VII. Einwendungen gegen das Verfahren insgesamt
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Prozesshindernisse sollte der Verteidiger so früh wie möglich geltend machen. Dies vermeidet nicht nur unnötigen Zeit- und Geldaufwand, sondern erspart dem Mandanten überflüssige Belastungen, die mit einem Strafverfahren stets verbunden sind. Hatte der Verteidiger bis zum Beginn der Hauptverhandlung z.B. wegen später Mandatierung keine Gelegenheit, die Einwendungen vorzutragen, oder sind Prozesshindernisse erst kurz vor der Hauptverhandlung eingetreten, so sollte er diese auch in der Hauptverhandlung so bald wie möglich geltend machen, ggf. bereits nach Aufruf der Sache und der Feststellung der Förmlichkeiten nach § 243 Abs. 1.
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Bei einer Prozessvoraussetzung (das Prozesshindernis ist lediglich das negative Gegenstück hierzu) handelt es sich um einen Umstand, der nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes so schwer wiegt, dass von seinem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden muss.[1] Prozesshindernisse sind von Amts wegen und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen,[2] so dass ein entsprechender Einwand der Verteidigung zu keinem Zeitpunkt verspätet sein kann.
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Die wichtigsten Verfahrenshindernisse sind: Die absolute Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 19 StGB, das Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit (§§ 18–20 GVG, Art. VII Nato-Truppenstatut), anderweitige innerstaatliche Rechtshängigkeit oder rechtskräftige Erledigung der Sache (Art. 103 Abs. 3 GG),[3] die Einstellung nach § 153 Abs. 2 oder die endgültige Einstellung nach § 153a Abs. 1, 2, die Strafverfolgungsverjährung (§ 78 StGB), Beschränkungen in den Auslieferungsbedingungen nach dem Grundsatz der Spezialität,[4] das Fehlen eines wirksamen Strafantrags, das Fehlen eines wirksamen, schriftlich abgesetzten[5] Eröffnungsbeschlusses (§§ 203, 207, 383 Abs. 1), dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten u.a.
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Liegt ein Prozesshindernis vor, so ist das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 260 Abs. 3 durch Urteil einzustellen. Es handelt sich um ein Prozessurteil, das nicht in Rechtskraft erwächst und daher grundsätzlich auch nicht die Strafklage verbraucht. Ist daher das Verfahrenshindernis behebbar, kann der Sachverhalt neu angeklagt werden.[6] Ist das Prozesshindernis dagegen endgültig, z.B. bei Ablauf der Strafantragsfrist, kommt das Urteil einem strafklageverbrauchenden Sachurteil gleich.[7] Keine Verfahrenseinstellung, sondern Freispruch hat zu erfolgen, wenn der Sachverhalt bei Bekanntwerden des Prozesshindernisses bereits so weit geklärt ist, dass sich der Angeklagte keiner Straftat schuldig gemacht hat,[8] oder wenn bei Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Tatvorwurfs der schwerere nicht nachzuweisen und der leichtere wegen eines nicht nur vorübergehenden Verfahrenshindernisses nicht mehr verfolgbar ist.[9] Kann der Verteidiger daher absehen, dass der Sachverhalt in der Hauptverhandlung so weit geklärt werden wird, dass ein Freispruch erfolgen muss, so sollte er sich mit dem Einwand eines Verfahrenshindernisses zurückhalten.
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Muster 2 Einstellungsantrag wegen fehlender Prozessvoraussetzung
An das
Amtsgericht
…
In der Strafsache
gegen…
wegen Verdachts der Beleidigung
beantrage ich, das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
Mein Mandant wird beschuldigt, am 3.1.2017 seine Vermieterin, die zur heutigen Hauptverhandlung als Zeugin geladene Gerda Müller, als „ausgemolkene Ziege“ bezeichnet zu haben. Die Zeugin Müller hat zwar am 4.1.2017 Strafantrag gegen meinen Mandanten gestellt. Sie hat jedoch, wie der Verfahrensakte zu entnehmen ist, nachdem sie die Ladung zur Zeugenvernehmung vor dem Amtsgericht erhalten hat, die schriftliche Erklärung zur Akte gegeben, dass sie sich mit dem Angeklagten versöhnt habe und daher keinen Wert mehr auf eine Bestrafung lege. Hierin liegt die Rücknahme des Strafantrags gemäß § 77d Abs. 1 StGB. Da ein zurückgenommener Antrag nicht nochmals gestellt werden kann, liegt mangels wirksamen Strafantrags ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung der Sache führen muss.
Anmerkungen
BGH 15, 287, 290; 32, 345, 350; 36, 294, 295.
BGH wistra 2003, 382, 383; OLG Celle NStZ 1983, 233; differenzierend Meyer-Goßner/Schmitt Einleitung Rn. 150 und NStZ 2003, 169 ff.
BGH 20, 292, 293.
BGH 22, 307.
OLG Zweibrücken StV 1998, 66.
BGH wistra 1986, 69.
LR-Gollwitzer § 260 Rn. 102 f.
BGHSt 13, 268, 273; 20, 333, 335; nicht aber, wenn noch umfangreiche Erörterungen zur Schuldfrage notwendig sind, vgl. BGHSt 44, 209, 218; BGH NStZ-RR 1996, 299.
BGH NStZ-RR 2005, 259.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 1. Allgemeines
1. Allgemeines
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Das Gesetz unterscheidet zwischen der sachlichen (§ 1 ff.), der örtlichen (§ 7 ff.) und der herkömmlicherweise als funktionell bezeichneten Zuständigkeit der Strafgerichte.[1] Die sachliche Zuständigkeit betrifft die Verteilung der Strafsache nach ihrer Art und Schwere auf die erstinstanzlichen, unterschiedlich besetzten Gerichte verschiedener Ordnung.[2] Die örtliche Zuständigkeit bestimmt, welches Gericht erster Instanz unter mehreren sachlich zuständigen Gerichten sich mit der Sache zu befassen hat.[3] Unter dem Begriff der funktionellen Zuständigkeit, den das Gesetz nicht kennt, werden alle Zuständigkeitsregelungen zusammengefasst, die nicht zur sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit gehören.[4] Die Rügemöglichkeiten des Verteidigers und die prozessualen Folgen bei Unzuständigkeit des Gerichts sind je nach der Art der von der Rüge betroffenen Unzuständigkeit unterschiedlich.