i) Sonderfall: Betriebsübergang und Betriebsänderung
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Vom Begriff der Betriebsänderung nach § 111 BetrVG ist der Begriff des rechtgeschäftlichen Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB zu unterscheiden. Dieser stellt als solcher keine Betriebsänderung dar.[189] Im Betrieb ändert sich allein durch den Wechsel des Inhabers nichts. Nachteilen zu begegnen, die mit einem Schuldnerwechsel verbunden sind, ist nicht Gegenstand und Ziel des Mitbestimmungsrechts nach § 111 BetrVG.[190]
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Allerdings können aus Anlass eines Betriebsübergangs auch Mitwirkungsrechte des Betriebsrates gemäß § 111 BetrVG ausgelöst werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich der Betriebsübergang nicht in einem bloßen Wechsel des Betriebsinhabers erschöpft, sondern er darüber hinaus mit Maßnahmen verbunden ist, die den Tatbestand einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG erfüllen, z.B. bei einer Spaltung des bestehenden Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG.[191]
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In diesem Fall ist ein Interessenausgleich abzuschließen. Ob darüber hinaus auch ein Sozialplan abzuschließen ist, richtet sich danach, ob es infolge der Betriebsänderung zu Nachteilen i.S.d. § 111 BetrVG kommt. Dies ist anhand des Einzelfalls zu prüfen.
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Für einen Teilbetriebsübergang gilt dabei nichts anderes als bei einem Übergang der gesamten Einheit, auch wenn er mit einer Spaltung bzw. Organisationsänderung verbunden ist. Auch hier ist daher zwischen spaltungsbedingten Nachteilen und denjenigen Nachteilen zu unterscheiden, die auf den Teilbetriebsübergang zurückzuführen sind. Wollte man die übergangsbedingten Nachteile als auszugleichende Folge der Spaltung ansehen, führte das zu dem Ergebnis, dass bei einem Teilbetriebsübergang die betroffenen Arbeitnehmer einen Ausgleich für den Verlust einer etwaigen Sozialplananwartschaft und der verringerten Haftungsmasse erhielten, während bei einer Veräußerung des gesamten Betriebes auf ein neugegründetes Unternehmen alle Arbeitnehmer diese Nachteile hinnehmen müssten. Denn die Veräußerung des gesamten Betriebes lässt sich unter keinen der Tatbestände des § 111 BetrVG einordnen. Eine solche Ausweitung ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht gerechtfertigt und auch nicht erforderlich. Daher kann etwa der (drohende) Verlust einer Sozialplananwartschaft beim Übergang eines alten Betriebes oder Betriebsteils auf ein neugegründetes Unternehmen nicht berücksichtigt werden. Er ist Folge der ausdrücklichen Befreiung neugegründeter Unternehmen von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 BetrVG, nicht der Betriebsänderung an sich. Diese Regelung gilt auch dann, wenn ein neugegründetes Unternehmen einen „alten Betrieb“ übernimmt.[192]
2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG › 3. Beteiligung des Betriebsrates gemäß §§ 111 ff. BetrVG
a) Unterrichtung
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Über eine „geplante“ Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG hat der „Unternehmer“, d.h. der Arbeitgeber,[193] den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit ihm zu beraten. In einem gemeinsamen Betrieb sind die Verhandlungen über den Interessenausgleich sowie die Unterrichtung durch alle an diesem Betrieb beteiligten Unternehmen oder die von diesen bestimmte Betriebsleitung durchzuführen (vgl. dazu vorstehend Rn. 21).
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Sinn und Zweck dieser Beratungen ist, sich nach Möglichkeit auf eine Maßnahme zu verständigen, die für die betroffenen Arbeitnehmer keine oder nur geringere Nachteile mit sich bringt als die Betriebsänderung in der zunächst vom Arbeitgeber geplanten Form.[194] Um dieses Ziel zu erreichen, sieht § 111 BetrVG i.V.m. § 112 BetrVG ein gestuftes Verfahren vor. Es beginnt mit der Information des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung und setzt sich fort mit den Beratungen der Betriebsparteien über die Einzelheiten und die Durchführung einer Betriebsänderung. Es endet nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG mit der Anrufung der Einigungsstelle, falls die Betriebsparteien nicht selbst eine Einigung über einen Interessenausgleich erzielen können.
aa) Zeitpunkt
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In der Praxis stellt sich angesichts dessen regelmäßig die Frage, wann die Unterrichtung noch „rechtzeitig“ ist und über welche Inhalte konkret unterrichtet und beraten werden muss.
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Der Begriff „rechtzeitig“ ist richtigerweise vom Ziel des Beteiligungsrechts her zu bestimmen,[195] so dass eine Unterrichtungspflicht ausscheidet, solange die Überlegungen das Stadium reiner Vorüberlegungen nicht verlassen.[196] Der Betriebsrat soll auf Grund der vom Arbeitgeber mitgeteilten Informationen in die Lage versetzt werden, auf das Ob und Wie der „geplanten“ Betriebsänderung Einfluss nehmen zu können.[197] Dazu müssen ihre Art und ihr Umfang bekannt sein.[198] Hierfür ist erforderlich, dass sich die Planung des Unternehmers in gewissem Umfang verdichtet und konkretisiert hat und der Arbeitgeber über eine hinreichend konkretisierte Maßnahme unterrichten kann, deren Durchführung der Arbeitgeber anstrebt und die den Gegenstand der zwischen den Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgibt.[199]
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Bloße Konzepte und Vorüberlegungen sind noch keine „Planung“ i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG und lösen noch keine Beteiligungsrechte des Betriebsrates aus.[200] Der Betriebsrat muss daher nicht an sämtlichen Vorüberlegungen der Unternehmensleitung beteiligt werden; dem Unternehmer steht es vielmehr frei, von sich aus abzuklären, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht.[201] Erst wenn er auf Grund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen zu einer Betriebsänderung entschlossen ist – ohne abschließend über die Betriebsänderung entschieden zu haben – ist das Stadium einer „geplanten“ Betriebsänderung erreicht und der Betriebsrat zu beteiligen.[202]
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Grundsätzlich darf der Arbeitgeber sich daher auch zwischen mehreren in Betracht kommenden Varianten entscheiden, soweit ungeachtet dessen Raum für eine Verhandlung über das „ob“ der Maßnahme verbleibt.[203] Das gilt auch dann, wenn mit dieser Entscheidung Beschlüsse der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrates einher gehen.[204] So hat das BAG im Hinblick auf die für die Praxis in diesem Zusammenhang entscheidende Frage, ob ein Nachteilsausgleichsanspruch besteht, festgehalten, dass es dem Arbeitgeber nicht verwehrt sei, ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats Entschlüsse zu einer Betriebsänderung zu fassen. Er dürfe nur ohne Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht mit deren Durchführung beginnen.[205]
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Für dieses weite Verständnis spricht auch, dass die Geschäftsführung die sich aus den Beratungen mit dem Betriebsrat ergebenden Änderungen an die Gesellschafter weiterleiten kann, um eine Änderung der Pläne herbeizuführen.[206] Daher ist richtigerweise auch davon auszugehen, dass es nicht schadet, wenn andere Gesellschaftsorgane (Aufsichtsrat) bereits um Zustimmung zu der Betriebsänderung ersucht wurden.[207]
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Soweit