2. Teil Erkenntnisverfahren › C. Die Zulässigkeit der Klage › V. Streitgegenstandsbezogene Prozessvoraussetzungen
1. Schlichtungsversuch vor Klageerhebung
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Wissen Sie noch, in welchen Fällen die Schlichtung vorgesehen ist? Andernfalls wiederholen Sie diese Zulässigkeitsvoraussetzung (Rn. 21 ff.).
Der Zivilprozess wird durch die Erhebung einer Klage eingeleitet. Diese muss den zwingenden Anforderungen des § 253 ZPO genügen (Rn. 63 ff.). Soweit dies landesrechtlich vorgeschrieben ist, muss vor der Klageerhebung eine Schlichtung durchgeführt worden sein (Rn. 21 ff.). Fehlt die Bescheinigung über den erfolglosen Einigungsversuch, ist die Klage unzulässig und durch Prozessurteil abzuweisen.[98]
2. Klagbarkeit des Anspruchs
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Kann ein Anspruch nach materiellem Recht nicht eingeklagt werden, ist eine trotzdem erhobene Klage unzulässig.[99] Die Fälle sind zwar nicht zahlreich, aber wichtig. Hat beispielsweise ein türkisches Mädchen auf Drängen ihrer Eltern die Eingehung der Ehe mit einem türkischen Mann versprochen, kann keine Klage auf Eingehung der Ehe erhoben werden (§ 1297 Abs. 1 BGB). Spiel- und Wettschulden (§ 762 BGB) begründen keine Verbindlichkeiten; wird dennoch Klage erhoben, ist diese zwar zulässig, aber unbegründet.
3. Rechtsschutzbedürfnis
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Zulässig ist eine Klage nur dann, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse daran hat, sein Recht vor einem Zivilgericht geltend zu machen. Da Selbsthilfe grundsätzlich verboten ist, ist ein Interesse des Klägers bei Leistungsklagen stets anzuerkennen. Bei einer klausurmäßigen Bearbeitung muss es daher nicht explizit erwähnt werden. Anders ist die Situation bei der Feststellungsklage. Hier verlangt § 256 ZPO ausdrücklich ein Feststellungsinteresse des Klägers. Dies ist zu bejahen, wenn dem Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht (z.B. Unklarheit, ob der Mieter zu Schönheitsreparaturen verpflichtet ist)[100] oder der Beklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet.[101] Bei positiven Feststellungsklagen fehlt das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger sofort eine Leistungsklage erheben könnte. Grund ist, eine doppelte Beanspruchung der Gerichte zu vermeiden. Da Feststellungsklagen keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben, müsste der Kläger häufig eine Leistungsklage „hinterher schieben“.
Beispiel
Mona hat ihrer Freundin Susi ihr Fahrrad verliehen. Susi behauptet nun, dass das Fahrrad ihr gehört. Eine Feststellungsklage („Es wird festgestellt, dass Mona Eigentümerin des Fahrrads XY ist“) wäre unzulässig, da Mona vorrangig Leistungsklage erheben könnte („Die Beklagte wird verurteilt, das Fahrrad XY an die Klägerin herauszugeben“). Mona fehlt das Feststellungsinteresse. Die Feststellungsklage wäre unzulässig. Feststellungsklagen sind vor allem dann erforderlich, wenn ein Schaden (z.B. Operationskosten nach Autounfall) im Ganzen noch nicht beziffert werden kann.
4. Keine anderweitige Rechtshängigkeit
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Der Kläger darf eine Klage nur einmal erheben, nicht aber ein zweites Mal. Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist eine Klage unzulässig, wenn der bei Gericht erhobene Anspruch schon anderweitig rechtshängig ist, d.h. bei einem anderen Gericht (zeitgleich) erhoben worden ist. Das zweite Gericht muss die Klage von Amts wegen als unzulässig abweisen. Dadurch soll vermieden werden, dass sich der Beklagte in derselben Sache in mehreren Verfahren verteidigen muss und dass einander widersprechende Entscheidungen ergehen.[102] Rechtshängig wird eine Klage erst durch deren Zustellung an den Beklagten, nicht schon mit ihrer Einreichung (§§ 253 Abs. 1, 271, 261 Abs. 1 ZPO). Voraussetzung für die Sperrfunktion der Rechtshängigkeit ist, dass „dieselben Parteien“ eine Entscheidung über „dieselbe Streitsache“ begehren.
Beispiel
Die Tante von Mona möchte sich scheiden lassen. Zunächst erhebt sie Scheidungsklage (= Antrag auf Scheidung § 124 FamFG) beim AG Köln, später dann beim AG Nürnberg, in der Meinung, dass bayerische Gerichte schneller entscheiden.
Unabhängig von der Frage der Zuständigkeit des Gerichts (§ 122 FamFG) ist hier problematisch, dass die Tante von Mona zwei Klagen in derselben Sache erheben will. Derartige Parallelprozesse will § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO verhindern. Klärungsbedarf besteht allerdings noch, in welchen Fällen „dieselbe Streitsache“ vorliegt. Diese Frage betrifft den sog. Streitgegenstand. Er ist ein Schlüsselbegriff des Prozessrechts und wird sogleich näher dargestellt (Rn. 139 ff.).
5. Keine entgegenstehende Rechtskraft
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Nach der rechtskräftigen Entscheidung eines Rechtsstreits (§ 322 Abs. 1 ZPO) ist es unzulässig, dieselbe Sache ein zweites Mal vor Gericht zu bringen. Untersagt sind nicht nur parallele Prozesse (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), sondern auch hintereinander geschaltete Prozesse. Voraussetzung ist auch hier, dass Parteiidentität besteht und es beim zweiten Gericht „um dieselbe Streitsache“ geht. Auch hier kommt es maßgeblich auf den Begriff des Streitgegenstands an.
6. Exkurs: Der Streitgegenstand
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Die Frage, worüber im Prozess eigentlich gestritten wird, beschäftigt die Prozessrechtswissenschaft seit jeher.[103] Dreh- und Angelpunkt ist der Begriff des Streitgegenstands. Er taucht in der ZPO allerdings kaum auf. Meist ist vom „erhobenen Anspruch“ oder schlicht vom „Anspruch“ oder von der „Streitsache“ die Rede.[104]
Hinweis
Der Streitgegenstand ist wesentlich für die sachliche Zuständigkeit (§ 23 Nr. 1 GVG), die objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO), die Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO), die Klageänderung (§ 263 ZPO), die Rechtskraft (§ 322 ZPO) sowie die Hemmung der Verjährung (§§ 204, 213 BGB[105]).
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Der Streitgegenstand wird durch die Klage bestimmt.[106] Die Klage