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Die weitreichenden Befugnisse der genannten Behörden erfordern nicht nur eine gerichtliche Kontrolle, die in der Regel durch Gesetz der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist, sondern auch, soweit sie die Verhängung von Strafen beinhalten, die Berücksichtigung der Grundsätze des Art. 6 Abs.1 EMRK, hier insbesondere die Gewährleistung von Unparteilichkeit.[139] Trotzdem sind die unabhängigen Verwaltungsbehörden keine Gerichte. Auch wenn sie am Rande der Verwaltungsorganisation stehen, deren klassischem Bild sie nicht mehr entsprechen, bleiben sie doch Einrichtungen, die Teil der staatlichen Verwaltung sind.
c) Aufstieg alternativer Methoden zur Beilegung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten
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Mit der Verabschiedung des Gesetzes vom 31.12.1987 lebt das Interesse an der Entwicklung außergerichtlicher Wege zur Streitbeilegung wieder auf. 1991 wurde der Conseil d’État vom Premierminister mit einer Studie über diese Frage beauftragt.[140] In der Sache geht es darum, Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen oder sie beizulegen. Ziel ist es zum einen, die Gerichte zu entlasten. Zum anderen soll dem Gerechtigkeitsgedanken bei der Anwendung von Rechtssätzen stärker Rechnung getragen werden, was den Gerichten nicht möglich ist. Ferner sollen Geld und Zeit gespart werden und Verwaltung und administrés aneinander herangeführt werden. Mechanismen der Mediation, der Schlichtung, des Vergleichs und des Schiedsverfahrens waren im Verwaltungsbereich zwar nicht unbekannt, gegenüber der gerichtlichen Streitbeilegung aber stets von untergeordneter Bedeutung.
aa) Schlichtung und Mediation
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Die Schlichtung (conciliation), die traditionell und bevorzugt im verwaltungsinternen Widerspruchsverfahren erfolgt, tendiert gegenwärtig dazu sich weiter auszubreiten. Denn auch wenn der obligatorische Widerspruch vor Klageerhebung noch die Ausnahme ist, wird, vor allem in Fragen des öffentlichen Dienstes,[141] über seine Ausweitung diskutiert, weil er einen Dialog mit der Verwaltungsbehörde ermöglicht, ohne die Beschreitung des Klagewegs im Anschluss auszuschließen.[142]
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Die Mediation (médiation) ist im Verwaltungsrecht eng mit Bestrebungen verknüpft, das Verhältnis zwischen der Verwaltung und den administrés zu verbessern, wie die 1973[143] geschaffene Einrichtung des médiateur de la République (Bürgerbeauftragter) zeigt. Als unabhängige Einrichtung[144] verfügt er über keine Entscheidungsbefugnisse, ist aber mit Kompetenzen ausgestattet, die ihm Einflussmöglichkeiten eröffnen. Auch wenn er wie der schwedische Ombudsmann, nach dessen Vorbild die Einrichtung konzipiert ist, kein Richter ist, befasst er sich doch, vermittelt durch die Mitglieder des Parlaments, mit Beschwerden der administrés, die ihre Beziehungen zur Verwaltung und deren Funktionsweise betreffen. Hält er eine Beschwerde für begründet, spricht er Empfehlungen aus, wie die bestehenden Schwierigkeiten beseitigt werden können; er ist darüber hinaus berechtigt, Maßnahmen vorzuschlagen, die auf die Abstellung des festgestellten Missstands in der Verwaltung zielen. Mit Blick auf die ausbleibende Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen verfügt er ferner über ein Anordnungsrecht, ohne dass seine Anordnungen verbindlich wären. Schließlich kann er die Änderung einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Rechtsnorm vorschlagen. Um über die Wahrnehmung dieser drei Aufgaben[145] zu berichten, erstattet der médiateur de la République jährlich einen Bericht, der veröffentlicht wird und große Aufmerksamkeit findet. Er kann sich sowohl zu Streitigkeiten äußern, die gerichtlicher Kontrolle zugänglich sind, als auch zu Missständen in der Verwaltung, die keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen, wie etwa zu Fällen, in denen zwar die Rechtsvorschriften beachtet worden sind, es aber zu Ungerechtigkeiten gekommen ist. Sein Handeln basiert daher auch auf gesundem Menschenverstand und Billigkeitserwägungen. Die Motive seines Handelns sind daher von ganz eigener Art und stehen im Gegensatz zu den klassischen Modi der Verwaltungskontrolle.
