Der Berichterstatter Dr. Ullmann führte Folgendes aus: „§ 1 ist eine Definition des kommunalen Vermögens, und daran schließt sich in den §§ 2–6 eine Umfangsbestimmung dessen an, was diesen gesetzlichen Verfahren unterworfen wird oder unterworfen werden kann. § 7 halte ich für eine ganz besonders wichtige Bestimmung, weil hier das Verfahren festgelegt ist. Dieses Verfahren, meine Damen und Herren, legt uns auch Eile nahe.“51 Und an anderer Stelle führte er aus: „Der Sinn dieses Gesetzes ist ja, dass zunächst einmal die Gemeinden in den Besitz des Grund und Bodens gelangen sollen. Das ist dann die Rechtsgrundlage – deswegen auch das Eilbedürfnis bei diesem Gesetzesvorhaben –, auf der dann solche Fragen geregelt werden können.“
Die Volkskammer beschloss das Kommunalvermögensgesetz sodann bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Die Abgeordneten wussten, wie der Ablauf zeigt, genau, was ihre eigene Regierung vorhatte – und was sie nicht wollten: den Komplettverkauf des Energieversorgungsvermögens an die Westkonzerne.
Dieser Widerstand zeigte sich auch in der weiteren gesetzgeberischen Arbeit der Volkskammer. Es wurde unter dem 25.7.1990 eine erste Durchführungsverordnung zum Kommunalvermögensgesetz beschlossen, die Eigentumsüberführungsverfahrensordnung. Dazu erließen der Wirtschaftsminister und der Minister für regional und kommunale Angelegenheiten Empfehlungen zu den Anträgen zur Überführung volkseigenen Vermögens in das Eigentum der Gemeinden, Städte und Landkreise, wo auf § 4 Abs. 2 des Kommunalvermögensgesetzes Bezug genommen wurde, wo die „ehemals volkseigenen Anteile“ erwähnt sind. Zur Erläuterung hieß es jetzt: „In diesen Fällen können die Gemeinden, Städte und Landkreise entscheiden, ob sie die ehemals volkseigenen Anteile körperlich, z.B. zur Gründung von Eigenbetrieben oder Eigengesellschaften, oder in Form von Kapitalanteilen übernehmen wollen. Die Art und Weise der Übernahme ist in den Anträgen zur Übertragung des Vermögens auszuweisen.“ Damit war eigentlich alles Wichtige geregelt.
4. Die Gegenbewegung: Stromkonzerne und Bundesregierung Hand in Hand
Die Gegenbewegung ging vom Westen aus. Die Wirtschafts- und Währungsunion hatte nämlich Konsequenzen auch für die Energieversorgung. Die beiden Stromkonzerne PreussenElektra und Bayernwerk, die mit ihren Gebietsmonopolen an DDR-Gebiete angrenzten, nutzten ihre Chancen. Sie gründeten ein Gemeinschaftsunternehmen mit den DDR-Kombinaten für Kernenergie, Braunkohle und das Stromnetz. Die deutsch-deutsche „Kraftwerksnetzgesellschaft“, plante und baute vier Hochspannungsverbindungen zwischen West und Ost, und zwar vom Kernkraftwerk Krümmel über Lübeck und Güstrow nach Rostock, von Helmstedt über Wolmirstedt nach Berlin, über Mecklar bei Bad Hersfeld nach Vieselbach bei Erfurt und von Rettwitz in der Oberpfalz nach Remptendorf. Außerdem wurden je ein 5-Megawatt-Kohlekraftwerk in Lübeck und Rostock zur Stromversorgung der DDR geplant: Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Leistungskraft der veralteten Braunkohlekraftwerke und gar der ostdeutschen Atomreaktoren. Die 380-kV-Hochspannungsleitung von dem HASTRA-Standort Helmstedt – die HASTRA war eine Tochter der PreussenElektra – war im Juni bis Wollmirstedt bereits fertig und darüber hinaus im Bau.
Das RWE, das mit seinem Versorgungsgebiet nicht direkt an die DDR angrenzte, suchte erst noch nach Zugriffsmöglichkeiten. Nahe lag die Beteiligung an Braunkohlekraftwerken; erstellt wurde eine Machbarkeitsstudie gemeinsam mit dem DDR-Braunkohlekombinat, in welchen Kraftwerken sich die Nachrüstung noch lohne.
