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Der Beklagte kann aber auch die rechtliche Würdigung des Klägers hinterfragen. Er kann vortragen, dass die Rechtsansicht des Klägers unzutreffend ist. Beispielsweise wird die V-GmbH im Prozess vorbringen, dass der Verkäufer nach geltendem Recht nicht zum Ersatz von Austauschkosten gegenüber dem Käufer verpflichtet sei. Sollte der Anspruch aus Sicht des Beklagten dem Grunde nach doch bestehen, kann er dagegen Einreden und Einwendungen geltend machen.[26] Einwendungen werden vom Gericht von Amts wegen berücksichtigt, Einreden nur, wenn der Beklagte sich darauf beruft.[27] Der Beklagte kann also Tatsachen vortragen, die den vom Kläger geltend gemachten Anspruch hindern (= rechtshindernde Einwendungen), wie z.B. die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 123, 142 Abs. 1 BGB) oder die Sittenwidrigkeit eines Vertrags (§ 138 BGB). Er kann auch rechtsvernichtende Einwendungen erheben, wie z.B. die Erfüllung des Anspruchs (§ 362 BGB). Zudem kann er auch rechtshemmende Einreden erheben, z.B. die Einrede des nichterfüllten Vertrags (§ 320 BGB)[28] oder der Verjährung (§§ 195 ff., 438 BGB). Eine wichtige rechtsvernichtende Einwendung ist die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB).
2. Teil Erkenntnisverfahren › E. Prozessverhalten des Beklagten zur Klage › IV. Die Aufrechnung im Prozess
IV. Die Aufrechnung im Prozess
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Hat der Kläger eine Leistungsklage auf Zahlung einer Geldsumme erhoben, kann der Beklagte mit einem Gegenanspruch aufrechnen. Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, erlöschen (§ 389 BGB). Damit kann der Beklagte die Klage auf „elegantem“ Weg zu Fall bringen. Der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ist frei wählbar. Der Beklagte kann die Aufrechnung bereits vor dem Prozess oder erst im Prozess (= Prozessaufrechnung) erklären.[29]
1. Doppelnatur der Prozessaufrechnung
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Sind Ihnen die einschlägigen Vorschriften im BGB über die Aufrechnung noch präsent? Sie können dieses Themengebiet im Skript „Schuldrecht AT I“ genauer nachlesen.
Die Prozessaufrechnung hat eine Doppelnatur. Sie ist zum einen eine Willenserklärung nach materiellem Recht (§ 388 BGB). Die Voraussetzungen der Aufrechnung beurteilen sich daher nach materiellem Recht (BGB). Andererseits nimmt der Beklagte bei einer Aufrechnung im Prozess zugleich eine Prozesshandlung vor. Deshalb müssen für eine erfolgreiche Geltendmachung der Prozessaufrechnung sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen (§§ 387 ff. BGB) als auch die Prozesshandlungsvoraussetzungen in der Person des Beklagten gegeben sein.[30] Die Doppelnatur der Aufrechnung zieht komplexe Rechtsfragen nach sich. Materielles Recht und Prozessrecht geraten teilweise in Konflikt. Das Verfahrensrecht muss hierfür Lösungen anbieten. Im Folgenden sollen nur die typischen Probleme der Prozessaufrechnung behandelt werden.
