IV. Zusammenfassung der Beobachtungen
Die bisherigen zusammengefassten Darstellungen typischer Beispiele haben zwei wesentliche und typische Gemeinsamkeiten bei Plattformen aufgezeigt.240 Zum einen besteht ihr Angebot in einer Vermittlungsleistung im weitesten Sinne zwischen verschiedenen Individuen, den Nutzern oder Objekten. Nutzer können dabei eine oder mehrere nach einem bestimmten Kriterium homogene Gruppen darstellen. Mit diesen Nutzern kann ein rechtliches oder auch nur tatsächliches Nutzungsverhältnis bestehen. Häufig einher gehen mit der Vermittlung zusätzliche Veredelungs- oder Bündelungsangebote des Plattform-Betreibers, zum Beispiel die Vermittlung eines passenden Transaktionspartners, der zusätzlichen Schaffung von Publikum oder aber auch nur der Verringerung von Kosten.241 Zum anderen wirken sich die Entscheidungen einzelner Individuen dabei auf die Entscheidungen anderer Individuen derselben Nutzergruppe oder einer anderen Nutzergruppe aus. Der Plattform-Betreiber macht sich diese Auswirkungen zu eigen und versucht, sein Geschäftsmodell dadurch wirtschaftlich voranzutreiben, dass er die beteiligten Nutzergruppen vergrößert, indem er „mehr an Bord holt“.242 Dabei bestätigen diese ersten Beobachtungen den Eindruck, dass Plattform-Geschäftsmodelle besonders häufig in der Internetindustrie auftreten.
Plattformen können sich je nach Vermittlungsweise in Transaktionsplattformen und Nicht-Transaktionsplattformen unterscheiden lassen.243 Zu den Transaktionsplattformen gehören Kreditkartensysteme, Handels- und Vertriebsplattformen und auch Sharing-Plattformen. Auch Makler und andere Provisionsvermittler lassen sich hierunter fassen. Sie ermöglichen eine beobachtbare Transaktion, also in ökonomischer Hinsicht einen Austausch von Wirtschaftsgütern.244 Nicht-Transaktionsplattformen vermitteln dagegen lediglich den Kontakt oder stellen ein „Match“ her, indem sie nach vorherbestimmten Parametern passende Vermittlungsergebnisse präsentieren. Hierzu gehören unter anderem Suchmaschinen, Dating-Plattformen und soziale Netzwerke, insbesondere aber auch Medien-Plattformen. Ausschlaggebend für diese Einordnung ist die bloße Teilnahme, ohne dass es auf eine tatsächliche Transaktion ankommt.245 Das Bundeskartellamt neigt in einem ersten Bericht des behördeninternen „Think Tank Internet“ zu einer Differenzierung zwischen Matchmaker-Plattformen auf der einen Seite und dem gegenüber stehend den Aufmerksamkeitsplattformen.246 Matchmaker-Plattformen könnten demnach wiederum danach untergliedert werden, ob eine Transaktion oder ein anderweitiger Austausch stattfindet. Die Behörde sieht dabei die Herausforderungen bei Sachverhalten mit digitalen Plattformen in ihrem Bezug zu „innovationsgetriebenen digitalen Märkten“.247
Plattformen können also nach den bisherigen Untersuchungen grundsätzlich über das Konzept der mehrseitigen Märkte, bzw. Wirtschaftszweige, beschrieben werden. Entscheidend ist die Wirkung indirekter Netzwerkeffekte zwischen den Nutzern. Diese machen sich Plattformen zu eigen und modulieren ihre Preisstruktur hiernach, um die verschiedenen Nutzergruppen für sich zu gewinnen. Eine Plattform-Preisstruktur kann unentgeltliche Leistungen umfassen, um weitere Nutzer zu gewinnen oder zu halten.
240 Weitere nicht abschließend aufgezählte Beispiele finden sich in der Regierungsbegründung zur 9. GWB-Novelle, BT-Drs. 18/10207, S. 49. 241 Budszinski/Lindstädt, WiST 2010, S. 436 (437); Luchetta, JCLE 2013, S. 185 (197); Assion, Must Carry, 2015, S. 111; Vgl. hierzu auch Bundeskartellamt, Digitale Ökonomie – Internetplattformen zwischen Wettbewerbsrecht, Privatsphäre und Verbraucherschutz v. 1.10.2015, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/AK_Kartellrecht_2015_Digitale_Oekonomie.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 11. 242 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (1013); Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 22. 243 Filistrucchi et al., JCLE 2014, S. 293 (298); Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, S. 387 (388f.). 244 Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken v. 9.6.2016, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 20. 245 Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, S. 387 (389). 246 Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken v. 9.6.2016, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 23ff. 247 Bundeskartellamt, Digitale Ökonomie – Internetplattformen zwischen Wettbewerbsrecht, Privatsphäre und Verbraucherschutz v. 1.10.2015, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/AK_Kartellrecht_2015_Digitale_Oekonomie.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 8.
C. Annäherung an einen Innovationsbegriff
Der Begriff „Innovation“ kann im Zusammenhang mit innovationsrelevantem Kartellrecht über zwei verschiedene methodische Fragestellungen fassbar gemacht werden. Auf der einen Seite steht die Klärung des Rechtsbegriffs, der entsprechend rechtlich ausgelegt wird, auf der anderen Seite sind tatsächliche Feststellungen über die Umstände zu treffen, die im Zusammenhang mit Innovationssachverhalten erheblich sind. Doch letzteres ist nur möglich, wenn die tatsächlichen Feststellungen nach den jeweiligen theoretischen Grundlagen im Rahmen einer rechtlichen Würdigung – also der kartellrechtlichen Bewertung von Innovation – überhaupt berücksichtigt werden dürfen.248 Dies beschreibt besonders prägnant die Herausforderung kartellrechtlicher Fragestellungen, sind diese doch besonders stark von wettbewerbstheoretischen Wertungen einerseits und den hierauf gestützten Feststellungen andererseits geprägt. Bei den wettbewerbsökonomischen Theorien handelt es sich zunächst um außerrechtliche Wertungserkenntnisse, denen also keine unmittelbare rechtliche Wirkung entnommen werden kann. Das Kartellrecht ist aber bei seiner Auslegung auf diese