11Eine Ausnahme bildet das Strafrecht (§ 1 StGB), wo Analogieverbot besteht (dazu näher S. 425; 21. Kapitel 3, S. 478).
Im Jahre 31 v. Chr. siegt Oktavian (63 v. Chr.–14 n. Chr.), der spätere Kaiser Augustus, über Antonius und Kleopatra in der Seeschlacht bei Actium. Dieser Sieg markiert den Wandel des römischen Weltreichs von einer Republik zu einem Kaiserreich. Die Römer beherrschen nun beinahe den ganzen Umkreis der alten Welt: West- und Südeuropa, Kleinasien, den vorderen Orient, Ägypten und Nordafrika. Die Ausdehnung des Machtbereichs stellt sie vor Aufgaben, die mit den verfassungsrechtlichen Instrumentarien der Adelsrepublik nicht mehr zu bewältigen sind. Seit Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. mussten große Heeresverbände aufgestellt werden, die in den entferntesten Teilen der Welt operierten. Dies führte zur Konzentration militärischer Macht in der Hand einzelner Aristokraten. Sulla, Pompeius oder Caesar waren solche Aristokraten, die mit ihren Heeresverbänden das republikanische Staatsgebilde erschütterten. Folgerichtig endete das letzte Jahrhundert der Republik mit seinen außen- und innenpolitischen Konflikten im Prinzipat des Augustus 27 v. Chr. Das Wort princeps blieb bis in die Spätantike hinein die häufigste Bezeichnung für den Kaiser. Augustus hatte das Wort gewählt, weil er nichts anderes sein wollte als der erste Bürger einer freien Stadt, in der es einzelnen nicht gestattet ist, sich als Herren über alle anderen emporzuschwingen. Die Wahl des Wortes hat insoweit eine strategische Bedeutung.
Augustus bewahrt durch weise staatspolitische Maßnahmen die Gesellschaft vor dem Niedergang und legt die Grundlage für das jahrhundertelange Fortbestehen des römischen Reiches. Er stellt im Inneren des Reiches Ruhe und Ordnung wieder her und verhindert durch eine Verbesserung der Provinzialverwaltung, dass die Provinzen zum Ausbeutungsobjekt der Statthalter und der römischen Hochfinanz herabgewürdigt werden. Er bringt den Handel mit dem Orient wieder in Gang und [<<79] schafft die Grundlage für ein großes Straßennetz. Die durch seine Maßnahmen eintretende Erholung der Wirtschaft kommt auch den weniger vermögenden Teilen der Bevölkerung zugute. Der Wirtschaftsaufschwung geht Hand in Hand mit einer kulturellen Blüte. Man bezeichnet die Zeit des Augustus als das goldene Zeitalter der römischen Literatur, in dem Autoren wie Vergil, Horaz, Ovid, Tibull und Properz wirken. Auch die bildenden Künste, insbesondere die Architektur, erleben in dieser Zeit einen großen Aufschwung.
1. Libertas, potestas und auctoritas
Freiheit (libertas) gehört seit den Anfängen der republikanischen Epoche zu den leitenden Begriffen der römischen Gemeinschaftsordnung. Den Zeitgenossen des Augustus ist die Schreckensherrschaft des letzten etruskischen Königs Tarquinius Superbus ebenso in lebendiger Erinnerung geblieben wie das Schicksal Caesars, von dem behauptet wurde, er habe sich offen zum König (rex) ausrufen lassen wollen. Augustus ist daher bestrebt, so bescheiden wie möglich aufzutreten und seine Regierungsform von Königtum und Diktatur klar abzugrenzen. Ein berühmtes Zeugnis seiner ‚Bescheidenheit‘ bietet der von ihm verfasste Rechenschaftsbericht. Den Text hat man 1555 an den Innenwänden der Vorhalle eines Augustus-Tempels in Ankara entdeckt. Nach seinem Fundort heißt er Monumentum Ancyranum. In § 34 der Inschrift lässt Augustus verlautbaren:
In meinem sechsten und siebten Konsulat, nachdem ich den Bürgerkriegen ein Ende gesetzt hatte, habe ich, der ich mit Zustimmung aller die höchste Gewalt erlangt hatte, den Staat aus meinem Machtbereich wieder der freien Entscheidung des Senats und des römischen Volks übertragen. Für dieses mein Verdienst bin ich durch Senatsbeschluß Augustus genannt worden … Danach überragte ich zwar alle an Ansehen, Macht aber besitze ich seitdem nicht mehr als die anderen, die meine Kollegen in irgendeinem Amt waren oder noch sind.
