Voraussetzung für die Begründung der Hausgewalt (patria potestas) über die Kinder ist das Bestehen einer rechtmäßigen römischen Ehe zwischen den Eltern:
Gai. 1,55Item in potestate nostra sunt liberi nostri, quos iustis nuptiis procreavimus, quod ius proprium civium Romanorum est. […].
Ebenso stehen unsere Kinder, die wir in rechtmäßiger Ehe gezeugt haben, in unserer Hausgewalt (potestas). Dieses Recht ist den römischen Bürgern vorbehalten. […].
Eine rechtmäßige Ehe setzt voraus, dass beide Eheleute das römische Bürgerrecht haben. Mit Nichtrömerinnen kann ausnahmsweise dann eine nach römischem Recht gültige Ehe eingegangen werden, wenn ihnen das Privileg der Eheeingehung nach römischem Recht, das conubium, verliehen worden ist.
Das Gewaltverhältnis – das heißt die Vermögensunfähigkeit des Hauskindes – endet grundsätzlich erst dann, wenn der Gewalthaber verstirbt:
D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] Et cum pater familias moritur, quotquot capita ei subiecta fuerint, singulas familias incipiunt habere: Singuli enim patrum familiarum nomen subeunt. […].
[…] Und wenn der pater familias verstirbt, beginnen die Personen, wie viele auch immer ihm unterworfen gewesen sind, einzelne Familien zu haben; denn jeder einzelne von ihnen übernimmt den Namen pater familias. […].
Mit dem Tod des Hausvaters werden die Hauskinder gewaltfrei und vermögensfähig; dabei wird nicht zwischen Haussöhnen und Haustöchtern unterschieden. Ein Unterschied zwischen Haussöhnen und Haustöchtern ergibt sich aber daraus, dass Haussöhne selbst Hausgewalt über in rechtmäßiger Ehe geborene Abkömmlinge begründen können, während die Haustöchter lediglich Gewalt über sich selbst erlangen (Kap. 3.1.4).
Aus diesem Nachrücken der Hauskinder in die Position des Hausvaters bei dessen Tod ergibt sich die erste Stufe der römischen Intestaterbfolge nach ius civile. Der bereits zitierte Zwölftafelsatz V,4 sieht vor, dass der testamentslose Erblasser von seinem Hauserben (suus heres) beerbt wird: „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, […]“ (si intestato moritur, cui suus heres nec essit […].). Die Rechtsnachfolge der Hauskinder in die Stellung des Hausvaters wird dabei nicht angeordnet, sondern vorausgesetzt.
3.1.1 Das Erbrecht der Hauskinder
Die gleichsam natürliche Nachfolge der Hauserben in die Rechtsposition des Hausvaters ist eine Konsequenz der Vermögensunfähigkeit der Hauskinder zu Lebzeiten des Hausvaters:
D. 28.2.11 Paulus 2 ad SabinumIn suis heredibus evidentius apparet continuationem dominii eo rem perducere, ut nulla videatur hereditas fuisse, quasi olim hi domini essent, qui etiam vivo patre quodammodo domini existimantur. Unde etiam filius familias appellatur sicut pater familias, sola nota hac adiecta, per quam distinguitur genitor ab eo qui genitus sit. Itaque post mortem patris non hereditatem percipere videntur, sed magis liberam bonorum administrationem consequuntur. […].
Es erscheint in Bezug auf die Hauserben ziemlich einleuchtend, dass die Fortsetzung der Eigentümerstellung dazu führt, dass es keine Erbschaft gegeben zu haben scheint, weil diese angeblich seit langem Eigentümer waren, die auch zu Lebzeiten ihres Vaters auf gewisse Weise für Eigentümer gehalten werden. Daher wird auch der Haussohn nach dem Hausvater benannt, unter Hinzufügung dieses alleinigen Merkmals, durch das der Erzeuger von dem, der gezeugt worden ist, unterschieden wird. Nach dem Tod des Vaters scheinen sie daher nicht eine Erbschaft zu erwerben, sondern sie erlangen vielmehr die freie Verwaltung des Vermögens. […].
Zu Lebzeiten des Hausvaters sind die Hauskinder selbst nicht vermögensfähig, aber aufgrund des Gewaltverhältnisses am Familienvermögen beteiligt. Sie haben also keine eigene Verwaltungsbefugnis, sondern unterstehen auch insoweit dem Vorrecht des Hausvaters. Aus dieser Sicht bedeutet der Tod des Hausvaters die Übernahme der Verwaltung durch die schon zuvor mitberechtigten Hauskinder. Da der Hausvater wie die Hauskinder der Familie angehören, führt der Tod des Hausvaters nicht zum Ende des Familienvermögens, sondern nur zum Wechsel der Verwaltungsbefugnis.