2. Besonderheiten der Eventualaufrechnung
a) Ausgangslage
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Ein ideales Prozessergebnis für den Beklagten wäre, wenn das Gericht den Anspruch des Klägers (z.B. Kaufpreiszahlungsanspruch des Verkäufers gem. § 433 Abs. 2 BGB) für unschlüssig hält und die Klage als unbegründet abweist. Ist der Beklagte unsicher, ob das Gericht den Anspruch des Klägers bejahen wird, kann er durch die Aufrechnung mit einer Gegenforderung den klägerischen Anspruch vernichten. Erklärt der Beklagte die Aufrechnung unbedingt, ist der Zahlungsanspruch des Klägers durch die Aufrechnung erloschen (§ 389 BGB). Der Beklagte hat seine Gegenforderung „verbraucht“. Daher wird der Beklagte die Aufrechnung bevorzugt hilfsweise erklären (sog. Eventualaufrechnung = Hilfsaufrechnung). Die Eventualaufrechnung bedeutet, dass der Beklagte primär die Hauptforderung bestreitet und für den Fall, dass die Hauptforderung begründet ist, die Aufrechnung erklärt. Dabei werden zwei Anträge gestellt: „1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Hilfsweise wird die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 2000 € erklärt.“ Erklärt der Beklagte dagegen die Aufrechnung unbedingt (als einzige Verteidigung = Hauptaufrechnung), liegt darin regelmäßig ein Geständnis (§ 288 ZPO) der klägerischen Behauptungen.[31]
b) Zulässigkeit
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Bei einer Eventualaufrechnung müssen sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen. Nimmt man § 388 S. 2 BGB wörtlich, wäre eine bedingte (= eventuelle) Aufrechnung stets verboten. Folglich wäre die Eventualaufrechnung unwirksam. Dies wird als unbillig angesehen. Denn der Eintritt der Bedingung wird im Prozess abschließend geklärt. Der Kläger wird nicht im Ungewissen über den Erfolg der Aufrechnung gelassen.[32] Eine Eventualaufrechnung ist daher trotz des Wortlauts des § 388 S. 2 BGB zulässig.
c) Feststehen der Gegenforderung
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Steht fest, dass die Gegenforderung besteht, könnte das Gericht auf die Idee kommen, erst gar nicht über die Klage zu entscheiden, sondern die Klage sogleich wegen des Bestehens der Gegenforderung als unbegründet abzuweisen. Das möchte der Beklagte gerade nicht, wenn er die Aufrechnung hilfsweise (für den Fall der Unbegründetheit) stellt. Dem Gericht ist nach der herrschenden Beweiserhebungstheorie deshalb ein solches Vorgehen nicht erlaubt.[33] Vorrangig sind stets die Zulässigkeit und Begründetheit der Hauptforderung zu prüfen. Besteht die Hauptforderung nicht, bleibt die Gegenforderung erhalten.
3. Rechtswegfremde Gegenforderung
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Die örtliche und sachliche Zuständigkeitspielen bei der Aufrechnung keine Rolle.[34] Für die Gegenforderung ist das Gericht auch dann zuständig, wenn es im Fall einer (aktiven) Klage sachlich oder örtlich unzuständig wäre. Die internationale Zuständigkeit muss dagegen positiv vorliegen.[35] Umstritten ist, ob das Gericht über eine Gegenforderung entscheiden darf, die einem anderen Rechtsweg (z.B. Arbeitsgerichte, Verwaltungsgerichte) zugehört. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach überwiegender Ansicht hindert die Unzulässigkeit des Rechtswegs eine Prüfung und Entscheidung der Gegenforderung. Begründet wird dies mit dem Zweck der Rechtswegaufteilung (Sachnähe, Fachkompetenz, teils unterschiedlichen Verfahrensordnungen).[36] Entschieden werden könne über eine rechtswegfremde Gegenforderung nur, wenn sie unstreitig oder rechtskräftig festgestellt ist. Eine andere Ansicht verweist auf die Vorschrift des § 17 Abs. 2 GVG. Diese Norm erlaube es dem Gericht, einen Rechtsstreit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, also auch über eine rechtswegfremde Gegenforderung.[37] Diese Auffassung ist abzulehnen, da der vorgeschriebene Rechtsweg sonst durch bloßen Parteiakt entzogen werden könnte. Die Prozessökonomie hat keinen Vorrang vor der Sachkompetenz. Das Zivilgericht muss daher das Verfahren aussetzen (§ 148 ZPO) und eine Entscheidung des zuständigen Gerichts abwarten. Zweckmäßig ist es, den Beklagten unter Fristsetzung zur Einreichung seiner Klage beim zuständigen Gericht aufzufordern.
4. Rechtshängigkeit der Gegenforderung
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Die Prozessaufrechnung ist keine Klage, sondern ein Verteidigungsmittel. Erklärt der Beklagte im Prozess die Aufrechnung, ist fraglich, ob seine Gegenforderung damit rechtshängig wird. Hintergrund ist, dass die Aufrechnung die einzige Einwendung