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Die Wahl der Handlungsform kann etwa für die Zuordnung einer Maßnahme zum öffentlichen oder zum privaten Recht bedeutsam sein. In den Verwaltungsrechtsordnungen, die diese Unterscheidung kennen, bedeutet der Erlass eines Verwaltungsakts immer auch ein Handeln nach öffentlichem Recht, während es bei der Zuordnung von Verträgen oder Realakten einer genaueren Analyse des Rechtsverhältnisses bedarf.[189] So sind etwa die Leistungsbeziehungen im französischen service public typischerweise privatrechtlicher Natur.[190] Mitunter besitzt die Verwaltung Formenwahlfreiheit, Regelungen öffentlich-rechtlich durch Verwaltungsakt oder privatrechtlich durch Vertrag zu treffen.[191]
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Die Kodifikation der Handlungsformen und des Verwaltungsverfahrens gehört zu den wichtigsten Etappen der Entwicklung des Verwaltungsrechts. Vorreiter war insoweit Spanien, das mit der Ley de Bases del Procedimento Administrativo vom 19.10.1889 über die erste europäische Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts verfügte. Nachdem sie zwischenzeitlich durch andere Bestimmungen abgelöst worden war, regelt heute vor allem das Gesetz 30/1992 das Verwaltungsverfahren und wesentliche Teile des Allgemeinen Verwaltungsrechts.[192] Spätere Kodifikationen erfolgten in Österreich 1925,[193] in Polen mit dem – immer wieder novellierten – Verwaltungsverfahrensgesetzbuch von 1960,[194] in der Schweiz mit dem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren von 1968,[195] in Schweden mit dem Verwaltungsgesetz von 1971,[196] in Deutschland mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz von 1977,[197] in Italien mit dem Gesetz 241/1990, in Portugal mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz von 1992[198] und in Griechenland mit dem Gesetz 2690/1999. In Frankreich ist es dagegen bislang noch nicht zu einer Kodifikation von Handlungsformen und Verwaltungsverfahren gekommen,[199] während man in Großbritannien für das Verwaltungsverfahren neben dem Human Rights Act und der EMRK nach wie vor im Wesentlichen auf die Grundsätze des Common Law zurückgreift.[200]
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Jenseits der Rechtsetzung[201] bilden der Verwaltungsakt (dazu unter 1.), der Verwaltungsvertrag (dazu unter 2.), Pläne (dazu unter 3.) und das informale Verwaltungshandeln (dazu unter 4.) die wichtigsten Handlungsformen der Verwaltung. Sie sind jeweils eingebettet in ein mehr oder weniger detailliert ausgestaltetes Verwaltungsverfahren (dazu unter 5.).
1. Verwaltungsakt
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Prototyp verwaltungsrechtlicher Handlungsformen ist der Verwaltungsakt (acte administratif, διοικητικί πράξη, atto amministrativo, Bescheid, Verfügung). Als klassisches Instrument des Verwaltungshandelns steht er für die Befugnis der öffentlichen Verwaltung, Rechte und Pflichten der Bürger durch einseitige Entscheidungen begründen, modifizieren und aufheben zu können.[202] Er kann an eine Einzelperson gerichtet sein (Verwaltungsakt, acte individuel) oder an einen bestimmten Personenkreis (Allgemeinverfügung, acte collectif). Während die deutsche, aber auch die schweizerische Verwaltungsrechtsordnung unter Verwaltungsakten bzw. Verfügungen allein konkret-individuelle bzw. konkret-generelle Regelungen verstehen, wird der Begriff in anderen Verwaltungsrechtsordnungen weiter verstanden. Teilweise werden dort auch normative Akte wie Rechtsverordnungen und Satzungen unter den Begriff des Verwaltungsakts gefasst.[203]
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Der Verwaltungsakt ist sinnfälliger Ausdruck der – im Vergleich zu den anderen Beteiligten an einem Verwaltungsrechtsverhältnis – überlegenen Rechtsmacht der öffentlichen Verwaltung. Vorbehaltlich einer möglichen Aufhebung entfaltet er Tatbestandswirkung (privilège préalable[204]), d.h. er begründet, modifiziert oder beseitigt Rechte und Pflichten der Beteiligten. Dies gilt bis zu seiner Aufhebung durch die Verwaltung[205] oder die (Verwaltungs-)Gerichte in der Regel auch dann, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.[206]
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Der Verwaltungsakt ist typischerweise Grundlage der Verwaltungsvollstreckung,[207] auch wenn die Vollstreckung selbst nur in wenigen Ländern in der Hand der Verwaltung selbst liegt.[208]
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Auch wenn in den vergangenen Jahren andere Handlungsformen der Verwaltung an Bedeutung gewonnen haben und der Verwaltungsakt insoweit ein wenig von seiner konzeptionellen Bedeutung eingebüßt hat, so bleibt er schon aus Gründen der Praktikabilität die mit Abstand wichtigste Handlungsform. Das gilt für die Massenverwaltung des Steuer- oder Sozialrechts ebenso wie für die Bewältigung multipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse mit häufig sehr vielfältigen oder disparaten Interessenlagen, etwa im Fachplanungsrecht.
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Vor diesem Hintergrund muss es verwundern, dass das Unionsrecht seinen „Verwaltungsakt“, die Entscheidung, mit dem Vertrag von Lissabon aus der Reihe der primärrechtlich verankerten Handlungsformen gestrichen und durch das diffuse Instrument des Beschlusses ersetzt hat (Art. 288 Abs. 4 AEUV).
2. Verwaltungsverträge
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Im Gefolge von Ökonomisierung, Privatisierung, De- und Reregulierung hat seit Beginn der 1990er-Jahre das konsensuale Handeln der Verwaltung erheblich an Bedeutung gewonnen. In Frankreich spricht man insoweit von einer „contractualisation du droit administratif“,[209] die für ein neues, partnerschaftliches Zusammenwirken von Staat und Bürger stehen soll, letzteren aus der Unterordnung unter die Verwaltung befreit und Ausdruck einer neuen Art der Verwaltungssteuerung ist, der gouvernance.[210] Unstreitig gehört der Verwaltungsvertrag heute jedenfalls zur Normalität des Verwaltungshandelns in ganz Europa.[211]
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Im Detail bestehen hier allerdings erhebliche Unterschiede. Das beginnt schon bei der Frage, ob es für den Abschluss eines Verwaltungsvertrags, wie in Griechenland oder Österreich, einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf,[212] setzt sich bei der Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verwaltungsverträgen fort, für die in den Verwaltungsrechtsordnungen des Common Law naturgemäß kein Raum ist, und mündet in dem Problem, ob der Verwaltung eine sogenannte Formenwahlfreiheit zusteht, ob sie sich also privatrechtlicher Verträge überhaupt bedienen darf. Schließlich findet sich vor allem in den romanischen Verwaltungsrechtsordnungen wie auch im Unionsrecht[213] die an die deutsche Zwei-Stufen-Lehre erinnernde Konstruktion, nach der dem Abschluss eines Verwaltungsvertrags ein Verwaltungsakt vorausgehen muss, der über die Begründung des Rechtsverhältnisses entscheidet, während der Verwaltungsvertrag dieses dann näher ausgestaltet.[214]
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Verwaltungsverträge bedürfen grundsätzlich der Schriftform.[215]
a) Öffentlich-rechtliche Verträge
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Weitgehende Übereinstimmung besteht insoweit, als öffentlich-rechtliche Verträge einem besonderen Regime unterliegen, das der Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung Rechnung tragen soll und besondere Privilegien und Verpflichtungen beinhaltet.[216] Öffentlich-rechtliche