Es lag nahe, wenn der SPIEGEL52 den VEBA-Manager Piltz, Herrscher auch über die Tochter PreussenElektra, fragte, ob die westdeutschen Stromkonzerne die DDR bereits unter sich aufgeteilt hätten. Piltz antwortete: „Keineswegs. Die westdeutschen Stromunternehmen liefern sich gegenseitig in der DDR harten Wettbewerb. Bei einem derartigen Angebot kann sich die DDR das günstigste auswählen. Von einer Machtübernahme, wie Sie es unterstellen, kann da keine Rede sein.“ Welche Sorte „Wettbewerb“ aber gemeint war, beantwortete Dr. Pautz, Staatssekretär im DDR-Wirtschaftsministerium und vorher im Kraftwerkskombinat Wilhelm Leuschner tätig53: Bei seinen Inspektionsbesuchen in den Kombinaten fand er häufig brandneue Audi-Limousinen im Hof und Krokodilleder-Aktentaschen unter den Schreibtischen der Kombinatsdirektoren vor. Wer mit wem, das war hier die Frage. Um Wettbewerb nach allgemeinem Sprachgebrauch ging es gar nicht. Bei dieser Sorte Wettbewerb spielten noch in der Weimarer Zeit gewachsene Wirtschaftsbeziehungen eine entscheidende Rolle. So war früher die Bayernwerks-Tochter Contigas intensiv in Thüringen unterwegs. Daran knüpfte die Münchener Firma an: Mancher Bürgermeister fand Hilfe bei seiner Stadtwerksgründung durch Millionen-Schecks, sogenannte „Marketingzuschüsse“, die die Contigas-Vorfeldleute in den Rathäusern übergaben. Thüringen spielte bei diesen Akquisitionsbemühungen denn auch eine herausragende Rolle, wie noch zu sehen sein wird.
Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit war in den Kombinaten und auch in dem für sie zuständigen Ministerium vorhanden. Denn die Furcht vor dem nächsten Winter und vor irgendwelchen Versorgungsengpässen bei Strom und Wärme war in der DDR allfällig. Die winterliche Sachproblematik in der DDR hatte aber keine technisch-physikalischen Ursachen. Entscheidend war vielmehr der exorbitant hohe spezifische Energieverbrauch (pro Kopf, pro Haushalt, pro Quadratmeter Wohnfläche, pro Einheit Sozialprodukt usw.). Die DDR lag bei diesen Werten in der gesamten Welt an der Spitze. Es war allerdings jedem Fachmann der Energiewirtschaft von vornherein klar, dass diese Missverhältnisse ihre Ursache in der exzessiven Energiepreissubventionierung hatten. Die Energiepreise entsprachen nicht im Mindesten den Kosten, verbrauchsbezogene Energieabrechnung war weitgehend unbekannt. Die Haushalte zahlten extrem niedrige, pauschalierte Energiepreise in der Form von Warmmieten. Der Energiepreis spielte für das Verbrauchsverhalten keine Rolle. Deswegen hatten es die westdeutschen Stromkonzerne einfach, wenn sie bei ihrem Werben für eine große Lösung warnten, dass „der Winter 1990/91 ziemlich kalt werden könnte in den neuen Ländern“.54 Aber in der Kälteperiode 1990/91 ging die benötigte elektrische Höchstleistung von früher 26.000 MW auf 16.000 MW zurück – wie von den Fachleuten erwartet, wenn auch nicht nach außen kommuniziert.
Auch die Bundesregierung stand hinter den Stromverträgen. Bundesumweltminister Töpfer war von seinen Fachleuten mit Informationen über den Zustand der ostdeutschen Kernkraftwerke Greifswald und Stendal versorgt worden. Insbesondere die vier Greifswalder Blöcke mit 1.760 MW elektrischer Leistung, die nicht nur 10 % des DDR-Stroms erzeugten, sondern auch Wärme für rund 70.000 Menschen, waren in einem schlimmen Zustand. Der Stahl der Druckgefäße in den Greifswalder Reaktoren war durch den Neutronenbeschuss schlimmer geschädigt als erwartet; „die konstruktiven Mängel im Sicherheitssystem der Reaktoren erlaubten keinen Schutz bei Bränden oder anderen Katastrophen; das Sicherheitsbewusstsein von Kombinatsleitern wie Betriebsingenieuren, auch nach der Wende, sei katastrophal“, schrieb der SPIEGEL.55
Klar war deswegen, dass diese Atomkraftwerke keine Zukunft hatten. Sie mussten sofort stillgelegt werden; mit der Folge, dass ihr Angebot von Strom und Wärme wegfiel. Deswegen wurde am Standort Greifswald sofort ein 200 MW-Heizölkraftwerk errichtet, für das Töpfer PreussenElektra brauchte. Auch das Bundeswirtschaftsministerium stand hinter dem Sicherstellungs-Angebot der Konzerne: Die Abteilungsleiterin Ria Kemper aus dem Bundeswirtschaftsministerium, bei der die Konzerne vorsprachen, war geradezu begeistert. Der liberale Wirtschaftsminister Helmut Haussmann und sein Staatssekretär von Würzen unterstützten die Überlegungen, ergriffen von Anfang an Partei für die Stromverträge und begleiteten die Verhandlungen zwischen den zunächst drei Stromvertrags-EVU und der DDR-Regierung sowie der Treuhandanstalt positiv und stellten zwei kartellrechtliche Ministererlaubnisse in Aussicht.56 Denn der Bund hatte primär das Interesse, das Energieversorgungsproblem in der DDR sozusagen „mit einem Schlag“ zu lösen und diese Aufgabe an ein Kartell der großen Stromversorger zu übertragen. Deren Gestaltungsvorstellungen wurden daher akzeptiert: Die Stromverträge waren – ebenso wie die später formulierten Gasverträge – zweistufig: Die erste Stufe betraf das Verbundnetz der Spannungsstufen 220 und 380 kV sowie die Großkraftwerke (außer