Das Verwaltungsverfahren in Deutschland ist „einfach, zweckmäßig und zügig“ durchzuführen (§ 10 VwVfG) und in der Regel nicht förmlich. Als Sonderformen existieren nach Maßgabe spezialgesetzlicher Anordnung das förmliche Verwaltungsverfahren (§§ 63ff. VwVfG) und das Planfeststellungsverfahren (§§ 72ff. VwVfG), in dessen Zentrum eine weite Öffentlichkeitsbeteiligung steht.[243] Den meisten Verwaltungsrechtsordnungen Europas sind gesetzlich geregelte besondere Typen des Verwaltungsverfahrens hingegen fremd.[244] Wo es – wie in Frankreich oder Großbritannien – an einer Kodifikation des Verwaltungsverfahrens fehlt, könnte man allerdings auch davon sprechen, dass es so viele Typen von Verwaltungsverfahren gibt wie Verwaltungsentscheidungen.[245]
6. Europäisierung und Anpassungsbedarf
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Der Anpassungsbedarf der einzelnen nationalen Verwaltungsrechtsordnungen im Hinblick auf die Europäisierung fällt naturgemäß unterschiedlich aus. Signifikante Veränderungen haben sich etwa mit Blick auf den Ausbau der Verfahrensrechte sub specie Art. 41 GRCh und 6 EMRK, mit Blick auf den Stellenwert der Prozeduralisierung, im Hinblick auf die Gewichtung von Legalitätsprinzip und Vertrauensschutzgesichtspunkten und bei der Rekonstruktion des Vergaberechts ergeben bzw. zeichnen sich für die Zukunft ab.
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So statuiert Art. 41 Abs. 2 GRCh Ansprüche auf Anhörung, Akteneinsicht und Begründung, die nicht alle nationalen Verwaltungsrechtsordnungen kennen bzw. kannten. Er enthält damit eine Art Mindestgarantie für das Verwaltungsverfahren im europäischen Rechtsraum.[246]
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Da das Unionsrecht zudem stärker als das Verwaltungsrecht der meisten kontinentaleuropäischen Staaten auf Verfahrensförmigkeit und -gerechtigkeit ausgerichtet ist, haben Instrumente wie die Umweltverträglichkeitsprüfung[247] oder der Umweltinformationsanspruch nach der Richtlinie 90/313/EWG den Prozeduralisierungsgedanken in den Mittelpunkt eines modernen unionalen (Umwelt-)Verwaltungsrechts gerückt. Auch mit der Beteiligung der Öffentlichkeit und Instrumenten wie der Verbandsklage[248] tut sich das Unionsrecht leichter als das nach wie vor primär auf materielle Richtigkeit ausgerichtete nationale Verwaltungsrecht.
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Das Unionsrecht misst dem Legalitätsprinzip und mit ihm dem (unionalen) Vollzugsinteresse (Effektivitätsgrundsatz) ein hohes Gewicht zu; zurückstehen darf es grundsätzlich nur, wenn rechtlich geschützte Belange des Vertrauensschutzes seiner Durchsetzung widerstreiten. Das hat in Deutschland, das im Bereich des Vertrauensschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg eingeschlagen hatte, zu einer weitgehenden Überformung der die Rücknahme von Verwaltungsakten regelnden Bestimmungen (§§ 48ff. VwVfG) in unionsrechtlichen Angelegenheiten geführt.[249]
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Im Bereich des Vergaberechts schließlich hat das Unionsrecht vielfach zu einer rechtsstaatlichen Durchdringung und jedenfalls bereichsspezifischen Rekonstruktion des Verwaltungsvertragsrechts gezwungen. Für die meisten nationalen Verwaltungsrechtsordnungen lassen sich heute insoweit spezifische Gesetze nachweisen, die den wesentlichen Grundsätzen des unionalen Vergaberechts – Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und die Anerkennung individueller Rechte der Bieter – Rechnung zu tragen suchen.[250] Diese Europäisierung war so erfolgreich, dass sich mittlerweile die Frage stellt, ob sie nicht eine übermäßige Bürokratisierung des Rechtsgebietes bewirkt hat, die nicht zuletzt auch für das Scheitern mancher Großprojekte verantwortlich zeichnet.
Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VI. Verwaltungsrecht und Demokratieprinzip
VI. Verwaltungsrecht und Demokratieprinzip
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Öffentliche Verwaltung im europäischen Rechtsraum bedarf der demokratischen Legitimation und Kontrolle. Dies setzt – um die Zurechnung der Verwaltungstätigkeit zum Volk zu gewährleisten – typischerweise eine effektive politische Steuerung voraus. In Deutschland, wo dieser Gesichtspunkt in den vergangenen 20 Jahren wohl am intensivsten diskutiert worden ist,[251] verlangt die Rechtsprechung insoweit ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau, das mit Hilfe institutioneller, materieller (sachlich-inhaltlicher) oder personeller Legitimationsmechanismen sichergestellt werden kann[252] und dessen Absenkung, sogenannte Einflussknicks,[253] der Rechtfertigung bedarf.
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Instrumente demokratischer Legitimation und Kontrolle der Verwaltung und ihrer politischen Steuerung sind das Gesetz (dazu unter 1.), das Budget (dazu unter 2.) und die Ausübung von Aufsichts- und Weisungsrechten (dazu unter 3.) sowie der Rückgriff auf sonstige Steuerungsinstrumente (dazu unter 4.). Soweit deren Leistungsfähigkeit in den vergangenen Jahrzehnten nachgelassen hat, bieten sich weitere Instrumente zum Ausgleich von Einflussknicks an (dazu unter 5.).
a) Zentrales Steuerungsinstrument der parlamentarischen Demokratie
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Unverändert ist das Gesetz das wichtigste Instrument zur Steuerung der Verwaltung durch das Parlament. Das parlamentarisch beschlossene Gesetz ist insoweit nicht nur ein Instrument zur Bindung und Beschränkung der Exekutive, sondern auch zur Verwirklichung des demokratisch gebildeten Mehrheitswillens durch die Verwaltung (Legalitätsprinzip, Vorrang des Gesetzes).[254] Je enger das Gesetz das Verwaltungshandeln bindet, je bestimmter es ausfällt (Bestimmtheitsgebot), umso intensiver und präziser ist auch die parlamentarische Steuerung der Verwaltung, umso höher das demokratische Legitimationsniveau ihrer Entscheidungen.[255] Dabei ist Verwaltung, die sogenannte gesetzesakzessorische Verwaltung eingeschlossen, natürlich immer auch eigenständige Konkretisierung des Rechts und insoweit mehr als bloßer Gesetzesvollzug. Diese Einsicht ist allen Verwaltungsrechtsordnungen in Europa vertraut.[256]
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Als zentrales Steuerungsinstrument der Verwaltung in der parlamentarischen Demokratie erhält das Gesetz durch den Vorbehalt des Gesetzes („riserva di legge“) eine noch größere Bedeutung. Ursprünglich auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum bezogen,[257] wurde dieses Institut in Deutschland mit der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten sogenannten Wesentlichkeitsdoktrin seit den 1970er-Jahren auf alle für das Zusammenleben in der Gesellschaft bedeutsamen Fragen ausgedehnt und entsprechende Maßnahmen an eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung gebunden.[258] Das kann im Einzelfall auf einen Parlamentsvorbehalt hinauslaufen und hat der Einsicht den Weg geebnet, dass sich der Vorbehalt des Gesetzes auch unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips (re-)konstruieren lässt.[259] Eine in gewisser Weise parallele, weil den Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes ausdehnende Entwicklung lässt sich für Italien und die Rechtsprechung der Corte costituzionale nachweisen.[260]
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Waren die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und ihre Konkretisierung im Vorrang und im Vorbehalt des Gesetzes ursprünglich ein Produkt des Konstitutionalismus und Kern des Rechtsstaatsprinzips im formalen Sinne schlechthin,[261] so haben sie nach 1945 eine zusätzliche Verankerung im Demokratieprinzip erfahren.[262] Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass auch wesentliche Organisationsentscheidungen wie die Gründung juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder die Beleihung Privater einem institutionellen Gesetzesvorbehalt unterliegen.[263]
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Die Steuerung der Verwaltung durch das Gesetz erfolgt zwar idealtypisch mit Hilfe abstrakt-genereller Regelungen. Der Gesetzgeber kann allerdings auch zur Regelung konkret-individueller Einzelfälle Gesetze erlassen – Maßnahmegesetze (leggi provvedimenti)[264] oder Planungs- und Investitionsmaßnahmegesetze[265]