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In der Rechtsprechung des BGH sind mit Dierlamm[97] folgende acht Kriterien Anhaltspunkte für die Annahme einer faktischen Organstellung:[98]
– | (1) Bestimmung der Unternehmenspolitik, |
– | (2) Unternehmensorganisation, |
– | (3) Einstellung von Mitarbeitern, |
– | (4) Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, |
– | (5) Verhandlung mit Kreditgebern, |
– | (6) Gehaltshöhe, |
– | (7) Entscheidungen in Steuerangelegenheiten, |
– | (8) Steuerung der Buchhaltung. |
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Groß sieht in der BGH-Rechtsprechung unter Berufung auf BGHSt 31, 118 noch das weitere Merkmal der „völligen Identifikation mit der Gesellschaft“,[99] dem jedoch schon angesichts seiner subjektiven Prägung nicht allzu viel Bedeutung beigemessen werden sollte, zumal – so Groß selbst – es jenem an hinreichender Unterscheidungskraft fehlt.[100]
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Das BayObLG geht in Anlehnung an Dierlamm[101] davon aus, dass eine faktische Organstellung nur dann angenommen werden kann, wenn von den o. g. acht Kriterien mindestens sechs erfüllt sind.[102] Demgegenüber wird vielfach auf eine erforderliche Gesamtschau abgestellt.[103]
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Hinweis
Die Ermittlungsbehörden neigen insbesondere dann, wenn aus ihrer Sicht eine „starke“ Persönlichkeit ohne Organfunktion das „äußere Erscheinungsbild“ einer Gesellschaft (mit-)prägt, zur Annahme einer faktischen Organstellung. Vergessen wird hierbei allzu oft, dass solch „starke Auftritte“ auch andere – zuweilen in der Psychologie des Handelnden begründete – Ursachen als eine faktische Organstellung haben kann. Die Kriterien des BGH geben die Möglichkeit, sich mit dieser oft subjektiv geprägten Einschätzung der Ermittler anhand objektiver Anknüpfungspunkte auseinanderzusetzen; insbesondere wenn der Verteidiger bzw. Berater sich auf die „Sechs aus Acht“-Rechtsprechung des BayObLG (s.o.) bezieht, ergibt sich hier vielfach die Möglichkeit die vorschnelle Annahme einer faktischen Organstellung zumindest hinreichend zu erschüttern.
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Zu beachten ist schließlich, dass nach der Rechtsprechung des BGH neben dem faktischen Geschäftsführer auch der formal bestellte („Strohmann“-)Geschäftsführer der vollen strafrechtlichen Haftung unterliegen kann.[104] Er kann sich aber nach den Grundsätzen der Delegation seiner Arbeitgeberpflichten ggf. exkulpieren.[105] Nach anderer Auffassung kommt der Scheingeschäftsführer, welcher im Innenverhältnis nicht über die Kompetenz zur Einflussnahme verfügt, nicht als tauglicher Täter in Betracht.[106]
Anmerkungen
BT-Drucks. 5/1319, S. 62; AnwK-StGB/Tsambikakis/Kretschmer § 14 Rn. 1 f.
Ignor/Mosbacher/Venn § 12 Rn. 1; vgl. auch Eidam Kap. 5 Rn. 308; Fleischer/Spindler § 15 Rn. 3.
So die h.M., vgl. nur SK-StGB/Hoyer § 14 Rn. 24; NK-StGB/Böse § 14 Rn. 12; Schönke/Schröder/Perron/Eisele § 14 Rn. 8.
So MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54 m.w.N.
Schönke/Schröder/Perron/Eisele § 14 Rn. 9; MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54.
MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54; Gallas ZStW 80 (1968), 1, 22 f.; Schönke/Schröder/Perron/Eisele § 14 Rn. 9; LK/Schünemann § 14 Rn. 40; NK-StGB/Böse § 14 Rn. 13.
RGSt 25, 266, 270; BGHSt 6, 260, 262; Schönke/Schröder/Perron/Eisele § 14 Rn. 10/11.
MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Raum Kap. 4 Rn. 9.
Vgl. hierzu die Darstellung unter 1. Kap. Rn. 32 ff.
Ignor/Mosbacher/Venn § 12 Rn. 1; vgl. auch Göhler-OWiG/Gürtler § 9 Rn. 6; MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 56.
MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54.
Müller-Gugenberger/Schmid/Fridrich § 30 Rn. 82.
MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 54; LK/Schünemann § 14 Rn. 40; NK-StGB/Böse § 14 Rn. 13.
Die Zurechnung nach § 14 StGB bzw. § 9 OWiG lässt, wie dem Wort „auch“ in Abs. 1 und Abs. 2 zu entnehmen ist, die Verantwortlichkeit des Vertretenen unberührt. Selbstverständlich müssen bei dem Vertretenen die übrigen Strafbarkeits- bzw. Bebußbarkeitsvoraussetzungen vorliegen. Daran fehlt es mangels Handlungs- und Deliktsfähigkeit bei Personenverbänden.
Die nachfolgenden Ausführungen gelten demnach ebenso für § 9 OWiG, auch wenn dieser nicht ausdrücklich erwähnt wird.
MK-StGB/Radtke § 14 Rn. 76; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn. 42.