Liegt ein Strafverfolgungshindernis vor bzw. fehlt eine Strafverfolgungsvoraussetzung, ist der hinreichende Tatverdacht aus Rechtsgründen zu verneinen. Jede weitere Prüfung der Strafvorschrift verbietet sich sodann in der Klausur. Vertiefendes hierzu in Abschnitt 2.
D. Prüfung des Delikts
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Ist die Straftat verfolgbar, sind im nächsten Schritt die Voraussetzungen der Strafvorschrift zu prüfen. Das kennen Sie aus dem 1. Staatsexamen.
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Im Tatbestand prüfen Sie wie gewohnt die Tatbestandsmerkmale des Delikts unter Auswertung des ermittelten Sachverhalts. Liegen Tatbestandsmerkmale unproblematisch vor (z.B. das Polizeiauto ist eine „fremde bewegliche Sache“ gem. § 242 Abs. 1 StGB), sollten Sie dies im Urteilsstil feststellen. Im 2. Staatsexamen gilt es in verstärktem Maße nur die problematischen Tatbestandsmerkmale im Gutachtenstil zu prüfen. Bei der Subsumtion müssen Sie die in Betracht kommenden Beweismittel würdigen und ggf. prüfen, ob sie prozessual verwertbar sind. Hier können Schwerpunkte der Klausur liegen. Vertiefendes hierzu in Abschnitt 3.
Benannte minder schwere bzw. besonders schwere Fälle wie § 213 oder § 246 Abs. 2 StGB sowie Tatbestände mit Regelbeispielen (insb. § 243 StGB) werden –wie auch Qualifikationen und Privilegierungen – in die Deliktsprüfung integriert.[8] Die erheblich verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB soll teilweise im A-Gutachten (z.B. im GPA-Bereich)[9] und teilweise im B-Gutachten[10] (dort unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts) geprüft werden. Unbenannte besonders schwere oder minder schwere Fälle (z.B. § 250 Abs. 3 StGB) sollen im B-Gutachten unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts angesprochen werden.[11]
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Auch auf den Wertungsebenen Rechtswidrigkeit und Schuld sollten Sie sich in der Regel kurzfassen. Liegen Vorsatz, Rechtswidrigkeit und/oder Schuld unproblematisch vor, ist es in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sogar angeraten, den hinreichenden Tatverdacht direkt zu bejahen, ohne sein Vorliegen formelhaft festzustellen.[12] In anderen Bundesländern mag es ratsam sein, an der bewährten Struktur festzuhalten.
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Auf die Schuldausschließungsgründe des § 20 StGB ist nur bei ernsthaften Zweifeln einzugehen. Während die Schuldfähigkeit bei Heranwachsenden und Erwachsenen bekanntlich kraft Gesetzes vermutet wird, dürfen Sie bei Jugendlichen nicht vergessen, die strafrechtliche Verantwortlichkeit gem. §§ 1, 3 JGG gesondert zu prüfen und ggf. positiv festzustellen.
Formulierungsbeispiel:
„Der Beschuldigte ist 15 Jahre alt und damit Jugendlicher gem. § 1 Abs. 2 JGG. Da ihm bewusst gewesen sein dürfte, dass er etwas Verbotenes tat und er die Widerstandsfähigkeit gegen den Anreiz der Tat hätte aufbringen können, besitzt er die gem. § 3 Satz 1 JGG erforderliche sittliche und geistige Reife und ist strafrechtlich verantwortlich.“
E. Das besondere öffentliche Interesse
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Straftaten werden prinzipiell von Amts wegen verfolgt (sog. Offizialmaxime). Bei den sog. Antragsdelikten wird dieser Grundsatz durchbrochen. Diese können grundsätzlich nur mit Willen des Berechtigten (in der Regel des Verletzten) verfolgt werden.
