Kennzeichen der römischen Juristen der hochklassischen Zeit ist ihre meisterhafte Kunst der Entscheidung von Einzelfällen. Zu den glanzvollsten Namen gehören zwei Juristen, die hauptsächlich unter Kaiser Hadrian (117 – 138 n. Chr.) wirken: Celsus und Julian (Iulianus). Das Hauptwerk des Celsus bilden die vornehmlich kasuistisch angelegten 39 libri digestorum. Auf ihn geht eine Reihe bekannter Aussprüche zurück, z. B. die berühmte Definition des Rechts als ars boni et aequi (Kunst des [<<86] Guten und Gerechten) oder die zeitlos gültige Regel scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem (Gesetze kennen heißt nicht, ihre Worte kennen, sondern ihren Sinn und Zweck). Celsus gehört zu den letzten Schulhäuptern der Prokulianer (2. Kapitel 5.3, S. 71). Dagegen ist der etwas jüngere, in Nordafrika geborene Julian (um 100–um 170) ein Haupt der sabinianischen Rechtsschule. Über seine vielfältige und glänzende Ämterfolge sind wir durch die Inschrift einer Bildsäule unterrichtet, die ihm seine Heimatstadt gesetzt hat. Neben Labeo hat Julian die dogmatische Entwicklung des römischen Rechts am meisten geprägt. Zahlreiche bislang ungeklärte Streifragen sind durch ihn endgültig entschieden worden. Das außerordentliche Ansehen, das Julian schon zu Lebzeiten genoss, zeigt sich auch darin, dass Hadrian ihn damit beauftragte, das Edikt des Prätors abschließend zu redigieren (S. 85 f.). Sein Hauptwerk ist im Corpus iuris (4. Kapitel 4, S. 109) auszugsweise überliefert. Bei der vielleicht bedeutendsten Schrift eines römischen Juristen handelt es sich um die 90 Bücher umfassenden digesta, eine Sammlung von Rechtsfällen über zahlreiche Themen, insbesondere aus dem Privatrecht.
Von den hochklassischen Meistern der Rechtsanwendung zu unterscheiden sind Juristen, die den Unterricht in den Mittelpunkt ihrer schriftstellerischen Arbeit rücken. Hierzu gehört der bereits mehrfach genannte Pomponius, ein Zeitgenosse Julians. Pomponius ist sehr produktiv gewesen, seine Schriften übertreffen an Zahl und Umfang die der meisten übrigen römischen Juristen. Von den verschiedenen Werken sei besonders sein Enchiridium (Handbuch, wahrscheinlich ein Einführungslehrbuch) hervorgehoben. Der wichtigste Teil des auszugsweise im Corpus iuris wiedergegebenen Werks ist eine rechtsgeschichtliche Einleitung (D. 1.2.2), auf die vorstehend bereits wiederholt Bezug genommen wurde. Eine noch größere Wirkung hat freilich der ebenfalls schon mehrfach erwähnte Gaius (2. Jahrhundert) auf die Nachwelt ausgeübt. An erster Stelle seines Werks stehen die um 161 n. Chr. veröffentlichten Institutionen (3. Kapitel 2, S. 82.). Es wird vermutet, dass im 5. Jahrhundert von den Institutionen noch einige Exemplare in Umlauf waren. Der Historiker Barthold Georg Niebuhr (1776 – 1831) hatte im Jahr 1816 das Glück, auf eines dieser Exemplare in der Stiftsbibliothek von Verona zu [<<87] stoßen. Gaius zeigt sich wiederholt als Anhänger der Sabinianer (vgl. z. B. III, 141). Sein Ansehen ist unter den großen römischen Klassikern offenbar nicht allzu groß gewesen, da sie ihn nirgendwo zitieren.
