I. Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters
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Nach Eingang des Antrags prüft das Insolvenzgericht vorab, ob der Insolvenzantrag zulässig ist, § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO. Mit der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags beginnt für den Schuldner die Auskunfts- und Mitwirkungspflicht. Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten.
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Das Gericht kann gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 1.Alt. InsO dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 2.Alt. InsO anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Diese unterschiedlichen Formen des vorläufigen Insolvenzverwalters werden als sog. „starker“ und „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bezeichnet.
1. Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zwischen dem sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter und dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden.
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Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 1 und Abs. 3 InsO (vgl. im Einzelnen Rn. 100).
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Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 1 und Abs. 3 InsO (vgl. im Einzelnen Rn. 102).
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Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter begründet für alle Steuerarten Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO, der gemäß Art. 103e EGInsO für alle Insolvenzverfahren gilt, die ab dem 1.1.2011 beantragt worden sind.
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In Insolvenzverfahren, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind, gilt gemäß Art. 103m EGInsO § 55 Abs. 4 InsO in folgender Fassung:
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„Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich:
1. sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
2. bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuer,
3. die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und
4. die Lohnsteuer.“
2. Stellung des Insolvenzverwalters
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Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.1
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Vom Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts ist das gesamte insolvenzbefangene Vermögen des Schuldners einschließlich des im Ausland belegenen Schuldnervermögens sowie der Neuerwerb erfasst; nicht hingegen das insolvenzfreie Vermögen sowie die nicht vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen Rechte des Schuldners.2
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Die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung bleiben gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO unberührt. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO diese Pflichten zu erfüllen.
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Die steuerrechtliche Pflicht zur Buchführung durch den Insolvenzverwalter besteht nicht nur gegenüber der Finanzverwaltung, sondern auch grundsätzlich gegenüber dem Verfahrensschuldner.3
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Die Pflicht erwächst aus der Amtsstellung des Insolvenzverwalters, die schutzwürdige Interessen des Schuldners unmittelbar berührt.4
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Das Insolvenzverfahren lässt die handelsrechtlichen Buchführungspflichten und damit auch die steuerlichen Buchführungspflichten gemäß § 140 AO unberührt. Den Insolvenzverwalter treffen gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO sämtliche Buchführungs- und Bilanzierungspflichten.5
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Die Regelung des § 155 InsO bezieht sich nur auf die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegungspflicht. Neben diese Pflicht tritt die Pflicht, die der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO i.V.m. §§ 140 bis 148 AO hat.6
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Der Insolvenzverwalter ist verfahrensrechtlich Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO und hat daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren zu erfüllen.7
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Die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters berechtigen und verpflichten den Insolvenzschuldner persönlich, da dieser steuerrechtsfähig bleibt.8
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Der Insolvenzschuldner bleibt auch verfahrensrechtlich Beteiligter i.S.v. § 78 AO. Der Schuldner verliert allerdings mit Insolvenzeröffnung die nach § 79 AO erforderliche Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Insolvenzmasse.9
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Der Insolvenzverwalter hat insbesondere die sich aus den §§ 90, 93ff., 137ff., 140ff. und 149ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen.10
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Daher ist der Insolvenzverwalter dafür verantwortlich, die laufenden und die noch ausstehenden Steuererklärungen auch für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung zu erstellen und abzugeben. Diese Pflichten ergeben sich aus den § 34 Abs. 3 AO, § 155 InsO i.V.m. §§ 140, 141 AO, §§ 25 EStG i.V.m. § 56 EStDV, 31 KStG, § 18 UStG, § 14a GewStG.11
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Die steuerlichen Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters umfassen nicht die insolvenzunabhängigen Aufwendungen, wie beispielsweise die Sonderausgaben gemäß § 10 EStG und die außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 33 EStG, und nicht das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners.12
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Die Steuererklärungspflicht obliegt dem Insolvenzschuldner in den Fällen der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit – § 35 Abs. 2 InsO – und in den Fällen der Eigenverwaltung – §§ 270ff. InsO.13
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Sofern der Insolvenzschuldner deshalb neben der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit keine weitere vom Insolvenzbeschlag betroffene Tätigkeit ausübt, und somit keine weiteren Einkünfte i.S.d. §§ 13–22 EStG erzielt, gehört es zum Pflichtenkreis des Insolvenzschuldners, die Einkommensteuererklärung