Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Babusiaux
Издательство: Bookwire
Серия: Wege zur Rechtsgeschichte
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783846352915
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8: Rechtsschichten der Kaiserzeit

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      Die beschriebenen Entwicklungsstufen des römischen Privatrechts, die sich aus Sicht der kaiserzeitlichen Juristen als unterschiedliche Rechtsschichten darstellen, sind im Folgenden für das römische Erbrecht zu untersuchen.

      7 Das Gesetz ist nicht erhalten; es wird aufgrund von Zitaten vor allem aus der juristischen und antiquarischen Literatur rekonstruiert, dazu zuletzt Oliviero Diliberto, Materiali per la palingenesia delle XII Tavole, Vol. 1, Cagliari 1992; Michel Humbert/Andrew D. E. Lewis/Michael H. Crawford, Lex duodecim tabularum, in: Michael H. Crawford (Hrsg.), Roman Statutes II, London 1996, 555 – 721. Nützlich die zweisprachige Ausgabe von Dieter Flach/Andreas Flach (Hrsg.), Das Zwölftafelgesetz. Leges XII tabularum, Darmstadt 2004.

      8 Daher wird das ius civile in traditionellen Formulierungen auch als ius Quiritium = „Recht der Quiriten“, von quirites = „römische Bürger“, bezeichnet.

      Bereits das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) unterscheidet danach, ob die Erbfolge aufgrund Testaments oder nach dem Gesetz eintritt. Die gesetzliche Erbfolge ist subsidiär, kommt also nur dann zur Anwendung, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat (V,4): „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, soll der gradnächste agnatische Verwandte den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ 9 (si intestato moritur, cui suus heres nec essit, agnatus proximus familiam pecuniamque habeto.) Die Voraussetzung des testamentslosen Versterbens (intestatus = „ohne Testament“, davon: Intestaterbfolge) meint dabei Folgendes:

       D. 50.16.64 Paulus 67 ad edictum„Intestatus“ est non tantum qui testamentum non fecit, sed etiam cuius ex testamento hereditas adita non est.

      „Ein ohne Testament Verstorbener“ (intestatus) ist nicht nur derjenige, der kein Testament errichtet hat, sondern auch derjenige, aus dessen Testament die Erbschaft nicht angetreten worden ist.

      Das Intestaterbrecht greift nicht nur dann ein, wenn der Erblasser von vornherein kein wirksames Testament errichtet hat, sondern auch dann, wenn das errichtete Testament aus einem anderen Grund nicht zur Anwendung gelangt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der eingesetzte Erbe vorverstorben ist, oder sich weigert, die Erbschaft anzutreten. In diesem Fall treten Familienangehörige und Verwandte des Erblassers die Erbfolge an; das Intestaterbrecht wird daher auch als „Familienerbrecht“ bezeichnet.

      Die von den Erben erworbene Rechtsposition wird in den Zwölftafeln als Vermögensinhaberschaft beschrieben. Dabei wird das Vermögen mit der Synonymdoppelung familia pecuniaque gekennzeichnet, erfasst also sowohl die Dienerschaft (Sklaven) des Testators (familia = „Dienerschaft, Hausgenossenschaft“) als auch die finanziellen Mittel (pecunia = „Geld“):

       D. 50.16.195.1 Ulpianus 46 ad edictum„Familiae“ appellatio qualiter accipiatur, videamus. et quidem varie accepta est: Nam et in res et in personas deducitur. in res, ut puta in lege duodecim tabularum his verbis „adgnatus proximus familiam habeto“. […].

      Wir wollen betrachten, auf welche Weise die Bezeichnung familia verstanden wird. Und sie ist allerdings auf verschiedene Weise aufgefasst worden: Sie wird nämlich sowohl auf Sachen als auch auf Personen angewendet. Auf Sachen, wie zum Beispiel im Zwölftafelgesetz, mit diesen Worten „der gradnächste agnatische Verwandte soll die familia haben“. […].

      Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) betont, dass sich der Begriff familia im Intestaterbrecht der Zwölftafeln auf Sachen, nicht auf Personen beziehe. Das Wort familia steht also nicht nur für die personenrechtliche Beziehung zwischen Familienangehörigen, sondern kann auch das Vermögen bezeichnen.

      Aufgrund der Abhängigkeit des Intestaterbrechts von den Familienstrukturen sind im Folgenden auch die Grundsätze des römischen Familienrechts vorzustellen und in ihrer Bedeutung für das Intestaterbrecht zu würdigen.

