a. Irrtümer bei persönlichen Strafausschließungsgründen
Zur Beantwortung der Frage, inwieweit sich die Irrtumsdogmatik persönlicher Strafausschließungsgründe übertragen lässt, ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob und wie Irrtümer in Bezug auf persönliche Strafausschließungsgründe zugelassen und behandelt werden.
Während eine Ansicht498 die Möglichkeit eines Irrtums verneint, will die Gegenauffassung499 differenzieren und Irrtümer dann zulassen, wenn sich Schuldgesichtspunkte in dem persönlichen Strafausschließungsgrund widerspiegeln. Dabei werden verschiedene Ansätze zur Behandlung des Irrtums vertreten; es finden sich insbesondere die Annahme eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) und einer analogen Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB sowie einer ebenfalls analogen Anwendung des § 35 Abs. 2 StGB.500
Allerdings sind Irrtümer auch nach der differenzierenden Ansicht dann nicht zu berücksichtigen, wenn der betreffende persönliche Strafausschließungsgrund „ausschließlich oder überwiegend [...] staatspolitischen Belangen dient [...] oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruht“.501
Ein Beispiel für einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der Schuldgesichtspunkte einschließt, ist § 258 Abs. 6 StGB. Danach ist trotz Verwirklichung einer Strafvereitelung straffrei, wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht. Die Regelung trägt „der notstandsähnlichen Lage desjenigen Rechnung [...], der einen Angehörigen vor Strafe schützt“.502 Demgegenüber handelt es sich bei der Indemnität (§ 36 StGB) um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der staatspolitischen Belangen dient und keine Schuldgesichtspunkte beinhaltet, da gerade keine entschuldigungsähnliche Zwangslage Gegenstand des Strafausschließungsgrundes ist. § 36 StGB dient allein dem Zweck, „vor dem Forum des Parlaments eine möglichst freie Diskussion [zu] ermöglichen“.503
b. Folgen einer Übertragung dieser Grundsätze auf die §§ 8 bis 10 TMG
Nach der differenzierenden Ansicht wäre demnach eine Berücksichtigung von Irrtümern im Rahmen der §§ 8 bis 10 TMG möglich, wenn die Haftungsprivilegierungen auf Schuldgesichtspunkten beruhen und nicht allein staatspolitischen Belangen dienen oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen.
Die Haftungsprivilegierungen sollen den Diensteanbietern Rechtssicherheit verschaffen und durch die damit verbundene Risikoreduzierung vor allem zur „Investitionsbereitschaft in die neuen Medien“ beitragen.504 Sie beruhen auf dem Gedanken, dass sich die Tätigkeit der Diensteanbieter auf einen technischen Vorgang beschränkt und einen bloßen Vermittlungsvorgang darstellt.505 Auf eine persönliche Zwangslage des Diensteanbieters, die für diesen zu einer Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens führt, wie für Schuldgesichtspunkte im Rahmen eines Entschuldigungsgrundes üblich,506 wird nicht abgestellt.
Die Haftungsprivilegierungen des TMG dienen demnach allein rechtspolitischen Zielen. Dies wird durch die Erwägungsgründe zur ECRL, deren Art. 12 bis 14 durch die §§ 8 bis 10 TMG in deutsches Recht umgesetzt sind, bestätigt. Nach Erwägungsgrund 3 zielt die ECRL „darauf ab, ein hohes Niveau der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft sicherzustellen, um einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen.“ Zudem rekurriert Erwägungsgrund 42 für die Haftungsprivilegierungen der Diensteanbieter auf deren Tätigkeit, die „rein technischer, automatischer und passiver Art“ sei. Nach Erwägungsgrund 40 dienen die Art. 12 bis 14 ECRL zudem der Beseitigung von „bestehende[n] und sich entwickelnde[n] Unterschiede[n] in den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, die als Vermittler handeln,“ und „das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes [behindern], indem sie insbesondere die Entwicklung grenzüberschreitender Dienste erschweren und Wettbewerbsverzerrungen verursachen.“ Der europäische Richtliniengeber verfolgt mit den Haftungsprivilegierungen demnach ebenfalls Wettbewerbs- und Wirtschaftsinteressen.
Eine (analoge) Anwendbarkeit der strafrechtlichen Irrtumsregelungen in Bezug auf einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen des TMG wäre deshalb auch bei einer Übertragung der differenzierenden Ansicht zu den Irrtümern bei persönlichen Strafausschließungsgründen nicht gegeben. Eine Entscheidung über die Übertragung dieser Irrtumsdogmatik und innerhalb der dort bestehenden Meinungsunterschiede ist somit entbehrlich.
c. Beschränkter Irrtum aufgrund subjektiver Elemente der Haftungsprivilegierungen
Die Berücksichtigung von Irrtümern ist mit Blick auf die subjektiven Elemente im Rahmen der Haftungsprivilegierungen, z.B. der Kenntnis der rechtswidrigen Handlung und der Information bei § 10 Satz 1 TMG, dennoch möglich, da diese Elemente ausdrücklich das Vorstellungsbild des Diensteanbieters betreffen. Erforderlich für das Entfallen der Haftungsprivilegierung des § 10 Satz 1 TMG ist demnach, dass der Diensteanbieter die rechtswidrige Handlung oder die Information dergestalt in sein Bewusstsein aufgenommen hat, dass er positive Kenntnis von ihr hat. Hat er diese Kenntnis nicht, besteht die Haftungsprivilegierung fort. Für das Bestehen der Haftungsprivilegierung nach § 10 Satz 1 TMG kommt es deshalb maßgeblich auf das subjektive Vorstellungsbild des Diensteanbieters an. Über ein solches kann er sich aber gerade irren. Dies gilt vor allem, wenn er – wie nach hier vertretener Auffassung (siehe unten J. I. 4. b.) – neben der Handlung auch deren Rechtswidrigkeit kennen muss. Eine Kenntnis bestimmter Umstände fordert auch § 9 Satz 1 Nr. 5 TMG. § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG setzt hingegen die Absicht der Zusammenarbeit mit dem Nutzer für ein Entfallen der Haftungsprivilegierung voraus.
Gerade wegen dieser subjektiven Bezugnahmen in § 10 Satz 1 TMG, aber auch in § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG und § 9 Satz 1 Nr. 5 TMG, ist es trotz grundsätzlich nicht bestehender Zwangslage des Diensteanbieters sachgerecht, Irrtümer im Rahmen der Haftungsprivilegierungen des TMG zu berücksichtigen,507 soweit sie die Umstände betreffen, welche die Merkmale ausfüllen, auf die sich das jeweilige subjektive Element bezieht. Unter Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgedanken führen diese Irrtümer dazu, dass das zum Entfallen der Haftungsprivilegierung erforderliche subjektive Element nicht vorliegt. Denn sobald der Diensteanbieter den Umstand nicht kennt, auf den sich das subjektive Element bezieht, liegt die erforderliche Kenntnis gerade nicht vor. Dabei ist es unerheblich, worauf diese Unkenntnis beruht, ob sie also in einem Irrtum über gewisse Umstände begründet ist oder nicht. In diesem Zusammenhang ließe sich grundsätzlich auch an eine analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG denken. Danach handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Zur Bejahung dieser Voraussetzungen genügt bereits „die schlichte Unkenntnis oder das schlichte Nichtbedenken eines Tatumstandes“.508 Aufgrund der allgemeinen und rechtsgebietsübergreifenden Geltung der Haftungsprivilegierungen des TMG ist jedoch die dargestellte Irrtumsberücksichtigung aus allgemeinen Erwägungen bzw. Rechtsgedanken einer analogen Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzuziehen. Die Notwendigkeit einer solchen Irrtumsberücksichtigung spiegelt sich bereits in den Voraussetzungen der §§ 9 Satz 1 Nr. 5 und 10 Satz 1 TMG wider, die ihrem Wortlaut nach schon die Kenntnis bestimmter Umstände verlangen, damit die Haftungsprivilegierung