Aber auch die verschiedenen Arten der Sträucher können im Winter an ihrer Gestalt erkannt werden. Wildrosen wachsen beispielsweise zumeist wie ein Springbrunnen: Junge Zweige wachsen straff aufrecht. Wenn die Zweige älter werden, biegen sie sich an ihren Spitzen immer mehr nach außen und nach unten. Bei anderen Sträuchern bleiben die einzelnen Triebe aufrecht und verzweigen sich nur wenig, wie bei der Hasel oder dem Faulbaum. Dann gibt es auch Sträucher, die eher wie kleine Bäume wachsen, sie bilden kurze Stämme und mehr oder weniger kugelige Kronen. Dazu gehören zum Beispiel die Kornelkirsche oder der Kreuzdorn.
Jede Pflanze hat aber nicht nur eine arttypische, genetisch bedingte Gestalt, sie ist auch ein unverwechselbares Individuum. Ihre Gestalt resultiert aus den Bedingungen, unter denen die Pflanze bis jetzt gewachsen ist, sie erzählt ihre Geschichte. Dazu gehören auch Unfälle wie Rindenverletzungen durch Schubkarren oder Autos und natürlich die Pflegemaßnahmen des Gärtners.
Pflanzen können auch an ihrer arteigenen Gestalt erkannt werden, bei Gehölzen ist das im Winter anhand der Kronenarchitektur besonders gut möglich. Der Apfelbaum (oben) lässt sich mit seiner weit ausladenden, breitovalen Krone deutlich vom Birnbaum (unten), der eine aufstrebende, hochovale Krone ausbildet, unterscheiden.
Wurzeln – oft übersehen und doch so wichtig
Vor allem bei Stauden können wir eine wichtige und oft übersehene Eigenschaft der Pflanzen erkennen: Die Wurzeln sind für das Überleben der meisten Pflanzen wichtiger als die oberirdischen Teile. Wenn wir an die Stauden denken, die im Winter unter der Erde ruhen, sehen wir: Sie kommen ganz gut für einige Zeit ohne Blätter aus. Sehr viele Pflanzen können nach dem vollständigen Verlust der oberirdischen Teile wieder austreiben, abgeschnittene Triebe vertrocknen in der Regel. (Dass sich abgetrennte oberirdische Teile von Pflanzen bewurzeln, kommt – ohne Hilfe des Gärtners, der Stecklinge pflegt oder ein Edelreis auf eine Unterlage pfropft – in der Natur nur selten vor.)
Unglücklicherweise sehen wir aber die Wurzeln nicht. Deshalb sind wir uns nicht darüber im Klaren, wie groß und wichtig die Wurzeln unter der Erdoberfläche für die Integrität des Lebewesens »Pflanze« sind. Einige Forscherinnen und Forscher haben sich die Mühe gemacht, die Wurzelsysteme einzelner Pflanzen freizulegen und sie zu vermessen: Eine einzige Roggenpflanze hat demnach rund 14 Millionen Wurzeln, die zusammen 622 Kilometer lang sind und deren Gewebeoberfläche 237 Quadratmeter beträgt!
Um ein Vielfaches ausgedehnter ist das Wurzelsystem der Bäume. Es ragt weit über die Ausdehnung der Krone hinaus. Die Wurzelspitzen bewegen sich intelligent durch das Erdreich und suchen nach Wasser,
Die Wurzeln ragen weit über die Baumkrone hinaus. Bei der Gartenarbeit, beim Verlegen von Leitungen und bei dem Pflastern von Wegen sollten Verletzungen der Wurzeln vermieden werden, um den Baum nicht dauerhaft zu schädigen.
Nährstoffen und Halt. Sie messen und verarbeiten dabei gleichzeitig bis zu 15 verschiedene Bodeneigenschaften wie Bodenfeuchte, die Konzentrationen verschiedener Nährsalze und die Schwerkraft. Die Wurzeln verbinden sich mit Pilzen, denn so können sie effektiver Nährsalze und Wasser aufnehmen. Im Gegenzug versorgen sie die Pilze mit Nährstoffen. Ohne dieses Zusammenleben mit der sogenannten »Mykorrhiza« können manche Pflanzenarten nur schlecht oder gar nicht leben – das ist zum Beispiel bei den Erdorchideen der Fall.
Vielleicht wäre es daher angemessener, die oberirdischen Teile der Pflanze nur als die Fortpflanzungsorgane eines eigentlich unter der Erde lebenden Wesens aufzufassen. Diese ungewohnte Vorstellung würde uns helfen, die Wurzeln der Pflanzen mit Sorgfalt zu pflegen und vor allem, sie vor Schäden zu schützen.
Wir sollten versuchen, bei jeder Pflanze, die in unserem Garten wächst, auch ihr Wurzelwerk zu »sehen«, also um den Raum zu wissen, den die Wurzeln brauchen. Denn es wachsen in unseren Gärten ja nicht nur Bäume und Sträucher, es werden auch Leitungen verlegt und Wege
gepflastert. Bei Bauarbeiten werden die oberirdischen Teile der Pflanzen oft mit viel Sorgfalt geschützt, die Wurzeln aber vielfältig geschädigt: Gräben werden ausgehoben und Wurzeln dafür durchschnitten. Erde wird abgetragen, Wurzeln werden freigelegt und dem Sonnenlicht (Wurzeln haben keinen UV-Schutz) und austrocknenden Winden ausgesetzt. Der Wurzelbereich wird befahren oder Baumaterialien werden unter Bäumen – im Wurzelbereich – gelagert. Dadurch wird die Erde verdichtet, wodurch der Sauerstoffgehalt des Bodens sinkt. Da auch Wurzeln Sauerstoff zum Leben brauchen, werden sie durch Bodenverdichtung geschädigt und können sogar absterben. Auch wenn im Wurzelbereich Erde aufgetragen wird, sinkt der Bodenluftgehalt, was sogar zum Absterben empfindlicher Arten führen kann. Bei Rotbuchen kann schon ein Bodenauftrag von fünf Zentimeter Höhe zum Absterben des Baumes führen, andere Bäume sind zum Glück widerstandsfähiger, aber für jede Pflanze ist ein Bodenauftrag problematisch.
Wenn abzusehen ist, dass die Wurzeln der Gehölze durch Bauarbeiten Schaden genommen haben, können wir den geschädigten Pflanzen helfen, indem wir die oberirdischen Teile auslichten. Ziel der Schnittmaßnahmen ist es, das Gleichgewicht zwischen der Wurzel- und Blattmasse wiederherzustellen, ähnlich wie das auch beim Pflanzschnitt der Fall ist (siehe Seite 165). Schnittmaßnahmen an vorgeschädigten Pflanzen sollten mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden, bei Unsicherheiten also lieber einen fachkundigen Betrieb beauftragen!
Baumschutz auf der Baustelle
Weil das Wurzelsystem der Bäume weit über die Kronentraufe hinausreicht und sich außerhalb der Kronentraufe auch die meisten Feinwurzeln befinden, ist auf Baustellen um jeden zu erhaltenden Baum ein fester Zaun im Abstand von 1,5 Meter von der Kronentraufe zu errichten (DIN-Norm 18920). Wenn dies nicht möglich ist, dann muss im Bereich des Wurzeltellers eine Schutzlage aus druckverteilendem und luftdurchlässigem Material von mindestens 20 Zentimeter Dicke aufgebracht werden.
Vielfältige Wuchsformen
Gärtner unterscheiden einjährige Pflanzenarten, mehrjährige Stauden und Gehölze. Was ist aber der Unterschied zwischen einer Staude und einem Gehölz?
Bei Gehölzen werden die anfangs weichen Triebe durch die Einlagerung des Holzstoffs (»Lignin«) hart, eben holzig. Gehölze haben auch im Winter über der Erde lebende Teile.
Während einjährige Pflanzen nach Blüte und Samenbildung absterben, treiben Stauden nach der Blüte und Samenbildung wieder aus bodennahen Knospen mit weichen, unverholzten Trieben aus. Im Winter haben sie entweder gar keine Blätter oder nur eine bodennahe Blattrosette.
Blick aufs Wurzelwerk beim Pflanzenkauf
Dass die Pflege der Pflanzen in erster Linie den Wurzeln gilt, wissen Biogärtner schon lange. Sie ernähren mit einer gut geführten Kompostwirtschaft den Boden und fördern so die vielen Lebewesen im Boden, die durch ihre Lebenstätigkeit für ein ausgedehntes und gesundes Wurzelwerk der Pflanzen ideale Bedingungen schaffen. Auf lebendigen Böden wachsen gesunde Pflanzen.
Es ist deshalb auch wichtig, beim Kauf einer Pflanze nicht nur nach gut genährten Blättern und prächtigen Blüten zu schauen, sondern vor allem die Qualität des Wurzelwerks zu kontrollieren. Ist der Ballen gut durchwurzelt? War die Pflanze schon zu lange im Container und schauen Wurzeln aus den Abzugslöchern heraus? Haben sich schon Wurzeln gebildet, die am Boden des Topfes spiralförmig wachsen? Dann wird die Pflanze nur schlecht oder gar nicht anwachsen, weil Wurzeln, die einmal angefangen haben, im Kreis zu wachsen, auch vom Topf befreit weiter spiralförmig wachsen. Es ist beinahe so, als wäre ihnen