Neben der Annuität, dem Jahreswechsel leitender Beamter, bildet die Kollegialität ein weiteres Prinzip, dem die Beamtenschaft in der [<<80] republikanischen Epoche unterstellt war. Man vermutet, dass sie gegen Ende der Ständekämpfe im 3. Jahrhundert v. Chr. eingeführt worden ist. Die Kollegialität war ursprünglich als Kontrollmechanismus gedacht, der ein allzu großes Anwachsen der Macht einzelner Beamten verhindern sollte. Augustus behauptet nun, er habe im Jahre 27 v. Chr. alle Gewalt den verfassungsmäßigen Organen zurückgegeben und nach Bereinigung der politischen Konflikte die Republik fortgeführt. An potestas (Gewalt) habe er nicht mehr besessen als seine ranggleichen Kollegen, nur an auctoritas habe er alle überragt. Neben libertas (Freiheit) zählt die mit Autorität nur unzureichend übersetzte auctoritas zu den wichtigsten Begriffen der römischen Gemeinschaftsordnung. Der Begriff entstammt dem altrömischen Privatrecht und sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen: Bei der Veräußerung im Wege einer mancipatio gewährleistet der Verkäufer (auctorem esse), dass er auch wirklich Eigentümer der verkauften Sache ist. Diese Gewährleistung (auctoritas) ist für den Käufer wichtig, weil er im Falle einer Nichtberechtigung des Veräußerers befürchten muss, dass sich ein Dritter, nämlich der wirkliche Eigentümer, meldet und die bereits bezahlte Sache herausverlangt. Der Glaube des Käufers an die Veräußerungsbefugnis bildet also das Gegenstück zur auctoritas des Verkäufers (S. 36). Auch außerhalb des Privatrechts gewährleistet derjenige etwas, der auctoritas hat. Allerdings ist hier der Inhalt der Gewährleistung kaum fassbar, er bezieht sich viel stärker auf die Person, die auctoritas hat.
Auctoritas ist eine Art des sozialen und politischen Prestiges, im Falle des Augustus wahrscheinlich sogar charismatische Autorität, die nach den Feststellungen Max Webers „stets eine irgendwie religiöse Weihe an sich“ trägt.12 Darauf verweist der in der Inschrift erwähnte Senatsbeschluss: Nach altrömischer Tradition muss die durchs Volk vollzogene Königswahl durch Zeichen der Götter bestätigt werden (auguratio). Schon die Einsetzung des ersten Königs Romulus erfolgte nach der Überlieferung im Wege einer solchen Auguration. Als man nun im Jahre 27 v. Chr. [<<81] nach einem Ehrennamen für den Prinzeps suchte, dachte man zunächst an Romulus. Mit der Wahl dieses Namens hätte der Prinzeps aber den Vorwurf riskiert, er wolle die Stellung eines Königs für sich in Anspruch nehmen. Unter offenbarer Anspielung auf augurium wählte man daher „Augustus“. Ohne an die Person eines Königs zu erinnern, verweist der Name Augustus auf den Segen jener höheren Instanzen, die bei Begründung charismatischer Autorität regelmäßig mit im Spiel sind. So kann sich Augustus als „erster Bürger“ (princeps), als primus inter pares präsentieren, den nur die auctoritas aus dem Kreis ranggleicher Beamten (collegae) heraushebt. Tatsächlich aber gab es im Prinzipat kein politisch einflussreiches republikanisches Organ mehr, das nicht durch die Zuständigkeit des Prinzeps überlagert worden wäre. Augustus verschleiert also seine tatsächliche Machtposition, wenn er sie ausschließlich auf auctoritas zurückführt. Bei republikanisch gesinnten Juristen wie etwa M. A. Labeo (2. Kapitel 5.3, S. 71) ist die durch Augustus geschaffene neue Ordnung daher auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die Fachliteratur hat immer wieder die Frage aufgeworfen, ob der Staat des Augustus schon als Monarchie oder noch als Republik zu betrachten sei. Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, es habe sich um ein Zwischengebilde gehandelt, das Elemente beider Staatsformen enthielt.
2. Römisches Juristenrecht unter dem Prinzipat
Augustus hat die Juristen