2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG › 2. Tatbestände des § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG
2. Tatbestände des § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG
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Die Aufzählung in Satz 3 des § 111 BetrVG ist nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht abschließend.[67] Hierfür spricht der Wortlaut von Satz 3, wonach die dort genannten Maßnahmen nicht als solche gekennzeichnet sind, die „insbesondere“ unter Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG fallen.[68] Aufgrund des recht weiten Anwendungsbereichs des Katalogs in § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG dürfte der Streit aber in der Tat eher theoretischer Natur sein.[69]
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Der Betriebsbegriff i.S.d. § 111 BetrVG ist der allgemeine Betriebsbegriff des BetrVG, wie er durch die Regelungen in §§ 1, 4 BetrVG konkretisiert wird.
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Betrieb i.S.d. BetrVG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden.[70] Ein Betriebsteil ist zwar auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert, ihm gegenüber aber organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbstständigt. Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist der Grad der Verselbstständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die in der organisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf alle wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten, handelt es sich um einen eigenständigen Betrieb i.S.v. § 1 BetrVG.[71]
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Daher gilt auch ein betriebsratsfähiger Betriebsteil i.S.d. § 4 BetrVG als selbstständiger Betrieb i.S.d. § 111 BetrVG, bei dessen Schließung unabhängig von den Zahlen des § 17 KSchG eine „Betriebsstilllegung“ anzunehmen ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsbegriff bei Betriebsratswahlen verkannt wurde, aber eine fehlerhaft erfolgte Wahl des Betriebsrats nicht angefochten wurde.[72]
a) Betriebsstilllegung
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Unter einer Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen.[73]
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Die Weiterbeschäftigung einiger weniger Arbeitnehmer mit Aufräum- oder Abwicklungsarbeiten steht der Annahme einer Stilllegung nicht entgegen.[74] Das gilt auch dann, wenn wegen technischer Besonderheiten, z.B. aufgrund komplizierter Abbauarbeiten, eine größere Zahl von Mitarbeitern erforderlich ist.[75] Hierdurch wird der Stilllegungsentschluss nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: gerade in dem Abbau der Anlagen und Erledigung der Restarbeiten, die an Stelle der früheren Betriebstätigkeit getreten sind, findet die Auflösung der Produktions- und Betriebsgemeinschaft ihren Ausdruck.
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Eine Betriebsstilllegung liegt ferner auch dann vor, wenn die Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft unter Aufgabe des Betriebszwecks zwar nicht von unbestimmter Dauer ist, sondern für eine im Voraus festgelegte, aber relativ lange Zeit erfolgt.[76] Entscheidend ist, ob die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Bauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben.[77] Dem steht die kurzfristige Weiterbeschäftigung einiger weniger Arbeitnehmer mit Abwicklungs- oder Aufräumungsarbeiten nicht entgegen.[78]
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Andererseits spricht nach der Rechtsprechung des BAG bei „alsbaldiger Wiedereröffnung“ des Betriebes eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Stilllegungsabsicht.[79] Ob eine – ggf. nur vorübergehende – Betriebsstillegung oder eine unerhebliche Betriebsunterbrechung vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
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Beispiel:
Nach der Rechtsprechung können etwa Zeiträume von zehn Monaten[80] bzw. neun Monaten[81] je nach Lage des Einzelfalles als erheblich erachtet werden.
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Bei einer von vornherein zeitlich begrenzten Arbeitsaufgabe (z.B. aufgrund von Umbauarbeiten, Saisonbetriebe) liegt ebenfalls keine Betriebsänderung vor.[82] Hierdurch wird die betriebliche Organisation und Produktionsgemeinschaft in ihrem Fortbestand nicht berührt.
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Die Veräußerung des Betriebs allein ist keine Betriebsstillegung, weil die Identität des Betriebes gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet. Führt der Erwerber den Betrieb nicht fort, wozu er auch nicht verpflichtet ist, so liegt erst in diesem Entschluss und nicht schon in der Betriebsveräußerung die Stilllegung. Eine Betriebsstilllegung und ein Betriebsübergang nach § 613a BGB schließen sich gegenseitig aus (vgl. dazu auch Rn. 104).[83]
b) Stilllegung wesentlicher Betriebsteile
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Die Stilllegung oder Einschränkung eines Betriebsteils ist dann eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, wenn ein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Unter Betriebsteil ist keine Betriebsabteilung i.S.d. § 4 BetrVG, § 15 Abs. 5 KSchG zu verstehen, so dass kein eigenständiger oder abgeschlossener Bereich betroffen sein muss. Als erforderlich, aber auch ausreichend wird vielmehr eine räumlich oder organisatorisch abgrenzbare Einheit in der Betriebsorganisation angesehen.[84]
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Diese muss für den ganzen Betrieb „wesentlich“ sein, wobei ebenso wie für den Begriff „erhebliche Teile der Belegschaft“ (s. Rn. 28) auch für den Begriff „wesentlicher Betriebsteil“ grundsätzlich auf die Zahlenwerte