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Besondere Bedeutung hat die Frage der Befangenheit bei Entscheidungen oder Äußerungen des Richters im Rahmen von Verständigungen erlangt. Die Drohung mit der Sanktionsschere, die im Einzelfall auch die Grenze zur Aussageerpressung überschreiten kann,[57] stellt in jedem Fall einen Ablehnungsgrund dar.[58] Dasselbe gilt für die Ankündigung einer Erhöhung der schuldangemessenen Strafe für den Fall, dass der Angeklagte kein Geständnis ablegt.[59] Auch Absprachen mit anderen Verfahrensbeteiligten können die Befangenheit begründen. Ist die Hauptverhandlung durch die Konfrontation von Mitangeklagten geprägt, die sich gegenseitig falsche Sacheinlassungen vorwerfen, und sichert das Gericht dem einen Angeklagten bei einem „umfassenden, glaubhaften“ Geständnis eine bestimmte Strafe zu, ohne den gegen die Glaubhaftigkeit des Mitangeklagten gerichteten Beweisanträgen der Verteidigung Bedeutung zuzumessen, und trennt es daraufhin das Verfahren gegen den Mitangeklagten ab, so kann diese Verfahrensweise die Befangenheit der beteiligten Richter begründen, da der Angeklagte von einer bereits abgeschlossenen Meinungsbildung zum Sachverhalt ausgehen muss.[60] Haben Erörterungen mit einzelnen Verfahrensbeteiligten stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei ergebnislosem Verlauf die übrigen Beteiligten umfassend hierüber informieren. Tut er dies nicht, liegt die Besorgnis der Befangenheit nahe.[61]
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Die richterliche Vorbefassung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung wird (allerdings unter Missachtung einfachster psychologischer Überlegungen!)[62] von der herrschenden Meinung in der Regel nicht als Befangenheitsgrund angesehen,[63] wenn nicht besondere Gründe hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen.[64] So ist ein Richter nicht allein deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung des Richteramts in einer vom Revisionsgericht zurückverwiesenen Sache ausgeschlossen, weil er bereits an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatte.[65] Auch die Verurteilung eines Mittäters wegen derselben Straftat macht nach dieser Auffassung den Richter nicht voreingenommen.[66] Dies gilt auch dann, wenn Verfahren gegen Mitbeschuldigte aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung abgetrennt wurden und anschließend ein Schuldspruch wegen Beteiligung an später abzuurteilenden Taten erfolgt.[67] Etwas anderes muss aber jedenfalls dann gelten, wenn die Gründe des früheren Urteils mangelnde Objektivität befürchten lassen,[68] weil es unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten enthält,[69] oder weil der frühere Mitangeklagte darin als glaubwürdig und der jetzige Angeklagte deshalb als unglaubwürdig bezeichnet worden ist.[70]
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Auch rechtsfehlerhafte Entscheidungen rechtfertigen nicht per se die Annahme der Befangenheit.[71] Etwas anderes gilt bei der Äußerung von völlig abwegigen oder den Anschein der Willkür erweckenden Rechtsauffassungen,[72] insbesondere wenn ein Verstoß gegen das Willkürverbot rechtskräftig durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt worden ist.[73] Auch die kategorische Weigerung des Richters, ohne sachlichen Grund einem Terminverlegungsantrag der Verteidigung zu entsprechen, kann die Besorgnis der Befangenheit begründen.[74] Dasselbe gilt für den Fall, dass der abgelehnte Richter objektiv falsche Angaben zur Terminslage der Kammer macht, um seinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu kaschieren.[75] Die Besorgnis der Befangenheit ist auch berechtigt, wenn der abgelehnte Richter wegen eines Verteidigerwechsels während laufender Hauptverhandlung[76] oder unter Hinweis auf konfrontatives Verhalten im Prozess einen Haftbefehl erlässt.[77] Dasselbe gilt, wenn der abgelehnte Richter sich weigert, einen über Monate untätigen Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten zu entpflichten, und trotz der Tatsache, dass der Verteidiger seinen Mandanten in der Hauptverhandlung das erste Mal sieht, diesen für „ordnungsgemäß verteidigt“ bezeichnet.[78]
c) Ablehnungsberechtigte
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Gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 steht das Ablehnungsrecht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu.[79] Kein eigenes Ablehnungsrecht hat der Verteidiger. Zwar ist nach allgemeiner Meinung eine Richterablehnung durch den Verteidiger dahingehend auszulegen, dass dieser für den Angeklagten handelt,[80] auch wenn es um Vorgänge geht, die das Verhältnis zwischen Verteidiger und Richter betreffen.[81] Der Verteidiger sollte sich allerdings, bevor er einen Ablehnungsantrag stellt, mit dem Angeklagten besprechen und sich vergewissern, dass dieser mit seinem Vorgehen einverstanden ist. Wegen des fehlenden Antragsrechts des Verteidigers sind Spannungen zwischen ihm und dem Richter im Allgemeinen auch nicht geeignet, die Befangenheit zu begründen,[82] es sei denn, dass aus dem Verhalten des Richters gegenüber dem Verteidiger auf die Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten zu schließen ist.[83]
d) Zeitpunkt der Ablehnung
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Sind dem Angeklagten die Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, bereits bei Beginn der Hauptverhandlung bekannt, so kann der Ablehnungsantrag nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse gestellt werden (§ 25 Abs. 1). Nach diesem Zeitpunkt ist der Antrag nur zulässig, wenn die Gründe dem Angeklagten erst später bekannt geworden sind und die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird (§ 25 Abs. 2). Endgültig nicht mehr zulässig ist die Ablehnung nach dem letzten Wort des Angeklagten (§ 25 Abs. 2 S. 2). Aus diesem Grund können Äußerungen des Vorsitzenden zum letzten Wort des Angeklagten („Ich bin unschuldig.“ – „Das werden Sie gleich sehen!“) nicht mehr zum Gegenstand eines Befangenheitsantrages gemacht werden.[84]
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Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich geltend gemacht, wenn es so bald wie möglich, d. h. ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung, angebracht wird.[85] Bei neu eingetretenen oder bekannt gewordenen Umständen ist die Kenntnis des Angeklagten und nicht die seines Verteidigers maßgebend.[86] Dies gilt selbst dann, wenn die Kenntnisnahme durch den Verteidiger schuldhaft verspätet ist.[87] Wenn der Verteidiger früher als sein Mandant Kenntnis erhält, schadet es diesem nicht. Es kommt ihm aber auch nicht zugute, wenn das später der Fall ist.[88] Auch wenn grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist,[89] so muss doch dem Angeklagten stets eine gewisse Überlegungsfrist und ausreichend Zeit zum Abfassen des Gesuchs eingeräumt sowie Gelegenheit zu einer Besprechung mit dem Verteidiger gegeben werden.[90] Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Frist bei dem in Untersuchungshaft, womöglich in auswärtiger Haftanstalt befindlichen Angeklagten, großzügiger zu bemessen ist als bei dem auf freien Fuß befindlichen Angeklagten, der seinen Verteidiger ohne Mühe zu einer kurzen Besprechung aufsuchen kann. Entsteht der Ablehnungsgrund während einer Beweiserhebung in der Hauptverhandlung, so kann der Verteidiger deren Ende abwarten, bevor er den Antrag stellt.[91] Es darf auch eine Weile zugewartet werden, um festzustellen, ob sich der Eindruck der Befangenheit im Laufe der Hauptverhandlung verfestigt.[92] Wird die Sitzung