Im Hinblick auf die Teilnahmestrafbarkeit von Mitarbeitern und anderen Personen, die den Diensteanbieter unterstützen, kann die dogmatische Einordnung demnach nur dann Bedeutung haben, wenn der Diensteanbieter ausnahmsweise Täter ist.527 Aber auch in diesem Fall wäre die Haftungsprivilegierung im Wege einer Analogie auf die unterstützende Person anwendbar, sodass diese bereits hinreichend geschützt ist.528
4. Bedeutung der Einordnung für das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG
Soweit zur Begründung einer Verortung der Haftungsprivilegierungen auf Tatbestandsebene die „klare Geltung“ des Bestimmtheits- und Analogieverbots i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG angeführt wird,529 überzeugt dies nicht. Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Die Regelung „bezieht sich auf alle unmittelbar strafbarkeitsbegründenden oder -verschärfenden Normen und erfasst damit sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit“.530 Erfasst sind neben dem Allgemeinen und Besonderen Teil des StGB, also insb. den Tatbestandsmerkmalen von Straftatbeständen, auch das Strafanwendungsrecht sowie Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe, aber auch Strafbarkeitsbedingungen und Strafausschließungsgründe.531 Letztere sind jedenfalls dann erfasst, wenn es sich um gesetzlich geregelte Strafausschließungsgründe handelt.532
Zwar findet sich die Auffassung, dass Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe keine Anwendung findet, da diese „keine spezielle Materie des Strafrechts“ sind und allen Rechtsbereichen entstammen.533 Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebiete deshalb Art. 103 Abs. 2 GG nicht auf Rechtfertigungsgründe anzuwenden, da anderenfalls „ein Verhalten z.B. zivilrechtlich als zum Schadensersatz verpflichtendes Unrecht angesehen“ werden könnte und „im Strafrecht dagegen als rechtmäßig den vollen Beifall der Rechtsordnung finde[n]“ würde.534
Diese Argumentation ließe sich jedenfalls insoweit auf die Haftungsprivilegierungen des TMG übertragen, als dass diese rechtsgebietsübergreifende Wirkung entfalten. Allerdings ist ihr der Ultima-Ratio-Gedanke des Strafrechts entgegenzuhalten. Dieser ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bestimmt, dass das Strafrecht als schärfstes Schwert des Staates nur als letztes Mittel in Betracht kommt, um Rechtsfrieden zu erzwingen. Problematisch ist deshalb nicht der Fall, dass ein Verhalten zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich verboten, strafrechtlich aber erlaubt ist. Problematisch wäre es vielmehr, wenn ein zivilrechtlich und öffentlich-rechtlich ausdrücklich erlaubtes Verhalten strafrechtlich verboten ist.
Nach überzeugender Auffassung muss das Analogieverbot deshalb auf „sämtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit“ Anwendung finden, also insb. auch eine „Einschränkung von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen oder von Strafmilderungs- oder -ausschlussgründen“ im Wege einer Analogie verhindern.535 Mit ihrer Anwendung im Bereich des Strafrechts müssen sich auch die Rechtfertigungsgründe den „strafrechtlichen Bedürfnissen“ anpassen, also in ihrer Anwendung auch den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG entsprechen.536 Es kann gerade nicht darauf ankommen, welchem Rechtsgebiet die Rechtfertigungsgründe entstammen, da Art. 103 Abs. 2 GG für sämtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit gilt.537
Gleiches muss deshalb für die Haftungsprivilegierungen des TMG gelten. Wie bereits dargestellt, ähneln diese den persönlichen Strafausschließungsgründen, für welche die Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG nach allgemeiner Auffassung bejaht wird. Mit ihrem rechtsgebietsübergreifenden Charakter und mit Blick auf die obigen Ausführungen ähneln sie aber auch den Rechtfertigungsgründen, für die nach überzeugender Auffassung Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls gilt. Zudem beinhalten die §§ 8ff. TMG im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens eines Diensteanbieters – unabhängig von ihrer dogmatischen Einordnung – unzweifelhaft Voraussetzungen, die über die Strafbarkeit des Diensteanbieters entscheiden. Liegen ihre Voraussetzungen vor, ist der Diensteanbieter nicht verantwortlich und eine Strafbarkeit scheidet aus. Die Voraussetzungen der §§ 8ff. TMG bzw. ihre Auslegung müssen sich daher im Rahmen des Strafrechts an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen. Eine Analogie ist danach nur dann zulässig, wenn sie die Haftungsprivilegierungen ausweitet und damit die Strafbarkeit des Diensteanbieters einschränkt.538
Im Ergebnis hat die Einordnung der §§ 8 bis 10 TMG als außerhalb des Tatbestands und vor der Haftungsnorm zu prüfende Vorfilter damit keine Auswirkung auf eine Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG.
