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Gerade die Frage, ob es sich bei einem potenziellen Vorteilsempfänger um einen Amtsträger oder einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten handelt, birgt ein erhebliches Compliance-Risiko. Zwar liegt die Amtsträgereigenschaft eines Empfängers häufig, insbesondere bei einem bestehenden Beamtenverhältnis, auf der Hand, in einer Vielzahl von Einzelfällen ist aber prima facie, auch für den juristisch geschulten Betrachter, kaum ersichtlich, ob es sich um einen Amtsträger handelt oder nicht. Als Amtsträger angesehen werden beispielsweise Prüfingenieure für Baustatik, Verkehrspiloten, Planungsingenieure, die längerfristig mit Ausschreibungen oder Vergaben der öffentlichen Hand betraut sind, oder auch Redakteure der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.52 Amtsträger sind auch etwa die Organmitglieder von Landesbanken oder von Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts, da auch diese nach den jeweiligen Sparkassengesetzen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Angestellte von Kommunalbanken oder Sparkassen sind jedoch regelmäßig nur dann als Amtsträger anzusehen, wenn und soweit die Sparkasse im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kommunalbank tätig wird und damit Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt.53 Bei den weniger exponierten Mitarbeitern solcher Kreditinstitute ist darüber hinaus darauf zu achten, dass diese möglicherweise generell „Verpflichtungserklärungen“ im Sinne des Verpflichtungsgesetzes abgegeben haben und damit auch Adressaten der Amtsdelikte geworden sind.
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In hohem Maße problematisch ist auch die Tatsache, dass Amtsträger gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c) StGB auch ist, wer nach deutschem Recht „sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen“. Erscheint hier bereits die gesetzliche Definition kaum nachvollziehbar, so überrascht die hierzu ergangene Kasuistik des BGH umso mehr. Bei einer solchen „sonstigen Stelle“ kann es sich nämlich durchaus auch um juristische Personen des Privatrechts handeln, wenn diese etwa Aufgaben der Daseinsvorsorge ausführen und, so der BGH, als „verlängerter Arm des Staates“ erscheinen. In der Praxis werden Aufgaben der Daseinsvorsorge etwa durch Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, kommunale Wohnungsbaugesellschaften oder sonstige kommunale Beteiligungsgesellschaften wahrgenommen, die im Rechtsverkehr allerdings als GmbH oder Aktiengesellschaft firmieren und deren Organmitglieder (Geschäftsführer, Vorstände oder Aufsichtsräte) prima vista natürlich nicht als Amtsträger wahrgenommen werden. Nach der auch hier äußerst unübersichtlichen Kasuistik sind etwa im kommunalen Alleinbesitz befindliche Stadtwerkegesellschaften, sei es in der Rechtsform der GmbH oder der AG, als sonstige Stelle qualifiziert worden, ebenso etwa das Versorgungswerk der Rechtsanwälte, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten oder auch die Deutsche Bahn Netz AG, nicht jedoch die Deutsche Bahn AG. Gesetzgeberische Absicht war es, das „Vertrauen in die Nicht-Käuflichkeit dienstlichen Handelns“ (BGHSt 47, 295, 303) auch im Rahmen veränderter staatlicher Organisationsformen aufrechtzuerhalten; erkauft wurde diese Absicht der Erstreckung des Amtsträgerstrafrechts auf privatrechtliche Organisationsformen allerdings durch eine fast grenzenlose Unbestimmtheit des Amtsträgerbegriffs. Aufgrund der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Kasuistik in der Rechtsprechung, welche (privatwirtschaftlich organisierte) Gesellschaft eine sonstige Stelle ist und wer bei einer solchen Stelle Amtsträger ist, kann von einer „Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens“ hier kaum mehr die Rede sein, das Korruptionsstrafrecht ist insoweit zum „Case Law“ mutiert.
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Der Amtsträger muss für die Dienstausübung einen Vorteil entweder für sich oder einen Dritten (sog. Drittvorteil) fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. Einen aus compliance-technischer Sicht sicheren Bereich bietet auch das Tatbestandsmerkmal des Vorteils nicht. Unter einem Vorteil ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Amtsträger keinen Anspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert.54 Besser gestellt wird der Amtsträger vor allem durch materielle Zuwendungen jeder Art, aber auch immaterielle Vorteile werden vom Tatbestand erfasst. Als materielle Vorteile sind in der Rechtsprechung insbesondere anerkannt:
– Geld55 und Sachwerte;56
– die Nutzungsmöglichkeit von Gegenständen;57
– die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen;58
– die Einräumung von Rabatten und sonstigen Vergünstigungen;59
– die Gewährung von (zinslosen) Darlehen;60
– der Erlass oder die Stundung von Forderungen;61
– die Übernahme von Kosten für Urlaubs- und Kongressreisen;62
– die Einladung zu entgeltlichen Veranstaltungen (Fußball-WM-Tickets);63
– die Einladung in Gourmet-Restaurants;64
– die Bezahlung sexueller Leistungen durch Prostituierte;65
– die Ausrichtung und Finanzierung von Feiern und sonstigen Veranstaltungen, deren Kosten eigentlich der Amtsträger hätte tragen müssen;66
– die Honorarzahlung für ein (wertloses) Gutachten;67
– Vermittlung eines (Schein-)Beratervertrags;68
– erbrechtliche Begünstigungen;69
– Vermittlung einer Nebentätigkeit (z.B. entgeltliche Vorträge), auch wenn diese adäquat vergütet wird (str.).70
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Wertmäßig ist hier eine Begrenzung kaum möglich, auch geringwertige Geschenke fallen unter den Vorteilsbegriff.71 Einen „Safe-Harbor“ im Hinblick auf eine zulässige Hingabe von Vorteilen an einen Amtsträger gibt es damit nicht. Insbesondere die Vereinbarung eines adäquaten Austauschverhältnisses mit dem Amtsträger, etwa durch einen Beratervertrag o.Ä., auch wenn dieser von einer Nebentätigkeitsgenehmigung des Beamten gedeckt sein sollte, hilft hier kaum weiter. Nach der Rechtsprechung des BGH soll ein Vorteil nämlich bereits im Abschluss eines solchen Vertrages liegen, wenn dieser Leistungen an den Amtsträger zur Folge hat und zwar selbst dann, wenn diese nur ein angemessenes Entgelt für aufgrund des Vertrages geschuldete Leistungen seien. Andernfalls, so der BGH, könnten die Bestechungstatbestände stets durch die Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen Amtsträger und Leistungsgeber ausgeschlossen werden.72
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Für die Erfüllung des Tatbestandes ist eine sog. „Unrechtsvereinbarung“ erforderlich, die allerdings bereits dann vorliegt, wenn der Vorteilsgeber dem Amtsträger einen Vorteil „für die Amtsausübung“ zuwendet. Eine Gegenleistung, etwa die pflichtwidrige Erteilung einer Genehmigung o.Ä., ist für die Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich, es reicht aus, dass der Vorteil im weitesten Sinne im Hinblick auf die Dienstausübung des Amtsträgers gewährt wird. Wird mit dem Amtsträger eine pflichtwidrige Gegenleistung für die Hingabe des Vorteils vereinbart, liegt der (Qualifikations-)Tatbestand der Bestechung gemäß § 334 StGB vor, der über einen deutlich erhöhten Strafrahmen verfügt.
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Durch die Strafdrohung hinsichtlich der schlichten Gewährung eines Vorteils im Hinblick auf die dienstliche Tätigkeit des Amtsträgers wird die Strafbarkeit im Sinne einer weitestmöglichen Abschreckung nicht nur deutlich vorverlagert, es offenbaren sich auch erhebliche Compliance-Risiken. Übliche Formen des gesellschaftlichen Umgangs miteinander sowie der Höflichkeit geraten hier jedenfalls, soweit Amtsträger betroffen sind, in den Bereich der Strafbarkeit. Erklärte Absicht des Gesetzgebers war es, insoweit bereits die Schaffung eines Näheverhältnisses zwischen Amtsträger und Interessent, das sog. „Anfüttern“, die „Klimapflege“ oder die „Schaffung der Allgemeinen Geneigtheit“ einer Strafandrohung