Der Widerstand des Saarlandes konzentrierte sich daher auch auf eine Warnung vor dem Abschluss von Konzessionsverträgen, um so die kommunalen Vermögenspositionen nicht zu gefährden. Diese Kampagne des Saarlandes spielt damit eine ganz herausragende Rolle im Kampf um die kommunalen Rechte: Hätten die Kommunen breitflächig Konzessionsverträge abgeschlossen, wären ihre Rechte nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ erst einmal verloren gewesen – und in vielen Fällen war das auch so, wie sich später zeigen sollte.
6. Erste Auseinandersetzungen vor Gericht: Die Grundsatzverständigung bleibt
In § 11 Abs. 1 der Stromverträge für die Regional-EVU war vereinbart, dass der jeweilige westliche Erwerber mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1.1.1991 die Kapitalmehrheit bei dem regionalen EVU übernehmen werde. Daher standen nur wenige Wochen zur Verfügung, in denen Vorbereitungen dafür möglich waren, die Treuhandanstalt an der Übertragung der Kapitalmehrheiten an den regionalen EVU zu hindern. Da erreichte mich ein Telefonanruf des Ministerialrats aus dem Hessischen Wirtschaftsministerium, Gert Apfelstedt, der sich mit seinem Verein Energie Kommunal e.V. für die Belange kommunaler Energieversorgung engagiert hatte; ich war darin Mitglied. Apfelstedt war von dem Leipziger Oberbürgermeister Dr. Lehmann-Grube in den Energiebeirat der Stadt Leipzig berufen worden. In dieser Eigenschaft hatte er in einem Gutachten schon die nach der DDR-Gesetzgebung ziemlich unübersichtliche Rechtslage und deren Einfügung in das westdeutsche Recht dargestellt. Er fragte, ob ich bereit sei, die Rechtslage in einem weiteren anwendungsorientierten Gutachten darzustellen, das im Auftrag des Wirtschaftsministeriums des Saarlandes erstattet werden sollte. Er und Dr. Spreer, Abteilungsleiter Energie im Saarländischen Wirtschaftsministerium, stellten ferner in Aussicht, erforderlichenfalls Mandate ostdeutscher Kommunen zu vermitteln, sofern die Treuhandanstalt zum Jahreswechsel die Privatisierung durchführe.
Das war eine Herausforderung. Mir war schon die einschlägige Gesetzgebung der ehemaligen DDR völlig unbekannt. Dazu kam das Problem, die notwendigen Materialien der Volkskammer zu beschaffen; es kam ja auf eine plausible Auslegung des Begriffs der „ehemals volkseigenen Anteile“ in § 4 Abs. 2 des Kommunalvermögensgesetzes an, zu der die Maßgaberegelung im Einigungsvertrag ergangen war. Diese Materialien hatten wir nicht. Die Fraktionen der Volkskammer, die uns hätten helfen können, existierten mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages ebenfalls nicht mehr. Dennoch sagte ich zu. Anfang Dezember stand das Gutachten mit 90 Seiten Text, in dem nicht nur die Rechtsstellung der Kommunen in Bezug auf die Bezirks-Energiekombinate, die Regelungen der beiden Staatsverträgen, die Ansprüche der Kommunen dargestellt waren, sondern auch die sehr wichtigen Verfahrensfragen: Wie waren die Ansprüche der Kommunen geltend zu machen, welche gerichtlichen Möglichkeiten – einstweilige Anordnungs- und Klageverfahren vor den Kreisgerichten bis hin zur Verfassungsbeschwerde – gab es? Welche Querschüsse der Treuhandanstalt, der Bezirks-EVU und der westlichen Konzerne waren zu erwarten, welche prozessualen Schritte mussten daher nicht nur gegangen, sondern auch zum Erfolg gebracht werden? Wie stand es um die Kostenrisiken? Eine kitzlige Frage, weil die Kommunen mit derartigen Gerichtsverfahren und ihren Kosten völlig unvertraut waren und auch nicht den Eindruck haben durften, westdeutsche Anwälte suchten nach Gelegenheiten, um unerfahrene „Ossis“ auszunehmen.