5. Ergebnis zur dogmatischen Einordnung der Haftungsprivilegierungen des TMG
Bei den Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG handelt es sich nach hier vertretener Auffassung um Vorfilter, die eigenständig vor der allgemeinen Haftungsnorm und damit unabhängig von Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld zu prüfen sind.
Im Hinblick auf die vielbeschworene Relevanz der dogmatischen Einordnung der Haftungsprivilegierungen für die strafrechtliche Teilnahme und Irrtümer ist festzustellen, dass die hier vorgenommene dogmatische Einordnung gegenüber einer Einordnung auf Tatbestandsebene nur geringe Bedeutung hat. Eine Teilnahme, insb. eine Beihilfe gem. § 27 Abs. 1 StGB, bleibt für Mitarbeiter und Beauftragte des Diensteanbieters zwar auch im Falle dessen Haftungsprivilegierung möglich. Diese Personen sind nach hier vertretener Auffassung aber in analoger Anwendung der §§ 8 bis 10 TMG unter den Begriff des Diensteanbieters zu subsumieren, sodass die Haftungsprivilegierung auch auf diejenigen Personen ausgedehnt wird, die unterstützend für den Diensteanbieter tätig sind. Zudem wird regelmäßig nicht Beihilfe zu einer Tat des Diensteanbieters, sondern zu der Tat des Nutzers geleistet. Letzterer ist aber selbst nicht haftungsprivilegiert.
Irrtümer sind nach allgemeinen Grundsätzen bzw. infolge einer Auslegung der subjektiven Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen zu berücksichtigen. Ein umgekehrter Irrtum, also die fälschliche Annahme des Nichtvorliegens der Haftungsprivilegierung, ist hingegen unbeachtlich. Auf die Anwendbarkeit des Analogieverbots des Art. 103 Abs. 2 GG hat die dogmatische Einordnung nach hier vertretener Auffassung keine Auswirkungen. Dieses ist auch bei der hier vorgenommenen Einordnung der §§ 8 bis 10 TMG anwendbar, da es sich bei diesen um Voraussetzungen der Strafbarkeit handelt.
383 Freund, in: MüKo StGB, § 13 Rn. 159. 384 Vgl. Beckmann, Verantwortlichkeit, S. 95; Klein, Haftung von Social-Sharing-Plattformen, S. 33; Satzger, CR 2001, 109, 110; Spindler, in: Spindler/Schmitz, Telemediengesetz, TMG Vor § 7 Rn. 34; Ufer, Die Haftung der Internet Provider nach dem Telemediengesetz, S. 44. 385 Sieber, MMR-Beilage 2/1999, S. 6. Vgl. hierzu Kapitel 3 F. III. 4. 386 Altenhain, in: MüKo StGB, TMG Vor § 7 Rn. 5; Pelz, wistra 1999, 53, 58. 387 Altenhain, in: MüKo StGB, TMG Vor § 7 Rn. 7; Bleisteiner, Rechtliche Verantwortlichkeit im Internet, S. 157; Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 50; Jofer, Strafverfolgung im Internet, S. 136; Kühne, Haftung von Suchmaschinenbetreibern, S. 33; Mießner, Providerhaftung, Störerhaftung und Internetauktion, S. 24; Ritz, Inhalteverantwortlichkeit von Online-Diensten, S. 69; Roggenkamp/Stadler, in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, Kap. 10 Rn. 76 und 174; Strauß, ZUM 2006, 274, 280; Moritz, CR 2000, 119, 120; Moritz, CR 1998, 505, 506; Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn, NJW 1997, 2981, 2984; Vassilaki, NStZ 1998, 521. Vgl. BGH, MMR 2004, 166, 167, und OLG Hamburg, MMR 2004, 822, 823. 388 Gercke, CR 2006, 844, 848. 389 Moritz, CR 1998, 505, 506; Altenhain, AfP 1998, 457, 458. 390 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 452ff.; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 17 Rn. 3.