Am Anfang der Spätklassik steht mit Papinian (um 150 – 212) eine herausragende Persönlichkeit, die an die besten Leistungen der klassischen Rechtswissenschaft anknüpft. Die Hauptwerke Papinians sind quaestiones (Rechtsfragen, hier kasuistisch-dogmatische Erörterungen) und responsa (Gutachten), von denen einige Fragmente auch außerhalb des Corpus iuris erhalten sind. Papinian wird 212 auf Befehl Caracallas hingerichtet, weil er nicht bereit ist, des Kaisers Mord an dessen Bruder und Mitkaiser Geta zu rechtfertigen. Auf Papinian folgt eine Zeit, in der das Sammeln und Ordnen des klassischen Rechts zur Hauptaufgabe wird. Die wichtigsten Juristen dieser Zeit sind Paulus und Ulpian (3. Jahrhundert). Von den überaus zahlreichen Schriften des Paulus haben die großen Kommentare zu den iuris civilis libri III des Sabinus (2. Kapitel 5.3, S. 71) und zum prätorischen Edikt sowie die aus seiner Respondiertätigkeit hervorgegangene Gutachtensammlung (responsa) und die ebenfalls der Tradition der hochklassischen Kasuistik verpflichteten quaestiones (Rechtsfragen) besondere Bedeutung. Der etwas jüngere, 223 bei einem Aufstand der Prätorianergarde ermordete Ulpian ist ein Schüler Papinians. Sein Hauptwerk sind die beiden, unter Caracalla geschriebenen großen Kommentare zum prätorischen und zum ädilizischen Edikt sowie zu den iuris civilis libri III des Sabinus. Auch Ulpian steht in höchstem Ansehen: Mehr als die Hälfte aller in Justinians Digesten aufgenommenen Auszüge aus Juristenschriften sind Fragmente der Schriften von Paulus und Ulpian. Etwa zwei Drittel davon entfallen auf Ulpian. Gerade die einführenden und grundlegenden Erörterungen zu den einzelnen Sachtiteln der Digesten sind häufig den Kommentaren des Ulpian entnommen.
4. Rechtsquellen unter dem Prinzipat
Auf Grund der Abneigung der Römer gegen eine umfassende Gesetzgebung bietet das römische Recht ein breites Spektrum unterschiedlicher Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des altrömischen Rechts waren [<<88] Zwölftafelgesetz, Zivilrecht und Legisaktionen (2. Kapitel 2, S. 61.). Letztere sind später durch die Edikte der Prätoren und kurulischen Ädilen verdrängt worden (2. Kapitel 3, S. 62.). Hinzu kommen die Volksgesetze (leges publicae populi Romani). Sie werden in Form von Gesetzen (leges) oder Plebisziten (plebiscita) erlassen, wobei letztere anfänglich nur für Plebejer gelten. Seit der Lex Hortensia (286 v. Chr.) sind die Plebiszite den leges offiziell gleichgestellt, verpflichten also auch die Patrizier (Pomp. D. 1.2.2.8). Daneben werden auch Beschlüsse des Senats (senatus consulta) und Gutachten der Rechtsgelehrten (responsa prudentium) als Rechtsquellen anerkannt (Gaius I, 2).
Der princeps beeinflusst die Rechtsfortbildung auf höchst unterschiedliche Weise, vor allem durch Entscheidungen von Einzelfällen (decreta), durch Antwortschreiben auf Eingaben (rescripta), durch Dienstanweisungen an Beamte (mandata), durch öffentliche Verordnungen (edicta) und durch Antworten auf Anfragen von Beamten oder Institutionen (epistula). Formell stehen ihm keinerlei Gesetzgebungsbefugnisse zu. Seine Erlasse sind aber vermöge der kaiserlichen Autorität als verbindliche Rechtsquelle anerkannt, gleichgültig ob sie als decretum, rescriptum, mandatum, edictum oder epistula ergangen sind. Später werden sämtliche kaiserlichen Rechtsetzungen als Konstitutionen (constitutiones) bezeichnet. Die vielleicht interessanteste Erscheinungsform kaiserlicher Rechtsetzung sind die Reskripte (rescripta). Den Anlass zur Entstehung dieser Art von Rechtsquellen bilden Anfragen, Petitionen, Bittschriften u. Ä., die von Beamten oder Bürgern an den Kaiser herangetragen werden. Die Antwortschreiben (rescripta) werden vom eigens dafür eingerichteten Büro a libellis der kaiserlichen Kanzlei ausgefertigt. Sie unterscheiden sich in einem wichtigen Punkt von anderen Rechtsgutachten. Während letztere auf der fachlichen Autorität des Gutachters ruhen, steht hinter den Schreiben der kaiserlichen Kanzlei die Staatsgewalt.
Die Reskriptenpraxis ist aber erst im 2. und 3. Jahrhundert zur wichtigsten Gattung kaiserlicher Rechtsetzung geworden (4. Kapitel 1, S. 100.). Augustus bevorzugt für seine Reformgesetzgebung die streng legitime Form des Volksgesetzes. Unter Augustus ist es noch einmal zu einer beträchtlichen Zahl von Volksgesetzen auf den verschiedensten Rechtsgebieten gekommen. Einen besonderen Rang nimmt hier seine Ehegesetzgebung [<<89] ein (3. Kapitel 5, S. 95.). Die regelmäßige Form des Gesetzes sind im Prinzipat aber nicht die Volksgesetze, die nur zu Anfang noch erlassen werden, sondern Senatsbeschlüsse. Während der Republik besaß der Senat nur die Befugnis, die Ausführung der Gesetze durch autoritative Auslegung zu regeln. Er gab den Jurisdiktionsmagistraten verbindliche Anweisung über die Handhabung