Da viele Städte und Gemeinden aus den Informationsschreiben des Saarlandes die Rechtslage kannten, hatten Akquisitionsbemühungen in größerem Umfang Erfolg. In der letzten Vorweihnachtswoche richtete ich für 62 Städte in den neuen Bundesländern an die Treuhandanstalt eine Abmahnung, mit der sie von der Treuhandanstalt
– die Entflechtung des Vermögens des ehemaligen Bezirks-Energiekombinats,
– die Übertragung des Vermögens des Bezirks-Energiekombinats, das für den Aufbau einer kommunalen Energieversorgung benötigt wird,
beanspruchten.
Zugleich wurde die Unterlassung begehrt, dem zuständigen deutschen EVU 51 % der Aktien der Kapitalgesellschaft zu übertragen, die aus dem ehemaligen Bezirks-Energiekombinat entstanden sein soll. Es müssten alle Rechtsakte unterlassen werden, die die Durchsetzung des Anspruchs der Stadt vereitelten oder erschwerten.
Mit Schreiben vom 10.1.1991 bekräftigte die Treuhandanstalt den Standpunkt der Bundesregierung, nach dem den Kommunen nur Kapitalanteile an den Regionalversorgern zuständen. Andererseits liefen Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung. Und jetzt kam das Entscheidende: Von der Übertragung der Kapitalmehrheiten an den Regionalversorgern wolle die Treuhandanstalt bis zum Abschluss der Gespräche absehen. Die in dem Schreiben erwähnte sogenannte Grundsatzverständigung hat am 4. Februar stattgefunden; und zwar unter Beteiligung der Treuhandanstalt, von Vertretern der drei westdeutschen EVUs RWE, PreussenElektra und Bayernwerk, des Verbandes Kommunaler Unternehmen (im Folg. VKU), des deutschen Städtetags und einiger Städtevertreter, die zumindest teilweise dieser Grundsatzverständigung jedoch nicht zustimmten. In diesem Papier werde einerseits festgehalten, dass die Beteiligten über Inhalt und Interpretation einer Reihe von Grundsatzvorschriften zur Privatisierung der Strom- und Gaswirtschaft in den fünf östlichen Bundesländern nicht einig seien. Die Bildung von Stadtwerken sei grundsätzlich möglich. Die regionalen Strom- und Gasverteilungsunternehmen bzw. deren nichtkommunale Gesellschafter könnten sich an den neu zu gründenden bzw. neu gegründeten Stadtwerken beteiligen. Ausgehend von dem Bezirks- Beteiligungsmodell (bis zu 49 % Kommunen/mindestens 51 % EVU) sollten bei den Stadtwerken Beteiligungen angestrebt werden, die beiden Seiten, der Stadt und dem EVU, in etwa gleiches Gewicht geben und sich um 50/50 bewegen. Allerdings müssten die Stadtwerke 70 % ihres Strombedarfs vom Regionalversorger beziehen.
7. Der Brief der Oberbürgermeister
Die Grundsatzverständigung wurde von der großen Mehrzahl der ostdeutschen Städte jedoch abgelehnt. Denn sie führte dazu, dass die Kommunen gesellschaftsrechtliche Bindungen mit den Regionalversorgern, ihren Vorlieferanten, eingehen mussten. Sie konnten zudem wegen der 70 %igen Stromabnahmeverpflichtung die ökonomisch und ökologisch sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplung in ihren fernwärmebeheizten Gebieten nicht ausbauen.
Die Stimmung wurde in einem Telex vom 27.2.1991 an den Bundeskanzler deutlich, das die Oberbürgermeister der neun größten Städte verfasst hatten. Die Oberbürgermeister beklagten, dass sie seit mehr als einem halben Jahr zeitaufwendige Verhandlungen betreffend die Übernahme der Energieversorgungsanlagen führten. Es bewege sich nichts; daher bilde sich eine Investitionsbremse sondergleichen.
Jede westdeutsche Kommune könne gem. Art. 28 Abs. 2 GG alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung regeln. Dies beinhalte die freie Entscheidung, wem sie die Energieversorgung übertrage. Für die ostdeutschen Kommunen werde dasselbe Freiheitsrecht begehrt.
Tatsächlich sollten jedoch die ostdeutschen Kommunen nur 49 % der Anteile an den Regionalversorgen erhalten; dies auf unabsehbare Zeit. Damit würden alle ostdeutschen Städte auf Dauer zu Kommunen minderen Rechts. So habe man sich die Vereinigung nicht vorgestellt.
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