b) Sonstige Aufgaben (§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB, § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG)
170
In § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB ist der Fall normiert, dass ein ausdrücklicher Auftrag zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung betrieblicher Aufgaben erteilt wurde. Diese beauftragten Personen können sowohl Betriebsangehörige als auch außenstehende Dritte sein.[65] Zudem kann eine juristische Person Zurechnungsadressat sein.[66] Nach Abs. 2 S. 3 findet S. 1 sinngemäß Anwendung auf Beauftragte einer Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Erforderlich ist, dass die Beauftragten mit Aufgaben betraut werden, die dem Inhaber des Betriebes obliegen.[67]
171
Die Beauftragung muss ausdrücklich durch den Betriebsinhaber selbst oder einen sonst dazu Befugten erfolgen.[68] Ein solcher Auftrag kann auch formfrei erteilt werden.[69] „Er muss jedoch zweifelsfrei erfolgen und ausreichend konkret sein, damit für den Beauftragten das Ausmaß der von ihm zu erfüllenden Pflichten eindeutig erkennbar ist.“[70] Durch das Erfordernis einer „ausdrücklichen“ Beauftragung soll auch verhindert werden, „dass in einem Betrieb die Verantwortung zu leicht auf einen anderen abgewälzt wird“.[71]
Die strengen Anforderungen an eine ausdrückliche Beauftragung i.S.d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB fasst der BGH in seinem Beschluss vom 12.9.2012 anschaulich wie folgt zusammen:[72]
„Entscheidend ist […], dass gesetzliche Arbeitgeberpflichten in die eigenverantwortliche Entscheidungsgewalt des Beauftragten übergehen […]. Im Rahmen einer solchen Prüfung kann indiziell auch von Bedeutung sein, ob der Betrieb aufgrund seiner Größe überhaupt eine personelle Aufteilung der Verantwortlichkeitsbereiche erforderlich macht. In diesem Sinne kann auch der Gedanke der Sozialadäquanz der Beauftragung herangezogen werden […]. Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB führt nämlich zu einer jedenfalls partiellen Verlagerung strafbewehrter Pflichten vom primär zuständigen Organ auf nachgeordnete Mitarbeiter […]. Deshalb darf auch nicht ohne weiteres von der Übertragung von Leitungsbefugnissen auf die Begründung einer Normadressatenstellung geschlossen werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob – wie etwa im Hinblick auf die betriebliche Struktur oder die Vorerfahrungen der handelnden Personen – eine sachliche Notwendigkeit für eine derart weitgehende Aufgabenübertragung bestanden haben könnte. Je weniger eine solche erkennbar ist, umso ferner liegt es, eine Übertragung genuiner Arbeitgeberpflichten anzunehmen. Die sinnvolle Aufgabenabschichtung zwischen Organ und Beauftragtem liegt dem Tatbestand des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Grundidee zugrunde […], weil es für den Beauftragten regelmäßig nur unter dieser Voraussetzung möglich sein wird, im Aufgabenbereich des eigentlichen Organs selbstständig zu handeln […]. Fehlt dem mit solchen Aufgaben Betrauten die eigene Entscheidungsfreiheit, dann handelt er nicht wie ein organschaftlicher Vertreter, sondern allenfalls als dessen Gehilfe.“
4. Handeln „als“ Vertreter bzw. „auf Grund“ des Auftrags
172
Die Zurechnungstatbestände des § 14 StGB setzen ein Handeln des Betroffenen „als“ Organ bzw. Vertreter (Abs. 1) oder „auf Grund“ des erteilten Auftrags (Abs. 2) voraus. Daran fehlt es jedenfalls, wenn der Vertreter nur „bei Gelegenheit“ handelt.[73] Im Übrigen ist umstritten unter welchen Umständen von einem statusbezogenen Vertreterhandeln auszugehen ist.[74] In der strafgerichtlichen Rechtsprechung dominierte lange die sog. Interessentheorie.[75] Danach müsse der Zurechnungsadressat „wenigstens auch im Interesse des Vertretenen“ gehandelt haben, was nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sei.