Während bei den sog. absoluten Strafantragsdelikten hiervon keine Ausnahme gemacht wird, können die sog. relativen Strafantragsdelikte trotz eines fehlenden Strafantrags bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gleichwohl verfolgt werden. In Nr. 234 und Nr. 235 Abs. 2 S. 1 RiStBV finden sich Anhaltspunkte dafür, wann im Fall der Körperverletzung das besondere öffentliche Interesse in der Regel zu bejahen ist, im Kontext einer Körperverletzung im Straßenverkehr zusätzlich in Nr. 243 Abs. 3 RiStBV.
Verwechseln Sie das besondere öffentliche Interesse nicht mit dem (nur) öffentlichen Interesse gem. § 376 StPO. Das besondere öffentliche Interesse ersetzt den fehlenden Strafverfolgungswillen des Verletzten (= kein Strafantrag) und ist Prozessvoraussetzung.[13] Die Überbrückung des fehlenden Strafverfolgungswillens des Verletzten soll nach Ansicht des Gesetzgebers nur bei Vorliegen der hohen Hürde des besonderen öffentlichen Interesses möglich sein. Anders ist die Situation bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses im Kontext eines Privatklagedelikts: Dort wünscht der Verletzte die Strafverfolgung oder dessen Strafverfolgungswille ist wegen der Ausgestaltung als Offizialdelikt (§ 241 StGB) ipso iure unmaßgeblich. Die Staatsanwaltschaft ist nicht gezwungen einen (beachtlichen) fehlenden Strafverfolgungswillen zu überwinden, sodass sie das Verfahren schon bei Bejahung des einfachen öffentlichen Interesses (§ 376 StPO) an sich ziehen kann.
▸ Merke: Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ersetzt den Strafantrag und ist Strafverfolgungsvoraussetzung, während die Staatsanwaltschaft durch Bejahung des öffentlichen Interesses die Art und Weise der Strafverfolgung modifiziert, indem sie die Verfolgung der Straftat an sich zieht.[14]
Bei relativen Strafantragsdelikten ist das Vorliegen des Strafantrags bzw. des besonderen öffentlichen Interesses in den Bundesländern an unterschiedlichen Stellen zu prüfen. Teilweise ist es üblich – in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ausdrücklich empfohlen[15] –, dass beide Gesichtspunkte erst nach der Deliktsprüfung angesprochen werden.[16] Anderenorts, etwa im OLG-Bezirk Hamm, wird das (Nicht-)Vorliegen des Strafantrags demgegenüber vor, das besondere öffentliche Interesse nach der Deliktsprüfung erörtert. Fehlen der Strafantrag und offenkundig auch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, wird empfohlen, dies direkt nach dem Obersatz festzustellen und den hinreichenden Tatverdacht ohne Deliktsprüfung abzulehnen.[17] Schließlich wird es für richtig erachtet, diese Fragen im Prozessgutachten zu erörtern. Hier sollten Sie – wie stets – der örtlichen Übung Ihres OLG-Bezirks folgen.
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Prüfungsrelevant sind in erster Linie diese relativen Antragsdelikte:
• | Sachbeschädigung: § 303 i.V.m. § 303c StGB |
• | (Fahrlässige) Körperverletzung: §§ 223, 229 i.V.m. § 230 StGB |
• | Eigentums- und Vermögensdelikte: § 242 StGB, § 246 StGB, § 257 Abs. 4 S. 2 StGB, § 259 Abs. 2 StGB, § 263 Abs. 4 StGB, § 266 Abs. 2 StGB jeweils mit § 248a StGB |
F. Konkurrenzen
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Die Lehre von den Konkurrenzen erfordert die Beschäftigung mit dem materiellen Tatbegriff, also mit „Handlungen“ i.S.d. §§ 52, 53 StGB. Bitte beachten Sie:
• | Fragen der sog. Gesetzeskonkurrenz (Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion) sprechen Sie sinnvollerweise nach jeder Deliktsprüfung an. |
• | Fragen betreffend Tateinheit bzw. -mehrheit gem. §§ 52, 53 StGB sollten Sie hingegen in der Regel erst am Ende des Gutachtens, ausnahmsweise am Ende eines jeden Handlungsabschnitts behandeln.[18] |
Übersicht: Prüfung des hinreichenden Tatverdachts