243
Praxistipp:
Der Antrag auf Fristverlängerung zum Zweck der Stundung fälliger Steuerzahlungen bei bereits fertiggestellter Steuererklärung kann eine Steuerhinterziehung darstellen. Der Grund ist darin zu sehen, dass bereits die verspätete Festsetzung oder Beitreibung von Steuerforderungen einen steuerlichen Vorteil darstellt.53
244
Für den Insolvenzverwalter entsteht eine aus seiner Position problematische Situation, wenn er anstelle des Schuldners von der Finanzbehörde zur Abgabe von Steuererklärungen aufgefordert wird. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 23.8.1994 erkannt, dass es in der Regel unerheblich sei, ob die Masse über ausreichende Mittel verfüge, um Steuererklärungen durch einen Dritten erstellen zu lassen. Der Konkursverwalter kann danach die Abgabe der Steuererklärung nicht mit der Begründung ablehnen, die Kosten für die Erstellung der Steuererklärung durch einen Steuerberater könnten nicht aus der Masse beglichen werden.54
245
Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“ aus dem Jahr 2001 kam in Verfahren, die masselose, vermögenslose Kleingewerbetreibende betreffen, zu den nachstehenden Feststellungen: Regelmäßig veranlasst die Finanzbehörde im Fall der Nichterfüllung von Steuererklärungspflichten durch den Schuldner für die vergangenen Veranlagungszeiträume Schätzungen. Die Schätzungen bewirken nicht, dass der Schuldner bzw. der Insolvenzverwalter von der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen befreit ist. Die Befreiung kommt aus den Gründen der Gleichbehandlung mit anderen, nicht in der Insolvenz befindlichen Personen nicht in Betracht. Zudem ist nicht nur die Steuererklärungspflicht, sondern auch das Steuererklärungsrecht zu bedenken. Der Insolvenzverwalter muss bei der Schätzung, die zu hoch ausfällt, das Steuererklärungsrecht in Anspruch nehmen können, um eine niedrigere Steuerfestsetzung zu erreichen. Da auf das Steuererklärungsrecht des Insolvenzverwalters nicht verzichtet werden kann, kommt aus diesem Grund eine einseitige Befreiung von der Steuererklärungspflicht nicht in Betracht.55
246
Die Finanzbehörde ist darum bemüht, die Veranlagungszeiträume periodengerecht abzuschließen. Das hat für den Insolvenzverwalter zur Folge, dass er in der Regel die aktuellen Steuererklärungspflichten zu erfüllen hat. Um die Veranlagungsarbeiten abzuschließen, wendet die Finanzbehörde regelmäßig das Instrument der Schätzung an. Sie verzichtet für gewöhnlich auf Zwangsgeldfestsetzungen gegen den Insolvenzverwalter zur Durchsetzung der Steuererklärungspflichten. Daher sind Probleme im Hinblick auf die Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters im massearmen Verfahren bei Zugrundelegung der dargestellten Schätzungspraxis der Finanzbehörde weitgehend theoretischer Natur. Sollte der Insolvenzverwalter im Einzelfall zur Erfüllung von umfangreichen Steuererklärungspflichten angehalten werden, besteht für ihn die Möglichkeit, Masseunzulänglichkeit anzuzeigen.56
247
Praxistipp:
Die Finanzbehörde kann Zwangsgeld gegen den Insolvenzverwalter wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen festsetzen.57
248
Nicht ohne Ironie merkt der BFH an, dass die Erstellung von „Null-Erklärungen“ einem Insolvenzverwalter, der auch Rechtsanwalt ist, „keine Schwierigkeiten bereiten sollte“.58
249
Das Finanzamt ist berechtigt, zwecks fehlender Beibringung von Steuererklärungen Anordnungsverfügungen und Zwangsgeldandrohungen gegen den Konkursverwalter auszubringen.59
250
Das Zwangsgeld ist nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen den Insolvenzverwalter persönlich festzusetzen.60
251
Bei Personenhandelsgesellschaften hat der Insolvenzverwalter soweit die Steuererklärungen abzugeben, wie es sich um Steuern handelt, die auch von der Gesellschaft geschuldet werden, also z.B. die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung, nicht aber die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung. Soweit die Gesellschafter Interesse an der Abgabe solcher Steuererklärungen haben, z.B. im Zusammenhang mit der Erhaltung von Verlustvorträgen etc., haben sie die Möglichkeit, der ansonsten durch die Finanzverwaltung drohenden Schätzung zu entgehen, indem sie die Erstellung der Erklärungen durch den Insolvenzverwalter bzw. einen von ihm zu beauftragenden Steuerberater bevorschussen.
252
Im Hinblick darauf, dass den Insolvenzverwalter auch die Verpflichtung trifft, rückständige Steuererklärungen zu erstellen, ist hier eine Abgrenzung zur Berichtigung nach § 153 AO vorzunehmen (vgl. dazu Rn. 580ff.).
253
Berichtigungen können sich sowohl zugunsten der Insolvenzmasse auswirken, z.B. bei der Ausbuchung von Forderungen und bei Bestandsveränderungen, aber auch zulasten der Insolvenzmasse, z.B. bei der Erfassung bislang nicht erklärter Umsätze sowie der Auflösung von Rückstellungen.
254
Die Hinnahme von Schätzungen (§ 162 AO) kann den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen (vgl. dazu Rn. 634).
255
Im Übrigen sollte der Insolvenzverwalter erwägen, ggf. auch eine Aufklärung des Sachverhalts durch Nutzung des Informationsfreiheits- und Transparenzrechts herbeizuführen.61
2. Umsatzsteuer
a) Grundsätze
256
Bei der Umsatzsteuer besteht erfahrungsgemäß ein besonders hohes Haftungsrisiko, da die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ist und daher ausschließlich an die Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen anknüpft. Zutreffend hat der BFH zum Sinn der Umsatzsteuer im Jahre 1973 noch konstatiert: „Die meisten Verkehrssteuern einschließlich der Umsatzsteuer haben keinen tieferen Sinn als den, dem Staat Geld zu bringen“.62
257
Von besonderer Bedeutung bei der Umsatzsteuer sind Korrekturen, die aufgrund der Rechtsprechungsänderung des BFH in der jüngeren Vergangenheit erforderlich sind.
b) Umsatzsteuerkorrektur bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
258
Der BFH hat im Jahre 2010 zunächst entschieden, dass es durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile kommt. So ist zwischen der Insolvenzmasse, dem „vorinsolvenzlichen Unternehmensteil“ sowie ggf. dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen zu unterscheiden. Aus dieser Aufteilung schließt der BFH, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine erste Berichtigung gemäß § 17 UStG im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erforderlich ist, da der Schuldner das Recht verliert, seine gegen Drittschuldner bestehenden Forderungen einzuziehen. Die Forderungen werden daher nach Auffassung des BFH aus Rechtsgründen uneinbringlich. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später die Forderungen, so ist eine weitere Berichtigung gemäß § 17 UStG erforderlich.63
259
Der Grundsatz der Berichtigungssequenz gilt auch in der Eigenverwaltung. Vereinnahmt der Insolvenzschuldner im Rahmen der Eigenverwaltung das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet dies eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.64
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