mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gefasst werden, sofern die SE-VO oder gegebenenfalls das im Sitzstaat der SE für AG maßgebliche Recht nicht eine größere Mehrheit vorschreibt. Abgesehen von der Satzungsänderung, deren Mehrheitserfordernisse auch bei der SE in Art. 59 SE-VO grundsätzlich davon abweichend geregelt sind, gibt es im deutschen Aktiengesetz eine Reihe von Vorschriften, die höhere Beschlussmehrheiten vorsehen. Zu unterscheiden ist hier zwischen dem Erfordernis einer qualifizierten Stimmenmehrheit (z.B. Abberufung der von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag