BGHSt 11, 131.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 4. Rüge der funktionellen Zuständigkeit
4. Rüge der funktionellen Zuständigkeit
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Auch die funktionelle Zuständigkeit prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen, danach nur noch auf Einwand des Angeklagten. Zum spätest möglichen Zeitpunkt gilt das bei der Rüge der örtlichen Zuständigkeit Gesagte. Hält das Gericht die rechtzeitig geltend gemachte Rüge für begründet, verweist es die Sache durch Beschluss gemäß § 270 Abs. 1 S. 1, 2 an das zuständige Gericht.
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Muster 4 Rüge der funktionellen Zuständigkeit
An das
Landgericht
…
In der
Strafsache gegen …
rüge ich namens und in Vollmacht des Angeklagten die funktionelle Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer und beantrage gemäß § 270 Abs. 1 S. 2 StPO die Verweisung an die zuständige Wirtschaftsstrafkammer.
Die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer ergibt sich aus § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG. Auch wenn dem Angeklagten im vorliegenden Fall lediglich ein fortgesetzter Betrug in Tateinheit mit Untreue vorgeworfen wird, so sind doch zur Beurteilung der Sache besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich. Wie sich aus der Anklageschrift ergibt, wirft die Staatsanwaltschaft meinem Mandanten gerade den „raffinierten Missbrauch“ der schwer zu durchschauenden Mechanismen des Wirtschaftslebens vor. Zur Beurteilung dieses Vorwurfs ist daher nach dem Gesetz die Wirtschaftsstrafkammer berufen.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 5. Taktische Überlegungen
5. Taktische Überlegungen
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Ob der Verteidiger die Zuständigkeitsrüge erhebt, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Jeder Angeklagte wird es vorziehen, vom unzuständigen Gericht eine zweijährige Bewährungsstrafe zu erhalten anstatt vom zuständigen Richter eine dreijährige Freiheitsstrafe. Der Blick des Verteidigers sollte also immer darauf gerichtet sein, welche Folge seine Zuständigkeitsrüge zeitigt. Er muss wissen, an welches Gericht die Sache gelangen wird, falls seine Rüge Erfolg hat bzw. wohin eine neue Anklage erhoben wird, falls sein Einwand zu einem Einstellungsurteil führt. Hier hilft nur das Studium der Geschäftsverteilungspläne weiter und, falls der Verteidiger die im „Erfolgsfalle“ zuständigen Richter nicht kennt, eine Erkundigung bei Kollegen. Zu bedenken ist auch, dass eine durchgreifende Zuständigkeitsrüge in der Regel zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führt. Besonders bei inhaftierten Mandanten kann dies ein ausschlaggebender Gesichtspunkt sein. Selbstverständlich müssen alle diese Umstände bereits vor der Hauptverhandlung abgewogen und mit dem Mandanten besprochen werden. Der Verteidiger darf auf keinen Fall der Versuchung nachgeben, wegen einer noch so begründeten Rüge die Mandanteninteressen hintanzustellen.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 1. Allgemeines
1. Allgemeines
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Mit der Besetzungsrüge kann der Angeklagte geltend machen, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt und er selbst damit seinem gesetzlichen Richter entzogen. Die Rüge steht in engem Zusammenhang mit § 338 Nr. 1, wonach in einem solchen Fall grundsätzlich ein absoluter Revisionsgrund vorliegt. Für die Verhandlung beim Amtsgericht gilt dies uneingeschränkt. War dagegen nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, soweit entweder die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, der form- und fristgerechte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen, ein Unterbrechungsantrag nach § 222a Abs. 2 abgelehnt worden ist oder das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit es nach § 222b Abs. 2 S. 2 festgestellt hat. In allen anderen Fällen ist die Revisionsrüge wegen der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts ausgeschlossen. In dieser Wirkung liegt vor allem die Bedeutung der Besetzungsrüge.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 2. Besetzungsmitteilung
2. Besetzungsmitteilung
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Findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht statt, so ist die Gerichtsbesetzung spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen (§ 222a Abs. 1 S. 1). Die Mitteilung muss nicht unbedingt unmittelbar nach dem Aufruf der Sache erfolgen; es genügt, wenn dies vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache geschieht.[1] Die Mitteilung kann durch den Vorsitzenden aber auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung erfolgen (§ 222a Abs. 1 S. 2), wobei für den Angeklagten die Mitteilung an seinen Verteidiger zu richten ist. Diese Mitteilung gibt dem Verteidiger die Möglichkeit, die Besetzung des Gerichts zu prüfen und ggf. die Besetzungsrüge zu erheben. Die im Gesetz aufgeführten Richter sind namentlich zu benennen. Soweit keine Verwechselungsgefahr mit anderen bei demselben Gericht tätigen Richtern besteht, genügt die Angabe des Nachnamens. Ferner ist die Eigenschaft zu bezeichnen, in der die einzelnen Personen an der Verhandlung mitwirken. Der Richter, der den Vorsitz führt, ist kenntlich zu machen, nicht aber der Berichterstatter.[2] Im Übrigen genügt die Bezeichnung als Schöffe, Ergänzungsrichter oder Ergänzungsschöffe.
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Ist die Besetzung des Gerichts vor der Hauptverhandlung mitgeteilt worden, so kann der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden (§ 222b Abs. 1 S. 1). Der Einwand dient dabei ausschließlich dem Zweck, dem Angeklagten die Revisionsrüge nach § 338 Nr. 1 zu erhalten.
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In der Praxis nicht selten ist die Änderung der Besetzung zwischen dem Zeitpunkt der Mitteilung an den Verteidiger und dem Beginn der Hauptverhandlung. In diesem Fall ist die geänderte Besetzung spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen (§ 222a Abs. 1 S. 3). Stellt der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung überrascht fest, dass die aktuelle Besetzung nicht der mitgeteilten entspricht, so wird er genau zu überlegen haben, ob er vom Vorsitzenden sogleich Auskunft über die Änderung und deren Grund erbittet. Schweigt er und vergisst der Vorsitzende, die Änderung rechtzeitig mitzuteilen, bleibt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung erhalten.
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Hat der Vorsitzende den Zeitpunkt der rechtzeitigen Mitteilung verpasst und hat die Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache bereits begonnen,