Nubrax bemerkte unterdessen nicht, dass seine Worte bereits die von ihm gewünschte Wirkung erzielt hatten und der Krieger, der sie erst verraten und dann ihr Leben gerettet hatte, verzweifelt auf dem Boden hinter ihnen zurückblieb. So krächzte er unter Qualen weiter und ließ damit all seinen Zorn heraus, der ihn zum Teil schon seit seiner Verbannung auf der Seele gelegen hatte.
»Du willst für deine Schuld büßen, Ephialtes? Dann töte Barmbas. Töte Barmbas und befreie meinen Vater aus seinem ewig währenden Halbschlaf, in den dieser Bastard ihn versetzt hat und der ihn dazu bringt, jede Anweisung dieses heimtückischen Taiscors willenlos abzunicken. Sorge dafür, dass Norbix wieder lebensfroh und weise wird, so wie er es einst gewesen ist.« Einen Augenblick lang versagte dem Prinzen die Stimme, was diesmal nicht allein an den Schmerzen in seinem Hals lag.
»Wenn Barmbas’ Kopf zu meinen Füßen liegt und du Paros abgeschlagene Hand wieder heil gemacht hast. Wenn ich wieder neben meinem Vater auf dem Thron sitze und die Leben der grundlos gefallenen Zwerge und Elfen gesühnt wurden, dann hast du deine Schuld abgebüßt und keinen Augenblick eher. Aber bis dahin bleibe mir aus den Augen, Verräter.«
Fingerdicke Schweißperlen standen Nubrax auf der Stirn, als er mit seiner Rede geendet hatte und die Luft war ihm nun knapper denn je. Doch obwohl er wusste, dass er mit zweierlei Gemmenwaagen maß, da jeder einzelne Soldat die Wahl gehabt hätte, den Kriegsdienst zu verweigern und sich gegen Barmbas aufzulehnen, tat es gut, seine Wut stellvertretend an einem von ihnen auszulassen.
»Ihr wisst, dass ich keine Wunder wirken kann, Majestät. Doch ich werde es versuchen!«, rief Ephialtes, der nun gänzlich auf der Erde saß und seinem Gebieter mit feuchten Augen nachsah. »Ich werde Barmbas töten und den Rest meines Lebens dafür aufwenden, um sowohl für meine Taten geradezustehen als auch für die seinen, die ich zu verhindern versäumt habe. Soweit wie es mir möglich ist, will ich alles wiedergutmachen, was ich angerichtet habe.«
Der breitschultrige Zwerg, vor dessen geistigem Auge sein gesamter bisheriger Werdegang unter dem drakonischen Alleinherrscher ablief, hatte die Stimme weit über das gängige Maß hinweg erhoben, da Nubrax und Paro sich langsam aber stetig weiter von ihm entfernten.
Daran, dass sie noch immer auf der Flucht vor ihren Feinden waren, die jeden Augenblick hinter einem der vielen Bäume auftauchen und sie angreifen konnten, dachte er in diesem Augenblick nicht. Ihm war einzig und allein wichtig, sich zu erklären und eine Chance auf Vergebung zu erlangen.
»Viel zu spät habe ich erkannt, dass Barmbas nicht zwischen Freund und Feind zu unterscheiden vermag«, fuhr er mutlos, jedoch mit ungebrochener Lautstärke fort. »Bis gestern war ich sein engster Untergebener und dazu bereit, wirklich alles für ihn zu tun. Doch als Lohn für meine bedingungslose Treue hat er versucht, mich umzubringen. Erst nachdem ich zwischen den Leichen meiner Kameraden, die ebenfalls seiner unbegründeten Blutgier zum Opfer gefallen sind, wieder zu mir gekommen bin, habe ich erkannt, dass meine Loyalität falsch angebracht war.
Doch bitte glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich meinen Fehler erkannt habe und nun mein restliches Leben darauf verwenden werde, meine Taten wiedergutzumachen und Barmbas zu jagen, wo immer er auch ist.« Eine einzelne Träne der Verzweiflung lief Ephialtes in den gekräuselten Bart, der vom Blut seiner Landsleute noch immer dunkelbraun gefärbt war. Er begann schon, sich damit abzufinden, dass er von nun an allein den Kampf gegen seinen einstigen Herrscher würde aufnehmen müssen, doch kurz bevor Nubrax hinter einem dornenbesetzten Busch zu verschwinden drohte, hielt dieser inne und drehte sich noch einmal herum.
Nach wie vor hing Paro wie ein nasser Sack an seiner Schulter. Die Messerseuche schien den tapferen Zwerg bereits fest in ihren Klauen zu halten, denn es war offensichtlich, dass er gleichermaßen mit dem Fieber, wie auch mit der Ohnmacht rang. Beharrlich wurde Nubrax von der Last des zitternden Körpers nach unten gezogen, doch das ungebrochene zwergische Durchhaltevermögen ließ ihn nicht zu Boden gehen.
