Kiyoshi
Die Regeln des Meisters
»Kiyoshi, das ist kein einheimischer Name. In der Sprache der Furien bedeutet er: Trägt Weiß. Das stimmt ja irgendwie auch, wenn man dein Fell berücksichtigt.« Während der Junge gesprochen hatte, war er zu dem Sofa geschlendert und hatte es sich darauf bequem gemacht. »Gefällt mir. Ja, wenn du deinen alten Namen wieder tragen willst, dann sollst du ab sofort wieder Kiyoshi heißen.« Fragende blaue Augen musterten den Tiger.
Wollte er das? Nachdem die Menschen ihn eingefangen und in die Sklaverei verdammt hatten, war ihm brutal beigebracht worden, dass er ein Niemand war.
»Ein wertloser Gegenstand benötigt keinen Namen«, war eine der wichtigsten Regeln des Schlächters Ursay. Eigentlich war es sogar gut für ihn gewesen, dass er seinen Namen ablegen hatte müssen. So konnte der Mensch ihn nicht besudeln, wie er es mit seinem Körper getan hatte.
Der Name Kiyoshi stand für Freiheit und Hoffnung. Es war sein Geburtsname. Er erinnerte ihn an die Zeit vor der Sklaverei. Eine glückliche Zeit ohne die abscheulichen Menschen. Seit mehr als 10 Jahren hatte ihn keiner mehr bei seinem Namen genannt. In den dunkelsten Stunden der Nacht, wenn er weggeworfen in einer Ecke, beschmutzt und missbraucht vor sich hinvegetierte, hatte er seinen Namen selbst ausgesprochen, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen.
Der Sklave wollte nicht, dass der Mensch ihm das letzte Stück seiner einstigen Identität nahm. Aber er konnte sich auch nicht dem Willen seines Herrn entgegenstellen. Jedenfalls noch nicht. Schweren Herzens und mit einer tiefen Verbeugung antwortete Kiyoshi: »Wie mein Meister es wünscht.«
»Das sollte kein Befehl sein«, versuchte der Knabe seine Worte richtig zu stellen. »Ich möchte dich nicht zu etwas zwingen, was du nicht willst. Es ist schon spät und heute war ein aufregender Tag. Ich sollte dich besser in Ruhe schlafen lassen. Du kannst mir morgen deine Entscheidung mitteilen. Wähle selbst einen Namen, wenn du das möchtest.«
Dann drehte er sich um und ging auf die Zimmertür zu. Hastig sprang der Tiger vor, um seinem Herrn die Tür aufzuhalten. Der Sklave musste seine Rolle spielen. Er konnte sich zu diesem Zeitpunkt keine Fehler leisten. Um seinen Plan umzusetzen, musste er sich das Vertrauen des Menschen erschleichen. Ein unachtsamer Herr würde wesentlicher einfacher zu töten sein, als ein misstrauischer.
Plötzlich, mitten in der Bewegung, löste sich das Handtuch von seiner Hüfte. Unglücklicherweise wickelte es sich so um seine Beine, dass er ins Straucheln geriet. Er konnte nicht mehr ausweichen und es folgte ein Zusammenstoß mit dem Jungen. Mit einem spitzen und erschrecken Ausruf gingen sie zu Boden und rollten über den Teppich.
Als das Knäuel aus zwei Körpern zur Ruhe kam, lag der Tiger, alle viere von sich gestreckt, auf seinem Meister. Er blickte diesem ängstlich in die Augen und schluckte schwer.
Zitternd begann er zu wimmern: »Vergebt mir, Meister. Bitte bestraft mich für meine Unachtsamkeit.« In Erwartung einer Tracht Prügel schloss er seine roten Augen und bereitete sich auf das Kommende vor.
»Beruhige dich, Kiyoshi, das war nur ein kleines Missgeschick«, erwiderte der Meister mit sanfter Stimme.
Fast schon zärtlich wurde er beruhigend über den Rücken gestreichelt. Er riss ungläubig die Augen auf. Warmes Kristallblau schaute zu ihm auf.
»Ich werde dich nicht bestrafen. Niemals könnte ich die Hand gegen dich erheben«, murmelte der Mensch und bekam etwas Farbe im Gesicht.
Der Tiger konnte sich nicht zurückhalten und fragte verunsichert: »Warum seid Ihr so nett zu mir?«
Wie aus der Pistole geschossen antwortete der Jüngling: »Ich mag dich.« Noch einmal verstärkte sich der Rotton auf den felllosen Wangen. Diese Antwort und der warme Blick des Knaben zogen ihn in ihren Bann. Er konnte sich weder bewegen, noch etwas erwidern. Mit einer Hand fuhr der Junge ihm über die Wange und biss sich auf seine Unterlippe.
Auf einmal stemmte sich der Mensch auf die Ellbogen und kam ihm noch näher. Kiyoshis Denken setzte aus, in dem Moment, als ihre Lippen sich trafen. Ohne zu überlegen und ohne sich dessen bewusst zu sein, was er tat, schloss er die Augen und erwiderte diesen zaghaften Kuss. Erneut breitete sich ein leichtes Kribbeln in ihm aus, begleitet von einem warmen Gefühl der Geborgenheit. Zu lange schon sehnte sich der Sklave nach genau diesem Gefühl. Er ließ sich von seinen Instinkten leiten und verstärkte die Intensität des Kusses.
In der hintersten Ecke seines Verstandes schrie eine Stimme: »Hör auf, das ist ein Mensch, ein Monster.« Doch schenkte er ihr kaum Beachtung. Die Hände auf seinem Rücken hatten begonnen, seinen Körper zu erkunden. Langsam arbeiteten sie sich an seinen Seiten entlang und drangen in den Bereich seines Schweifes vor. An seinem Steiß angekommen, zog die eine streichelnd Kreise, während die andere seinen Schwanz entlangfuhr.
Unwillkürlich zuckte der junge Tiger und löste mit einem langgezogenen Stöhnen den Kuss. Was der Mensch mit ihm anstellte, ließ ihn nicht kalt und er spürte sehr deutlich, wie sein Blut auf Abwege geriet. Sein Schweif zuckte unkontrolliert hin und her und bog sich der Berührung des Knaben entgegen.
Mit völlig verklärtem Blick sah er dem Jungen in die Augen und was er sah, ließ ihn erschauern. Der Mensch schaute erregt zu ihm auf und verstärkte den Griff um seine Rute. Abermals entwich dem Tiger ein Stöhnen und er sackte auf der Brust des Mannes zusammen. Das war einfach zu überwältigend. Noch nie in seinem ganzen Leben war ihm eine solche Zuwendung geschenkt worden. Ohne es bewusst wahrzunehmen, war er dem Zauber dieses Menschen erlegen. Begierde stieg in ihm auf und er suchte die zarten Lippen des anderen. Ein neuer Kuss entstand, doch diesmal wesentlich gieriger als der vorige. Eine der Hände wanderte seinen Rücken hinauf und kraulte ihn sanft im Nacken.
Genießerisch stöhnte er in den Kuss und öffnete leicht die Lippen. Der Mensch nutzte diesen Umstand schamlos aus und glitt mit seiner Zunge in sein Maul. Dort stupste die kleine menschliche Zunge die seine an und animierte ihn, mit zu machen. Nur zu gern kam er dieser Aufforderung nach und es ergab sich ein angeregter Zungenkampf.
Plötzlich zogen sich die Hände des Hausherrn zurück und auch der Kuss wurde unterbrochen. Mit dunkler Stimme krächzte der Jüngling: »Kiyoshi, sieh mich an.«
Perplex kam er dieser Aufforderung nach und öffnete seine Augen, die er bei ihrem Zungenduell geschlossen hatte.
Der Knabe räusperte sich. Offensichtlich kostete es ihm einige Mühe, seine Worte zu formulieren, als er sagte: »Lass uns aufhören. Ich möchte nicht, dass du es später bereust, wenn wir weitermachen.«
Ein kleiner Teil seines Verstandes, der Teil, der noch nicht völlig in seiner Lust gefangen war, stimmte zu. Aber dieser andere Teil war nur eine kleine dumpfe Stimme im Hintergrund. Was der Mensch mit ihm anstellte, fühlte sich einfach viel zu gut an, als dass er es beenden wollte.
Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, senkte er seinen Kopf und flüsterte dem Mann unter sich ins Ohr: »Bitte, nicht aufhören!« Seine Stimme war flehentlich und er wusste, dass er sich später dafür schämen würde, sich so bereitwillig einem Menschen hingegeben zu haben, aber in diesem Moment war ihm das völlig egal.
Noch immer lag der Mensch unter ihm und machte keine Anstalten, ihn in Besitz zu nehmen. Also machte er den nächsten Schritt und leckte einmal über die Ohrmuschel des Knaben. Dieser stöhnte auf und zog ihn in eine feste Umarmung. Der Bursche drückte sein Gesicht auf seinen Hals und nahm seinen Geruch in sich auf. Dann biss er leicht in diese ungeschützte Stelle. Unkontrolliert keuchte der Tiger auf und presste sich dem Menschen entgegen. Nur zu deutlich konnte er auch dessen Erregung spüren. Das wiederum brachte sein Blut nur noch mehr zum Kochen.
Abermals wurde er losgelassen und der Kopf des Jungen ließ von seinem Hals ab. »Kiyoshi, bitte. Ich möchte dich nicht ausnutzen.«
Wie konnte der Mensch noch so einen klaren