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Daneben können sich Ausländer im Bereich der für das Strafverfahrensrecht besonders bedeutsamen Justizgrundrechte auf Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG[23] und des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG[24] berufen. Schließlich sind in Bezug auf das Asylgrundrecht aus Art. 16a GG ausschließlich Ausländer Grundrechtsträger.
4. Juristische Personen
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In Strafsachen treten juristische Personen häufig als Einziehungs- und Verfallsbeteiligte auf,[25] wenn sie nicht sogar ausnahmsweise selbst Beteiligte (etwa im OWi-Verfahren) sind. Sie können weiter bei Durchsuchungen von Firmen- oder Büroräumen und anschließender Beschlagnahme[26] eine Rolle spielen. Dies geht soweit, dass natürliche Personen bei der Durchsuchung von Geschäftsräumen darzulegen haben, dass nicht nur die juristische Person in ihren Grundrechten verletzt wird.[27] Auch können juristische Personen durch Straftaten verletzt sein und insofern die Verletzung ihrer Prozessgrundrechte geltend machen.
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Juristische Personen im engeren Sinne sind alle Personen- oder Sachgesamtheiten, deren Mitglieder sich zu einer rechtlich geregelten Organisation zusammengeschlossen haben und welche Träger von Rechten und Pflichten sein können. Dabei kommt es im Einzelfall auf die Natur des gerügten Grundrechts und darauf an, ob und welche Rechte eine Personengruppe nach allgemeinem Recht hat.[28] Die Beteiligtenfähigkeit steht daher in Folge extensiver Auslegung auch anderen rechtsfähigen Personenzusammenschlüssen zu.[29] Das BVerfG hat bei schlüssiger Behauptung einer Rechtsverletzung die Beteiligtenfähigkeit sogar nicht rechtsfähigen privaten Vereinigungen zugesprochen. Juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG sind damit letztlich alle Rechtssubjekte, die Träger von Rechten und Pflichten sein können und zu einer einheitlichen Willensbildung und Willensverwirklichung in der Lage sind.[30]
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Unterschiedliche Behandlung erfahren die so genannten juristischen Personen des Privatrechts und jene des öffentlichen Rechts. Innerhalb der Gruppen ist außerdem zwischen in- und ausländischen juristischen Personen zu differenzieren:
a) Juristische Personen des Privatrechts
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Juristische Personen des Privatrechts mit Sitz im Inland können nach Art. 19 Abs. 3 GG Träger von Grundrechten sein, soweit diese ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Dies soll dann der Fall sein, wenn in der Bildung und Betätigung der juristischen Person die freie Entfaltung der privaten natürlichen Personen ihren Ausdruck findet, die hinter der juristischen Person stehen.[31] Das BVerfG hat dies bisher im Hinblick auf folgende Grundrechte bejaht: Art. 2 Abs. 1 GG,[32] Art. 3 Abs. 1 GG,[33] Art. 4 Abs. 1 GG,[34] Art. 5 Abs. 1 GG,[35] Art. 9 GG[36] Art. 12 Abs. 1 GG,[37] Art. 13 Abs. 1 GG,[38] und Art. 14 Abs. 1 GG.[39]
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Juristische Personen mit Sitz im Unionsgebiet können sich seit dem Cassina-Beschluss[40] wegen des europarechtlichen Diskriminierungsverbots ebenfalls auf die Grundrechte des Grundgesetzes berufen. Dies soll selbst für ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten.[41]
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Nicht in Betracht kommen hingegen – jedenfalls nach bisheriger Dogmatik – Grundrechte, welche als Ausdruck der Individualität und Körperlichkeit einer natürlichen Person gelesen werden, wie die Menschenwürde, das Recht auf Leben und körperliche Gesundheit[42] oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG. Das hat vor allem wegen der Versagung des Schutzes durch den Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare für juristische Personen erhebliche praktische Bedeutung[43] – und ist weder dogmatisch zweifelsfrei begründet noch verfassungsrechtlich geboten.[44] Die dogmatische Entwicklung der Judikatur hinkt hier besonders in Kartell- und Ordnungswidrigkeitenverfahren einem ersichtlichen Schutzbedürfnis hinterher.
b) Juristische Personen des öffentlichen Rechts
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Im Strafrecht tritt der Staat zumeist in Gestalt der Staatsanwaltschaft oder durch Polizei- und Justizvollzugsbehörden auf. Die Ermöglichung einer Verfassungsbeschwerde in Strafsachen wäre also der geradezu klassische Fall des staatlichen Insichprozesses.[45] Indes können juristische Personen des öffentlichen Rechts Verletzte von Straftaten sein, bspw. bei einer Beleidigung (vgl. § 194 Abs. 3 Satz 2, 3, Abs. 4 StGB). Sie besitzen jedoch auch hier grds. keine Grundrechtsfähigkeit.[46] Die Grundrechte sind bekanntlich in der Sicht der klassisch-liberalstaatlichen Lehren in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Innerstaatliche Kompetenzkonflikte sollen nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde ausgetragen werden.[47]
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Für Auseinandersetzungen in diesem Bereich sind spezifische Rechtsbehelfe vor dem BVerfG vorgesehen, wie etwa das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und der Bund-Länder Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG. Es steht demnach das Recht zur Verfassungsbeschwerde juristischen Personen nicht zu, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen.[48] Das soll nicht nur für die Eingriffsverwaltung, sondern auch für den weiten Bereich der Daseinsvorsorge gelten. Juristischen Personen des Privatrechts, welche sich ausschließlich oder in Form der Mehrheitsbeteiligung im Besitz der öffentlichen Hand befinden, soll ebenfalls die Berufung auf Grundrechte verschlossen bleiben.[49]
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Von dem Grundsatz der fehlenden Beschwerdefähigkeit macht das BVerfG jedoch dann Ausnahmen, wenn die juristische Person bei der Wahrnehmung der Rechte zugleich einem grundrechtlich geschützten Bereich zuzuordnen ist, also in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage betroffen wird. Das ist bejaht worden für Rundfunkanstalten,[50] Universitäten[51] sowie Kirchen und andere Religionsgemeinschaften.[52]
c) Sonderfall Prozessgrundrechte
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Daneben ist anerkannt, dass sowohl inländische als auch ausländische[53] juristische Personen des Privatrechts, aber auch solche des öffentlichen Rechts die Verletzung der Justizgrundrechte aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG geltend machen können.[54] Auf sie muss sich berufen können, wer nach den einschlägigen Prozessnormen parteifähig ist, denn es handelt sich um objektive Verfahrensgrundsätze, die jedem zugutekommen sollen, der Beteiligter an einem Verfahren bzw. unmittelbar durch eine Verfahren betroffen sein kann.[55] Dies gilt für den Staat jedenfalls dann, wenn er in Verwirklichung des Gewaltenteilungsgrundsatzes wie jede andere juristische Person richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen ist. [56] Folgerichtig kommt eine Verfassungsbeschwerde der Staatsanwaltschaft auch über diese Erweiterung nicht in Betracht, da sie im strafrechtlichen Ausgangsverfahren gerade nicht der Strafgewalt des Gerichtes unterliegt, sondern diese (mit) ausübt.[57]
Teil 2 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde