i. Keine Vorsatzmodifikation
Aber auch eine Modifikation des Vorsatzes ist abzulehnen. Für diese spricht zwar insbesondere im Hinblick auf § 10 Satz 1 TMG, dass dieser für ein Entfallen der Haftungsprivilegierung unter anderem Kenntnis voraussetzt. Bei dieser handelt es sich auch um ein subjektives Element und zwar das kognitive Element des Vorsatzes, jedoch würde diese Lösung im Hinblick auf Fahrlässigkeitsdelikte zu einem „gesonderte[n] Prüfungsaufbau“ führen,474 da diesen gemein ist, dass sie keinen Vorsatz voraussetzen und die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung eine Frage der Schuld ist.475 Aber auch im öffentlichen Recht, insb. im Sicherheits- und Ordnungsrecht, wäre das Erfordernis eines Vorsatzes systemfremd, „da die öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme eines Verantwortlichen gerade nicht dessen Verschulden voraussetzt.“476
j. Keine Rechtfertigungsgründe
Die Haftungsprivilegierungen stellen auch keine Rechtfertigungsgründe dar. Soweit für eine Prüfung der §§ 8 bis 10 TMG auf Rechtwidrigkeitsebene, aber auch Schuldebene oder eine Qualifizierung als persönlicher Strafausschließungsgrund die Überschrift des dritten Abschnitts des TMG („Verantwortlichkeit“) angeführt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Formulierung wegen der rechtsgebietsübergreifenden Geltung nicht zur Herbeiführung einer solchen Einordnung führen kann.477 Vielmehr resultiert aus dem bezweckten umfassenden Geltungsbereich der Haftungsprivilegierungen die Notwendigkeit von Formulierungen, die in allen Rechtsgebieten zu demselben Ergebnis, nämlich der haftungsrechtlichen Privilegierung der Diensteanbieter führen. Aus einzelnen Begrifflichkeiten kann daher nicht auf eine bestimmte Einordnung innerhalb der strafrechtlichen Dogmatik geschlossen werden.478 Zudem finden sich in Rechtfertigungsgründen regelmäßig Formulierungen wie „nicht rechtswidrig“ und „nicht widerrechtlich“, die in §§ 8 bis 10 TMG nicht verwendet werden.479
Darüber hinaus weisen die §§ 8 bis 10 TMG auch nicht die dogmatischen Charakterzüge von Rechtfertigungsgründen auf. Rechtfertigungsgründe bezwecken „die sozial richtige Regulierung kollidierender Interessen“.480 Dabei wird „bei einer Kollision zweier Rechtsgüter das höher bewertete Rechtsgutinteresse dem geringer bewerteten vorgezogen“.481 Der Rechtsgutverletzung wird demnach mit einem Rechtfertigungsgrund ein anderes Rechtsgut gegenübergestellt, wodurch das materielle Unrecht beseitigt wird.
Demgegenüber dienen die Haftungsprivilegierungen des TMG der Rechtssicherheit für bestimmte Diensteanbieter, indem deren Verantwortlichkeit Grenzen gesetzt werden. Diese Risikoreduzierung soll vor allem zur „Investitionsbereitschaft in die neuen Medien“ beitragen.482 Sie beruht auf dem Gedanken, dass sich die Tätigkeit der Diensteanbieter auf einen technischen Vorgang beschränkt und einen bloßen Vermittlungsvorgang darstellt.483 Soweit davon auszugehen ist, dass das Verhalten der Diensteanbieter grundsätzlich als sozialadäquat anzusehen ist,484 führt dies nicht zu einer Qualifizierung der daran anknüpfenden Haftungsprivilegierungen als Rechtfertigungsgründe. Denn der Vermittlungsvorgang durch den Diensteanbieter beinhaltet grundsätzlich, dass der Diensteanbieter die Informationen weder veranlasst hat noch kennt.485 Die Information und ihre Verbreitung bleiben jedoch rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit wird durch die Haftungsprivilegierungen nicht beseitigt. Der Rechtsverletzung durch die Tätigkeit des Diensteanbieters wird kein Eingriff in ein anderes Rechtsgut gegenübergestellt, um eine Rechtfertigung herbeizuführen. Vielmehr erfolgt die Privilegierung allein zur Schaffung klarer Haftungskonturen und damit der Rechtssicherheit für die Diensteanbieter, um Investitionen in solche Diensteanbieter und damit wirtschaftliche Zwecke zu fördern. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Diensteanbieter bspw. im Hinblick auf § 10 Satz 1 Nr. 2 TMG zum Einschreiten verpflichtet bleibt, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Information erlangt hat.486