[76] Ist das Verhalten des Organs bzw. Vertreters dagegen allein durch Eigeninteressen motiviert, fehle der Vertretungsbezug; ein die Anwendbarkeit von § 14 ermöglichendes Handeln „als“ Vertreter bzw. „auf Grund“ des Auftrags liege dann nicht vor.[77] Nach der in der strafrechtlichen Literatur – in verschiedenen Variationen – vertretenen Funktionstheorie soll es hingegen nicht auf die Eigennützigkeit der Motivation ankommen, sondern auf einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Handlung des Vertreters und seinem Aufgaben- und Pflichtenkreis, den er wahrzunehmen hat.[78] Danach muss sich die Tathandlung objektiv auf den Funktionsbereich des Vertreters beziehen, gleichgültig, welche Zwecke der Handelnde damit subjektiv verfolgt.[79] Daneben muss das von Radtke entwickelte sog. Zurechnungsmodell Erwähnung finden, wonach rechtsgeschäftliches Handeln im Namen des Vetretenen zur Zurechnung führt.[80]
173
Der 3. Strafsenat des BGH hat – zunächst im Rahmen eines obiter dictums – in seiner Entscheidung (zu §§ 283 ff. StGB) vom 10.2.2009 eine Abkehr von der Interessenformel vollzogen.[81] Vielmehr erscheine es geboten, „maßgeblich daran anzuknüpfen, ob der Vertreter i.S.d. § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist.“[82]
174
Hierzu heißt es weiterhin in der Entscheidung:[83]
„Dies wird bei rechtsgeschäftlichem Handeln zu bejahen sein, wenn der Vertreter entweder im Namen des Vertretenen auftritt oder letzteren wegen der bestehenden Vertretungsmacht jedenfalls im Außenverhältnis die Rechtswirkungen des Geschäfts unmittelbar treffen […]. Gleiches gilt, wenn sich der Verletzte zur Erfüllung seiner außerstrafrechtlichen, aber gleichwohl strafbewehrten Pflichten […] eines Vertreters bedient […]. Bei faktischem Handeln muss die Zustimmung des Vertretenen – unabhängig von der Rechtsform, in der dieser agiert – ebenfalls dazu führen, dass der Vertreter in seinem Auftrag handelt und ihm die Schuldnerstellung zugerechnet wird […].“
175
In einer Folgeentscheidung vom 1.9.2009 hat der 1. Strafsenat ausgeführt, dass er ebenfalls zu einem „Abschied von der Interessentheorie“[84] neige.[85] Auf eine Anfrage des 3. Senats am 15.9.2011[86] haben alle Strafsenate mitgeteilt, dass sie nicht mehr an der früheren Rechtsprechung festhalten werden.[87] Daraufhin hat der 3. Strafsenat mit seiner Entscheidung vom 15.5.2012 die Interessentheorie aufgegeben und neigt nunmehr dazu, auf das Tätigwerden des Vertreters im Geschäftskreis des Vertretenen abzustellen.[88] Diese Entwicklung mag rechtsdogmatisch zu begrüßen sein, führt aber gleichwohl zu einer gewissen Rechtsunsicherheit,[89] da die vom BGH letztlich nur skizzierten Kriterien[90] noch nicht durch eine entsprechende Kasuistik mit Leben für den Praktiker gefüllt sind. Eine ausdrückliche Positionierung zwischen Funktions- und Zurechnungstheorie hat der BGH bisher jedenfalls nicht vorgenommen.[91]
a) Faktische Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 Abs. 3 StGB, § 9 Abs. 3 OWiG
176
Durch § 14 Abs. 3 StGB wird klargestellt, dass Abs. 1 und 2 auch dann anzuwenden sind, wenn die Organbestellung bzw. Beauftragung fehlerhaft und damit unwirksam ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Abs. 3 der § 14 StGB, § 9 OWiG wird der Anwendungsbereich der jeweiligen Absätze 1 und 2 allerdings nur auf solche Fälle erweitert, in denen die Rechtshandlung unwirksam ist, „welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte“, wie z.B. bei Nichtbeachtung einer Formvorschrift oder Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen. Faktischer Vertreter i.S.d. Abs. 3 ist demnach nur der fehlerhaft bestellte Vertreter, wobei die tatsächliche Ausübung der fraglichen Funktion vorausgesetzt wird.[92]
b) Die Rechtsfigur des faktischen Organs
177
Die Rechtsfigur des faktischen Organs wurde (zunächst im Hinblick auf den Geschäftsführer einer GmbH) ursprünglich im Zivilrecht entwickelt; sie ist mittlerweile fester Bestandteil der strafrechtlichen