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Ausgangspunkt des BVerfG war die grundgesetzlich garantierte freie Berufsausübung: Art. 12 Abs. 1 GG schließe die Freiheit ein, das Entgelt für berufliche Leistungen frei auszuhandeln. Das gelte auch für den Beruf des Rechtsanwalts. Der beim Abschluss einer Vergütungsvereinbarung zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lasse regelmäßig auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, der vom Staat zu respektieren sei. Ferner stellten eine Vergütungsvereinbarung, die eine adäquate Vergütung sicherstellen solle, sowie die gesetzliche Vergütung, der insbesondere der Grundsatz einer Mischkalkulation zugrunde liege, ganz unterschiedliche Vergütungskonzepte dar. Die Höhe der gesetzlichen Vergütung könne daher schwerlich zum Maßstab der Angemessenheit der vereinbarten Vergütung gemacht werden.
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Besonders kritisierte das BVerfG, in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle werde nach Überschreiten der Vermutungsgrenze des BGH den Gemeinwohlbelangen pauschal der Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts eingeräumt. Im Einzelfall sei vielmehr – aufgrund der auf die Hauptverhandlung ausgerichteten Gebührenstruktur – noch nicht einmal gesichert, etwa wenn sich die Verteidigung auf umfangreiche Aktivitäten im Ermittlungsverfahren beschränke, dass der Rechtsanwalt mit dem Fünffachen des gesetzlichen Vergütungssatzes auch nur kostendeckend arbeiten könne. Es sei zu besorgen, der Verteidiger werde bei Überschreiten der Grenze nicht mehr die an sich erforderliche Zeit in das Mandat investieren oder gar aus Vergütungsgründen seine Bemühungen in das Hauptverfahren verlagern.
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Folglich, so das BVerfG, werde das Vertrauen des Rechtssuchenden selbst bei einer mehrfachen Überschreitung der gesetzlichen Vergütung dann nicht beeinträchtigt, wenn der Nachweis gelinge, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Leistungen und des Aufwands des Rechtsanwalts sowie den Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers gleichwohl angemessen ist. Die Möglichkeit, diesen Nachweis zu führen, dürfe dem Anwalt nicht genommen werden.
b) Ergebnis
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Dem BVerfG ist zuzustimmen: Eine kaum überwindbare Kappungsgrenze beim Mehrfachen der gesetzlichen Gebühren ist verfassungswidrig und weder zum Vorteil des Mandanten noch des Verteidigers. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben müssen bei der Prüfung der Angemessenheit alle maßgeblichen Umstände Berücksichtigung finden. Das schließt nicht aus, dass die Höhe einer vereinbarten Vergütung unangemessen i.S.d. § 3a Abs. 2 RVG sein kann. Wann dies der Fall ist, kann aufgrund der erforderlichen Einzelfallprüfung nicht generell festgelegt werden. Auch die in § 14 RVG beschriebenen Umstände dürften weiterhin heranzuziehen sein.
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Der BGH reagierte auf die Entscheidung des BVerfG wie Folgt: Es verbleibe bei einer tatsächlichen Vermutung für die Unangemessenheit im Falle der mehr als fünffachen Überschreitung der gesetzlichen Höchstgebühren. Die Entkräftung dieser Vermutung dürfe indes nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht werden. „Als zu berücksichtigende Umstände kommen die Schwierigkeit und der Umfang der Sache, ihre Bedeutung für den Auftraggeber und das Ziel, das der Auftraggeber mit dem Auftrag angestrebt hat, in Betracht. Außerdem ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang dieses Ziel durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden ist, wie weit also das Ergebnis tatsächlich und rechtliche als Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen ist. Ferner sind die Stellung des Rechtsanwalts und die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers in die Bewertung einzubeziehen.“[65] Das bedeutet, der Rechtsanwalt muss die Angemessenheit begründen; d.h., er sollte – gerade bei der Vereinbarung eines Pauschalhonorars – viel Sorgfalt auf die Berechnung gem. § 10 RVG verwenden und detailliert ausführen, welcher Aufwand wofür angefallen ist.[66] Denn diese Rechtsprechung bedingt eine Umkehr der Beweislast. Nachdem eben dieser Dokumentationsaufwand mittels des Pauschalhonorars ja vermieden werden sollte, sollte man von vornherein Stundenhonorare vereinbaren.[67]
Soweit einige Kollegen deshalb vorauseilend alle preisbildenden Faktoren des Einzelfalls in einer Art Präambel der Vergütungsvereinbarung aufnehmen, erscheint das überflüssig. Möglicherweise ist vielmehr zu besorgen, der Mandanten könne dadurch erst verbösert werden, sollten sich nachträglich Umstände in anderem Licht darstellen.
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Nur exemplarisch soll auf einige Entscheidungen hingewiesen werden, in denen die Vergütung als angemessen beurteilt wurde: 1.500 € je Verhandlungstag,[68] 35.000 € in einem Ermittlungsverfahren wegen Betrugs bei einem Aktenumfang von 100 Leitzordnern,[69] 75.000 € für ein erstinstanzliches Verfahren wegen Abrechnungsbetrugs,[70] Stundenhonorar in Höhe von 200 €, 250 €[71] oder 300 €.[72] Das OLG Celle stellte fest, dass Stundensätze von weniger als 150 € nicht mehr angemessen sein dürften, während ein Stundensatz von bis zu 500 € nicht per se unangemessen sei.[73] Das OLG Frankfurt beanstandete Stundesätze bis 500 € bei einer Großkanzlei und ausreichender Aufklärung des Auftraggebers nicht.[74] Ein weiteres Kriterium stellt die Spezialisierung des Verteidigers auf das Wirtschaftsstrafrecht dar, bspw. sei dann jedenfalls ein Stundensatz von 260 € und von 225 €[75] (bzw. 250 €)[76] für einen angestellten Rechtsanwalt nicht zu beanstanden.
Nachdem die Höhe des Stundenhonorars aber immer im Einzelfall beurteilt, und teilweise zusammen mit anderen Kriterien eine Art Gesamtbetrachtung angestellt werden wird,[77] sollte man sich definitv davor hüten, den Arbeitsaufwand künstlich aufzubauschen. Die Erstellung von Inhaltsverzeichnissen, Übersichtstabellen, Zeitskizzen, graphischer Darstellungen oder inhaltlicher Zusammenfassungen wird bei (sehr) umfangreichen Akten hier aber als voll zulässig erachtet. Im Ergebnis wird der Rechtsanwalt mit der verbleibenden Unsicherheit leben müssen.
Anmerkungen
Mayer/Kroiß-Teubel RVG, § 3a Rn. 15.
Burhoff Anm. zu LG Görlitz Urt. v. 1.3.2013 –1 S 51/12, AnwBl. 2013, 939 = StRR 2013, 280, 280; Mayer/Kroiß-Teubel RVG, § 3a Rn. 20.
Schneider/Wolf-Onderka RVG, § 3a Rn. 35; der Adressat muss jedoch mit einer solchen Übermittlung einverstanden sein, was im Zweifel vom Verteidiger zu beweisen ist.
OLG Karlsruhe Urt. v. 28.8.2014 – 2 U 2/14, AGS 2015, 9.
Burhoff Anm. zu BGH Urt. v. 3.11.2011 – IX ZR 47/11, StRR 2012, 117, 118.
Burhoff-Burhoff RVG, Teil A, Vergütungsvereinbarung, Rn. 2206.