k. Keine Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe
Auch eine Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG als Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe scheidet aus. Schuldausschließungsgründe betreffen den Fall, dass „der Täter unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. sich von dieser Einsicht leiten zu lassen“.487 Entschuldigungsgründe lassen demgegenüber ausnahmsweise den Schuldvorwurf wegen einer rechtswidrigen Tat entfallen, indem sie an „eine außergewöhnliche Situation“ anknüpfen.488 Diese Situation muss „die Entscheidung zum rechtgemäßen Verhalten“ erschweren.489 Sie muss zur Unzumutbarkeit der Normbefolgung führen, was grundsätzlich der Fall ist, wenn die Situation für den Täter „Unglück“ ist und „auch allgemein als Unglück definiert wird oder aber einer anderen Person zugerechnet werden kann.“490
Wie bereits dargestellt, beruhen die §§ 8 bis 10 TMG allein auf wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Sie dienen nicht der Auflösung einer persönlichen Zwangslage des Diensteanbieters. Die Haftungsprivilegierungen entsprechen deshalb nicht dem Charakter eines Entschuldigungsgrundes. Sie regeln zudem keinen Fall, in dem es dem Diensteanbieter an der Einsicht fehlt, das Unrecht seiner Tätigkeit einzusehen, wenn die von ihm übermittelte oder gespeicherte Information strafbar ist. Die Haftungsprivilegierungen stellen demnach auch keine Schuldausschließungsgründe dar.
Eine Einordnung auf der Schuldeben hätte wegen des rechtsgebietsübergreifenden Charakters zudem eine ungleiche Prüfung bzw. Anwendung der Haftungsprivilegierungen zur Folge. Im Rahmen von verschuldensunabhängigen Ansprüchen des Zivilrechts und öffentlichen Rechts würde eine solche Einordnung nämlich ausscheiden. Für diese gelten die §§ 8ff. TMG aber in gleicherweise wie für verschuldensabhängige Haftungsnormen.491
l. Keine persönlichen Strafausschließungsgründe
Persönliche Strafausschließungsgründe führen dazu, dass unabhängig von Unrecht und Schuld die Strafbarkeit der von ihnen erfassten Personen ausscheidet.492 Trotz des Vorliegens dieser Gründe bzw. Umstände ist die „Strafwürdigkeit der Tat [...] an sich zu bejahen, doch geben Unrecht und Schuld hier nicht allein den Ausschlag“, sondern die Strafbarkeit wird aus anderen – außerstrafrechtlichen, aber auch spezifisch strafrechtlichen – Gründen ausgeschlossen.493 Insbesondere kann es sich hierbei auch um kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen handeln.494 Insoweit käme eine Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen als persönliche Strafausschließungsgründe grundsätzlich in Betracht. Denn bei ihnen handelt es sich aus den dargestellten Gründen weder um Rechtfertigungsnoch Entschuldigungsgründe. Vielmehr werden mit ihnen wirtschafts- und rechtspolitische Zwecke jenseits von Unrecht und Schuld verfolgt, indem sie für die Diensteanbieter bestimmter Telemedien Rechtssicherheit schaffen und damit die Investitionsbereitschaft in solche Angebote erhöhen sollen.495
Einer Qualifizierung als persönliche Strafausschließungsgründe ist aber die horizontale Geltung der Haftungsprivilegierungen entgegenzuhalten, da sich diese auf das Strafrecht beschränken und „im Deliktsrecht keine Entsprechung haben“.496
m. Ergebnis zur zweistufigen Vorfilter-Lösung
Bei den Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG handelt es sich demnach richtigerweise um außerhalb der Haftungsnorm zu prüfende Vorfilter.
2. Bedeutung der dogmatischen Einordnung für die Annahme eines Irrtums
Zudem stellt sich die Frage, welche Folgen