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Gefördert wurde die Mediation in den Bereichen Filmvorführung (Gesetz vom 29.7.1982 über die audiovisuelle Kommunikation), Bildung (Dekret vom 1.12. 1998) und Post (Dekret vom 26.4.2000). Eine herausgehobene Stellung genießt der Défenseur des enfants, eine unabhängige Behörde, die auf das im Gefolge des New Yorker Übereinkommens über die Rechte des Kindes erlassene Gesetz vom 6.3.2000 zurückgeht. Aufgabe des Défenseur des enfants ist die Verteidigung und Förderung der Rechte der Kinder, die in einem Gesetz oder einem regelkonform ratifizierten oder genehmigten internationalen Abkommen verankert sind. Hinzuweisen ist schließlich auf die noch nicht umgesetzte Einführung eines Défenseur des droits (Hüter der Rechte) durch die Verfassungsänderung vom Juli 2008,[146] die zur Umstrukturierung führen könnte.
bb) Vergleich und Schiedsverfahren
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Der Rückgriff auf den Vergleich (transaction), um einer Streitigkeit vorzubeugen oder sie beizulegen, war lange Zeit infolge der Grundsätze des öffentlichen Rechnungswesens, die eine Zahlung ohne gerichtliche Genehmigung ausschließen, nur eingeschränkt möglich. Seit kurzem ist nun anerkannt, dass Vergleiche von Rechts wegen vollstreckbar sind,[147] was zu einer stärkeren Verbreitung führen dürfte.
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Grundsätzlich ist juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit (arbitrage) verwehrt, da es sich um eine auf einer Abrede beruhende private Gerichtsbarkeit handelt, die sich insoweit von der staatlichen Gerichtsbarkeit unterscheidet. Dieser überkommene Grundsatz, der sich aus Art. 2060 Code civil ergibt, kennt aber gesetzliche und vertragliche Ausnahmen, entweder zugunsten bestimmter juristischer Personen des öffentlichen Rechts (etwa Société national des chemins de fer français – SNCF, Réseau ferré de France – RFF, La Poste) oder zugunsten bestimmter Unternehmen. Der Zugang juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu dieser Form der Streitbeilegung dürfte wohl noch ausgebaut werden. In der Tat hat bereits ein Nachdenken darüber eingesetzt, in welchen Konstellationen und unter welchen Voraussetzungen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Beilegung von rechtlichen Streitigkeiten auf das Schiedsverfahren zurückgreifen können sollen; von vornherein ausgenommen sind lediglich solche, die im Zusammenhang mit einem Verwaltungsakt stehen. Dem insoweit erarbeiteten Bericht aus dem Jahre 2007[148] ist der Regierungsentwurf eines Gesetzes beigefügt, der den Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit generell für alle vertragsrechtlichen Streitigkeiten öffnen soll.
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Verwaltungsrechtliche Beschwerden können jegliches Verwaltungshandeln betreffen. Die Verwaltung tritt ihnen mit ihren allgemeinen Mitteln entgegen, so dass sich ihre Situation nur darin vom normalen Verwaltungshandeln unterscheidet, dass ihr Handeln hier auf eine Initiative des administré und nicht auf ihre eigene zurückgeht. Für bestimmte Beschwerden, die an die Verwaltung gerichtet sind, bestehen allerdings besondere Regeln, so etwa im fiskalischen Bereich oder auch dann, wenn sie an spezialisierte