Auch wenn der Prinz es nicht wahrhaben wollte, so schien sich die Zeit für den treusten seiner Freunde unweigerlich dem Ende zu nähern. Ein weiterer Grund, Ephialtes zu hassen.
»Jetzt, wo du endlich die wahre Natur von Barmbas erkannt hast und dir aufgefallen ist, dass sich seine Falschheit und sein ungebrochener Sinn nach Gewalt und Verrat auch gegen dich richten kann. Jetzt willst du angekrochen kommen und die Seiten wechseln?« Nubrax spie aus. Seine Stimme war nur noch ein unverständliches Rasseln, das sich kaum mehr über das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel erhob. Vom Zwist der Zwerge unbeeindruckt sangen sie ihre Lieder von den Ästen herab und schufen damit eine Szenerie des Friedens, die unwirklicher nicht hätte sein können. Im Gegenteil. Die Melancholie von Ephialtes hatte sich noch gesteigert, denn mit einiger Anstrengung war er sich des Sinns der meisten Worte seines Prinzen gewahr geworden.
»Du machst mich krank, Ephialtes, und ich verfluche mein Leben, weil ich es dir zu verdanken habe. Denn wenn dem nicht so wäre, dann, so sei dir gewiss, würde ich dich hier und jetzt mit bloßen Händen töten.« Wie zur Bestätigung ging er einen halben Schritt auf den zusammengesunkenen Zwerg zu, bevor er wutentbrannt weiter zischte. »Sage mir eins, wenn ich dir deinen schändlichen Verrat an mir, meinem Vater und meinem Volk vergeben würde, wie lange würde deine Treue zu uns wohl halten? Wie lange würde es dauern, bis du die neu gemischten Karten wieder tauschen und dich dem nächstbesten Kriegsherren an den Hals werfen würdest?
Loës’ Streitkräfte haben die Schlacht um Urgolind übrigens gewonnen, aber das weißt du ja.« Ohne Vorankündigung löste Nubrax seinen linken Arm von Paros Hüfte und deutete fuchtelnd in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Beinahe wäre der desorientierte Zwerg aus dem Gleichgewicht geraten und zu Boden gestürzt. Erst im letzten Moment gelang es ihm, sich unter größter Mühe am Überwurf seines Gefährten festzukrallen. Der hatte sich mittlerweile jedoch – ungeachtet der Tatsache, dass seine Stimme keinen viertel Steinwurf weit zu hören war – soweit in Rage geredet, dass für ihn sogar das Schicksal seines besten Freundes kurzfristig in den Hintergrund getreten war.
»Wieso versuchst du es nicht einmal bei den Alben? Ich bin sicher, Loës kann einen einsichtigen und treuen Untergebenen wie dich gut gebrauchen. Indirekt hast du ja ohnehin schon in seinen Diensten gestanden, es würde sich also nicht viel für dich ändern.«
Nubrax’ Gesicht hatte unter seinem Bart, in dem sich während ihrer Flucht Unmengen an Kleinstgestrüpp verfangen hatte, ein tiefpurpurnes Rot angenommen. Die Ader auf seiner Stirn war indes vor Erregung soweit angeschwollen, dass sie jeden Augenblick zu platzen drohte. Allerdings war das pochende Blutgefäß nicht das Einzige, was sich geweitet zu haben schien, denn die Schwellung seines Kehlkopfes war nun, bedingt durch seinen Wutausbruch, schlimmer denn je.
Mehr als einen pfeifenden Ton, den vermutlich nur Paro hören konnte, brachte er nicht mehr heraus. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer und zum ersten Mal, seit er nach Saparins Angriff erwacht war, schmeckte er wieder Blut in seinem Mund. Erst eine leichte Berührung seines Weggefährten ließ ihn wieder zur Räson kommen, doch selbst dann bedurfte es noch einiger Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass dieser ihm etwas zu sagen hatte.
»Sei ... nicht zu streng mit ihm ... Nubrax. Das habe ich dich nicht gelehrt ... Nur wenn wir anderen mit der Bereitschaft zur Verzeihung gegenübertreten ... können wir diese Welt zu einem besseren Ort machen. Jeder hat noch eine zweite Chance verdient.«
»Noch vor Stunden hätte er uns getötet, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hätte. Wer sagt uns, dass er sich nicht bei der nächstbesten Gelegenheit wieder Barmbas oder Loës zuwenden wird?« versuchte Nubrax zu sagen. Doch die Anstrengung, seinen besten Freund durchs Dickicht zu ziehen und die Tatsache, dass sein angeschwollener Kehlkopf ihm die Luft nun beinahe zur Gänze abschnürte, ließen ihn größtenteils nur trocken würgen.
Paros Gesichtszüge waren schmerzverzerrt, während er versuchte, sich, entgegen des Haltegriffes seines Gefährten, langsam und unbeholfen auf einen umgestürzten Baumstamm herabzulassen. Es war