Noch im Backofenmarkt-Beschluss304 von 1995 nahm der BGH eine Begrenzung des räumlich relevanten Marktes auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor. Der allgemeine Gesetzeszweck des GWB, einen Zusammenschluss zu untersagen, wenn im Inland eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, gebiete es, den räumlichen Markt „normativ auf das Inland als den größtmöglichen räumlich relevanten Markt“305 zu beschränken. Zusätzlich wurden zur Unterstützung dieser Beschränkung auf das Inland praktische Gründe, nämlich die eng begrenzten Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamtes im Ausland, angeführt. Auch noch nach Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle wurde hieran zunächst festgehalten. § 130 Abs. 2 GWB beschränke den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes ausdrücklich auf solche Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Inland auswirkten, sodass der räumlich relevante Markt allenfalls das Inland umfassen könne.306 Im Fall Dürr/Alstom307 beschränkte das Bundeskartellamt den räumlich relevanten Markt auf das Inland, obwohl bei der vorgenommenen wirtschaftlichen Betrachtung ein viel größeres Gebiet als räumlich relevanter Markt anzunehmen war.308 Hiergegen wendet sich der BGH nun aber im Beschluss Staubsaugerbeutelmarkt.309 Eine normative Begrenzung des räumlich relevanten Marktes sei nicht mehr tragbar, „denn die räumlichen Grenzen eines Marktes [ließen] sich allein nach ökonomischen und nicht nach rechtlichen Kategorien bemessen. Im europäischen Binnenmarkt, in dem die nationalen Grenzen keine Marktzutrittsschranken mehr bilde[te]n und sich deswegen die räumlich relevanten Märkte unabhängig von den Staatsgrenzen zwischen den Mitgliedstaaten entwickel[te]n, [sei] eine solche mit der ökonomischen Wirklichkeit nicht in Einklang stehende künstliche Grenze besonders unbefriedigend“.310 Zwar müsse ein Zusammenschluss nach wie vor im Geltungsbereich des GWB eine marktbeherrschende Stellung entstehen lassen oder verstärken, hierzu sei jedoch gerade keine normative Begrenzung des räumlich relevanten Marktes erforderlich, da auch in jedem Teilbereich eines über die Grenzen eines Landes hinausgehenden Marktes, in dem eine marktbeherrschende Stellung erlangt werde, eine solche beherrschende Stellung vorliege.
Zu den praktischen Schwierigkeiten bei der Feststellung des räumlich relevanten Marktes vertritt der BGH die Auffassung, dass diese nunmehr durch das Netzwerk der Kartellbehörden in der Europäischen Union verringert seien und außerdem in gleichem Maße aufträten, wenn der Markt normativ beschränkt wäre.311 Auch bei normativer Beschränkung müsse der aktuelle oder potentielle Wettbewerb aus dem Ausland berücksichtigt werden (dann statt bei der Marktabgrenzung im Rahmen der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung). Zusätzlich sei „im Rahmen der 6. GWB-Novelle deutlich geworden, dass der Gesetzgeber allein von einem ökonomischen Marktbegriff ausgeht“.312
β) Hypothetischer Monopolistentest
Im Ausgangspunkt grenzt das Bundeskartellamt Märkte anhand des Bedarfsmarktkonzepts ab. Nur ergänzend greift es teilweise auf den hypothetischen Monopolistentest zurück. Das Amt qualifiziert den SSNIP-Test (in der deutschen Anwendungspraxis häufig als „Preisheraufsetzungstest“ bezeichnet) als einen „anerkannte[n] ökonomische[n] Ansatz zur Überprüfung der Grenzen sachlich relevanter Märkte“313 und versteht ihn als „im Kern auf dem Ziel [beruhend], die Ausweichreaktionen der Marktgegenseite (des Verbrauchers) auf ein anderes am Markt angebotenes Substitutionsprodukt im Falle einer geringfügigen aber dauerhaften Preiserhöhung des betrachteten Produkts zu messen“.314 Eine konkrete Anwendung erfolgt in diesem Fall zur Bestimmung des sachlich relevanten Marktes im öffentlichen Personennahverkehr jedoch nicht. Der Gedanke einer hypothetischen 5–10 %igen Preiserhöhung zur Feststellung der Wechselbereitschaft der Marktteilnehmer findet sich weiterhin im Fall BayWa/Wurth Agrar315 in Bezug auf die räumliche Marktabgrenzung sowie im Fall Van Drie Holding/Alpuro Holding im Rahmen der sachlichen wie auch der räumlichen Marktabgrenzung.316 Nach der im letztgenannten Fall geäußerten Ansicht des Bundeskartellamtes entfaltet die Durchführung des SSNIP-Tests „eine Indizwirkung für die räumliche Marktabgrenzung“.317 Die im Grundsatz aber kritische Haltung des Bundeskartellamtes gegenüber der Anwendung des hypothetischen Monopolistentestes wird an den Ausführungen in der Entscheidung EnBW/VNG deutlich. Das Bundeskartellamt sieht vorliegend aus prozessökonomischen Gründen von der Durchführung des Testes ab und verweist zudem auf dessen begrenzte Aussagekraft, wenn der originäre Wettbewerbspreis unbekannt ist.318 Im Ergebnis stünde aus Sicht der zuständigen Beschlussabteilung „jedenfalls im Rahmen eines Zusammenschlusskontrollverfahrens mit seinem engen Fristenregime der dafür erforderliche Aufwand außer Verhältnis zu etwaigen zusätzlichen Erkenntnissen“.319
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