      Die römische Familie ist – genau wie die civitas (Kap. 2.2.2) – als Rechtsgemeinschaft definiert. Diese Gemeinschaft ist hierarchisch organisiert:

       D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] iure proprio familiam dicimus plures personas, quae sunt sub unius potestate aut natura aut iure subiectae, ut puta patrem familias, matrem familias, filium familias, filiam familias quique deinceps vicem eorum sequuntur, ut puta nepotes et neptes et deinceps. Pater autem familias appellatur, qui in domo dominium habet, recteque hoc nomine appellatur, quamvis filium non habeat: non enim solam personam eius, sed et ius demonstramus. […].

      […] nach eigenem Recht (ius civile) bezeichnen wir als Familie mehrere Personen, die entweder der Natur nach oder rechtlich der Gewalt eines einzelnen unterworfen worden sind, wie zum Beispiel den Hausvater (pater familias), die Mutter (mater familias), den Haussohn (filius familias), die Haustochter (filia familias) und diejenigen, die der Reihe nach an ihre Stelle nachfolgen, wie zum Beispiel Enkel und Enkelinnen und so weiter. Als pater familias aber wird derjenige bezeichnet, der im Haus die Vermögensgewalt innehat, und richtigerweise wird er auch mit diesem Namen bezeichnet, wenn er auch kein Kind hat. Wir bezeichnen nämlich nicht allein seine Person, sondern auch die Rechtsstellung. […].

      Familie im Sinne des ius civile ist ein Personenverband, welcher der Gewalt eines Oberhaupts untersteht. Das Oberhaupt der römischen Familie ist der Hausvater (pater familias), der die anderen Angehörigen der Familie in seiner Gewalt hat. Dabei ist zu beachten, dass die väterliche Gewalt auch für die Abkömmlinge der Haussöhne gilt, also generationsübergreifend wirkt. Solange also der Großvater lebt, stehen seine Söhne und deren Kinder in seiner Gewalt. Da einem Haussohn mit dem Ausscheiden aus der väterlichen Gewalt die Möglichkeit eröffnet wird, selbst Oberhaupt einer Familie zu sein, wird er als pater familias („Hausvater“) bezeichnet, sobald er aus der Gewalt des Vaters ausscheidet. Diese Bezeichnung gilt unabhängig davon, ob der aus der Gewalt Ausscheidende verheiratet ist oder Kinder hat; sie kennzeichnet also nur die eigene Unabhängigkeit von der väterlichen Gewalt. Bei Enkeln ist zu beachten, dass sie mit dem Tod des Großvaters in die Gewalt ihres Vaters übergehen, also ihrerseits nicht rechtlich selbstständig werden, sondern nur den Gewalthaber wechseln.

      Die Hausgewalt des Hausvaters (patria potestas) umfasste ursprünglich das Recht, über Leben und Tod der Abkömmlinge zu entscheiden; noch in der Zeit des Prinzipats beinhaltet sie die Befugnis zur Aussetzung von neugeborenen Hauskindern. Vermögensrechtlich führt die Gewaltunterworfenheit zur Vermögensunfähigkeit: Hauskinder erwerben durch Geschäfte nicht für sich selbst, sondern – gleichsam als „verlängerter Arm“ des Hausvaters – nur mit Wirkung für diesen. Aus diesem Verständnis der Hausgewalt erklärt sich, warum die familia in einem weiteren Sinne auch die Sklaven erfasst: Auch sie stehen in der Gewalt des Hausvaters und erwerben – genau wie die Hauskinder – mit Wirkung für diesen:

       Gai. 2,87Igitur liberi nostri, quos in potestate habemus, item quod servi nostri […] nanciscuntur […] id nobis adquiritur […]; et ideo si heres institutus sit, nisi nostro iussu hereditatem adire non potest; et si iubentibus nobis adierit, hereditas nobis adquiritur, proinde atque si nos ipsi heredes instituti essemus; et convenienter scilicet legatum per eos nobis adquiritur.

      Was also unsere Hauskinder, die wir in der Hausgewalt haben, ebenso was unsere Sklaven […] erlangen, […] das wird für uns erworben, […]. Und daher kann er [derjenige, der in der Hausgewalt ist], wenn er zum Erben eingesetzt worden ist, nur auf unser Geheiß hin die Erbschaft antreten […]; und wenn er sie auf unseren Befehl hin angetreten hat, wird die Erbschaft für uns ebenso erworben, wie wenn wir selbst zu Erben eingesetzt