sowie eine Verlagerung der Kompetenzen auf die Exekutive einher.[635] Welche Auswirkungen diese Entwicklung im Einzelnen auf das deutsche traditionell rechtsschutzzentrierte Verwaltungsrechtsverständnis, aber auch auf Fragen der demokratischen Legitimation und Kontrolle hat, ist dabei bislang noch nicht abschließend analysiert.
3. Ausblick: Das „Recht auf gute Verwaltung“
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Das Konzept einer stärker politischen Gestaltungsverwaltung hat auf der EU-Ebene seinen jüngsten Ausdruck in der Idee einer „guten Verwaltung“ in Art. 41 GRCh gefunden.[636] Hierbei handelt es sich um ein Grundrecht und damit in ers- ter Linie um eine Gewährleistung zugunsten des Einzelnen; eine Stärkung der EU-Verwaltung[637] als objektiver Garantin der Gemeinwohlverwirklichung, insbesondere auch gegenüber der Rechtsprechung, lässt sich Art. 41 GRCh demgegenüber nicht entnehmen.[638] Da sich die Garantie gerade an die Verwaltung richtet, geht sie aber über den justizzentrierten Art. 6 EMRK hinaus.[639]
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Inhaltlich ist Art. 41 GRCh weniger evolutive Fortentwicklung als vielmehr textlich komprimierte Zusammenfassung verschiedener ungeschriebener, richterlich entwickelter Standards rechtsstaatlicher Verwaltungsverfahren.[640] Die Norm sichert klassische Elemente guter Verwaltungsführung (Begründungspflichten, Anhörungsrechte, Akteneinsichtsrechte, Unparteilichkeit, Zügigkeit) und gewährleistet so Effizienz, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Legitimation von Verwaltungsentscheidungen. Zugleich bestehen über die ergänzend hinzutretenden weichen Faktoren wie Bürgerorientierung, Verwaltungskommunikation und Verwaltungskultur[641] Schnittmengen mit dem objektiv-rechtlichen Konzept europäischer „Good Governance“[642], ohne dass beide Konzepte deckungsgleich wären.[643]
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Das Grundgesetz kennt – anders als ansatzweise manche Landesverfassungen[644] – zwar kein verselbständigtes Grundrecht auf gute Verwaltung.[645] Die einzelnen Facetten des Art. 41 Abs. 2 GRCh[646] sind jedoch im deutschen Recht entweder als verfahrensrechtliche Grundrechtsdimension oder als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gewährleistet und zudem einfachgesetzlich abgesichert. Das Recht auf eine unparteiische und gerechte Behandlung innerhalb einer angemessenen Frist (Art. 41 Abs. 1 GRCh) findet als Basis jedes rechtsstaatlichen Verfahrens etwa Ausdruck in §§ 21, 24 Abs. 2 VwVfG. Den Verfahrensstandards des Art. 41 Abs. 2 GRCh – sprich: Anhörung der Betroffenen[647], Schutz vertraulicher Informationen im Verfahren und Anspruch auf Entscheidungsbegründung – wird durch das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht bereits entsprochen (vgl. §§ 28, 30, 39 VwVfG).[648] Dem Anspruch auf Amtshaftung (Art. 41 Abs. 3 GRCh) korrespondiert das feingliedrig differenzierte, zum Teil ungeschriebene, zum Teil positivierte (z.B. § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG) System des deutschen Staatshaftungsrechts.[649]
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Aufs Ganze gesehen sind von dem Recht auf gute Verwaltung nur begrenzte neue Impulse sowohl für das Unionsrecht[650] als auch für die Grundstrukturen des deutschen Verwaltungsrechts zu erwarten. Lediglich die auf den spezifisch europäischen Kontext zugeschnittene Verbürgung der freien Wahl der Amtssprache (Art. 41 Abs. 4 GRCh in Verbindung mit Art. 24 Abs. 4 AEUV)[651] findet im deutschen Verwaltungsverfahren, in dem Deutsch Amtssprache ist (§ 23 VwVfG),[652] bislang keine Entsprechung. Sie wird auch in Deutschland die Sensibilität für Fragen der Ausübung von Sprachenfreiheit (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)[653] in einem einheitlichen europäischen Rechts- und Verwaltungsraum mit steigender Mobilität der Unionsbürgerinnen und -bürger wachsen lassen.