Gai. 3,2Sui autem heredes existimantur […] liberi, qui in potestate morientis fuerunt, veluti filius filiave, nepos neptisve ex filio, pronepos proneptisve ex nepote filio nato prognatus prognatave. […] ita demum tamen nepos neptisve et pronepos proneptisve suorum heredum numero sunt, si praecedens persona desierit in potestate parentis esse, sive morte id acciderit sive alia ratione, veluti emancipatione; nam si per id tempus, quo quis moriatur, filius in potestate eius sit, nepos ex eo suus heres esse non potest. Idem et in ceteris deinceps liberorum personis dictum intellegemus.
Als Hauserben gelten aber […] die Hauskinder, die in der Hausgewalt des Sterbenden standen, wie beispielsweise ein Sohn oder eine Tochter, ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, ein Urenkel oder eine Urenkelin, der oder die von einem Enkel abstammen, welcher der Sohn des Sohnes ist. […]. Dennoch zählen ein Enkel oder eine Enkelin und ein Urenkel oder eine Urenkelin nur dann zu den Hauserben, wenn die im Grade vorhergehende Person aus der Hausgewalt des Hausvaters ausgeschieden ist, sei es, dass dies durch den Tod oder aus einem anderen Grund geschehen ist, beispielsweise durch emancipatio; wenn nämlich jemand zu dem Zeitpunkt, an dem er stirbt, einen Sohn in seiner Hausgewalt hat, kann der von diesem abstammende Enkel nicht Hauserbe sein. Dieselbe Aussage gilt auch im Falle der übrigen Hauskinder der Reihe nach.
Die Hauserbenstellung ist nicht auf die Kinder des Erblassers beschränkt. Vielmehr sind alle Abkömmlinge, die über die Söhne in der Gewalt des (Groß-)Vaters stehen, als Hauserben anzusehen. Die gradferneren Abkömmlinge wie Enkel und Urenkel werden aber zu Lebzeiten der gradnäheren, also der Söhne und Enkel, von diesen verdrängt. Erst wenn ein Sohn oder Enkel aus der Hausgewalt ausscheidet, rücken seine Kinder, das heißt die Enkel des Erblassers, in die Position ihres Vaters ein (Stammesprinzip). Solange der Haussohn lebt und nicht emanzipiert ist, verdrängt er die Abkömmlinge (Repräsentationsprinzip).
Diese Verdrängung betrifft freilich nur die eigenen Abkömmlinge:
Gai. 3,7Igitur cum filius filiave et ex altero filio nepotes neptesve extant, pariter ad hereditatem vocantur; nec qui gradu proximior est, ulteriorem excludit. Aequum enim videbatur nepotes neptesve in patris sui locum portionemque succedere. Pari ratione et si nepos neptisque sit ex filio et ex nepote pronepos proneptisve, simul omnes vocantur ad hereditatem.
Wenn folglich ein Sohn oder eine Tochter sowie Enkel oder Enkelinnen, die vom anderen Sohn abstammen, vorhanden sind, werden sie gleichermaßen zur Erbschaft berufen, und der Gradnähere schließt den Gradferneren nicht aus; denn man hielt es für gerecht, dass Enkel und Enkelinnen an die Stelle und in den Erbteil ihres Vaters nachrückten. Aus der gleichen Überlegung werden auch dann, wenn sowohl ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, als auch ein Urenkel oder eine Urenkelin, die von einem Enkel abstammen, vorhanden sind, alle zugleich zur Erbschaft berufen.
Durch das Stammesprinzip sind die von einem vorverstorbenen Sohn oder Enkel abstammenden Abkömmlinge neben den gradnäheren Söhnen oder Enkeln zur Erbfolge berufen. Die Kinder des vorverstorbenen Sohnes oder Enkels sind daher gleichberechtigte Hauserben mit den Geschwistern des Sohnes, also ihren Onkeln und Tanten. Haustöchter dagegen, die zu ihren Lebzeiten gleichberechtigt mit ihren Brüdern als Hauserben berufen sind, bilden keinen Stamm. Daher werden ihre Abkömmlinge nicht als Hauserben des mütterlichen Großvaters berufen, sondern sind, sofern sie in legitimer Ehe gezeugt wurden, in der Familie des Ehemanns erbberechtigt.
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich die