Langsam senkte der Sklave seinen Kopf und schloss die Augen. Diese Zärtlichkeit, dieser zaghafte Kuss. Er war rohe Gewalt gewöhnt. Das machte ihm schon seit langem nichts mehr aus. Hätte sein neuer Meister ihn nur mit Gewalt genommen, dann könnte er nun seine Wunden lecken und diesen Sadisten im Stillen hassen. Doch so war er überfordert mit der Situation. Er verlor sich in seinen Gedanken und kam doch zu keiner Erkenntnis.
»Versuche bitte, die Otter zu wecken, wir werden in Kürze ankommen.« Die Worte seines Meisters durchbrachen sein Gedankengespinst. Wie benebelt erhob er sich und drehte sich zu den Brüdern um. Ohne Emotion stellte er fest, dass die beiden wach waren und mit leeren Augen zur Fahrzeugdecke schauten. Da somit die Aufgabe erledigt war, setzte er sich weiter hinten auf seine Beine. Er harrte der Befehle des Meisters und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Nach wenigen Minuten wurde der Wagen langsamer und hielt schließlich an. Der Meister erhob sich und straffte sein Gewand. Nachdem der Tiger die Einkäufe seines Herrn aufgesammelt hatte, öffnete er ihm demütig die Tür. Draußen angekommen bemerkte der Sklave, dass es schon später Abend war.
Wegen der Dunkelheit konnte er nur die Umrisse eines großen Gebäudes sehen. Abgesehen von zwei Lichtern am Haupteingang war nirgends Licht zu sehen. Der Sklave machte sich bereit, seinem Meister aus dem Wagen zu helfen und schaute erstaunt zu, wie die Otterbrüder herauskamen. Müde und ausgemergelt schlurften sie in Richtung Eingang. Dann sprang der Meister mit einem Satz, schneller als der Tiger reagieren konnte, aus der Limousine und streckte sich ausgiebig.
»Komm, ich zeige dir dein Zimmer«, sagte der Junge und trottete den Brüdern hinterher. Wortlos folgte der Tiger in gebührendem Abstand. Die Tür war nicht verschlossen und als der Meister die Eingangshalle betrat, flammte plötzlich, wie von Zauberhand das Licht in den Kronleuchtern auf.
Viel Zeit sich die Umgebung anzusehen, hatte der Gestreifte nicht, da der Meister zügig auf die rechte Treppe zuging. So erhaschte er nur ein paar Blicke auf die ihm unbekannten Wappen, während er sich beeilte, dem Knaben zu folgen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass auch die Otter nachkamen, sich gegenseitig stützend.
Im ersten Stock angelangt wartete der Mensch auf seine drei Sklaven.
»Die Einkäufe kannst du dort hinlegen.« Er deutet auf einen kleinen Beistelltisch und fragte höflich: »Könnest du den beiden vielleicht etwas helfen?«
Der Sklave tat wie ihm geheißen. Als Dreiergespann folgten sie ihrem Herrn durch die erste Tür rechts. Diese führte in einen weiten Gang, von dem mehrere Türen zu beiden Seiten abgingen. Der Korridor endete an einem weitläufigen Fenster. Auch hier wurde der Flur erhellt, als sie eintraten.
»So, die erste Tür links ist das Zimmer der Otter. Die gegenüber führt zu deinem Zimmer«, offenbarte der Mensch und deutete auf die entsprechenden Räume. »Geht euch waschen und schlafen, wenn ihr müde seid. Ich werde später nach euch sehen.« Bevor die drei Sklaven noch etwas sagen konnten, war der Meister durch die Tür zur Eingangshalle gehuscht und hatte sie hinter sich geschlossen.
Der Tiger spürte, dass das Gewicht des einen Otters, dem er geholfen hatte, von seinen Schultern verschwand. Er sah, wie die beiden ihre Tür öffneten und in dem Raum verschwanden. Ein kurzer Blick ins Zimmer hatte ihm keine weitere Erkenntnis gebracht, da seine Sicht von zwei Otter-Körpern verdeckt wurde.
Nun stand er allein in dem großen Gang. Mit zitternden Händen griff er nach der Klinke zu seinem Zimmer und schluckte. Innerlich auf alles gefasst, öffnete er die Tür und trat ein. Zuerst umfing ihn Dunkelheit. Das künstliche Licht des Kronleuchters blendete ihn, als dieser ohne sein Zutun erglühte. Nachdem der Tiger sich an die sich geänderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, sah er sich staunend in dem Raum um.
Den Boden des Raumes bedeckte ein hellblauer weicher Teppich mit schwarzen Verzierungen am Rand. Wände und Decke waren mit einer weißen Tapete bedeckt, die mit feinen blauen Linien gemustert war. Zu seiner Rechten stand ein großes Bett. Der Bezug war in einem schlichten Weiß gehalten, der einen guten Kontrast zu den vielen blauen Kissen darstellte. Neben dem Bett befand sich ein geräumiger Kleiderschrank. Ihm gegenüber sah der Gestreifte zwei fast raumhohe Fenster mit extrabreitem Fenstersims, der zum Sitzen und Träumen geeignet schien.
Zu seiner Linken an der Wand zum Korridor stand ein schwarzes Ledersofa. Daneben ein Schreibtisch mit einigen Schubladen und einem Stuhl mit hoher Lehne. Eigenartig war die linke Wand des Raumes. In der Mitte ging eine gläserne Tür ab. Die Wand rechts daneben war ebenfalls aus Glas und der Tiger stellte mit Erstaunen fest, dass es sich um eine Dusche mit Ausblick ins Zimmer handeln musste. Aus einem unerfindlichen Grund reichte in der linken hinteren Ecke, etwa einen Meter von der Dusche entfernt, ein Baumstamm schräg von der Decke bis zum Boden.
Einen Moment verweilte der Sklave und besah sich dieses faszinierende Zimmer. Dann ging er auf die Glastür zu. Was er von seiner vorherigen Position nicht hatte sehen können, waren die Regale an der gegenüberliegenden Wand. Darin lagen einige Hand- und Badetücher. Darunter fand sich ein Sammelsurium verschiedener Glasfläschchen, mit farblich unterschiedlichen Inhalten. Rechts daneben war ein kleiner Korb, offenbar für schmutzige Wäsche.
Zur Linken ging noch eine weitere Tür aus Holz ab. Er öffnete diese Tür und fand eine Toilette und ein Wachbecken, in einem schlichten, aber dennoch modisch gefliesten Raum in den Farben hellblau und weiß. Danach schaute er sich die offene Dusche näher an. Auch hier waren die Farben hellblau und weiß verwendet worden. An der Wand gegenüber dem Zimmer waren einige verschiedene Armaturen angebracht, die für ihn keinen Sinn ergaben.
Da er sowieso nackt war, konnte er sich das Entkleiden sparen und gab sich seiner Neugierde hin. Zielstrebig ging er zu dem ersten Hahn und drehte ihn auf. Ein Wasserstrahl aus einer Düse traf ihn im Bauch und er zuckte erschrocken zusammen. Rasch stellte er das Wasser ab und probierte nacheinander alle anderen Armaturen aus.
Nach etwa zehn Minuten hatte er es geschafft, alles zu testen und er war sprachlos. Überall waren versteckte Düsen angebracht, die aus verschiedenen Richtungen Wasserstrahlen verschossen. Je nachdem, woran er gerade drehte, wurde er entweder von einer Art Sprühregen umgeben oder von dicken starken Strahlen beschossen.
Pitschnass und triefend, stellte er fest, dass er kein Duschgel mitgenommen hatte. Er erinnerte sich an die vielen Fläschchen im Vorraum und ging zu dem Regal zurück. Eins nach dem anderen zog der Tiger die Glasgespinste heraus, öffnete sie und roch daran. Als er das sechste Fläschchen aufmachte, schlug ihm ein angenehmer Duft entgegen. Also entschied er sich, das Testen der anderen zu verschieben und ging mit dem erwählten zurück zu den Wasserstrahlen.
Etwa eine viertel Stunde später war er fertig mit der Reinigung seines Körpers und stand, mit einem Handtuch um die Hüfte, vor einem mannshohen Spiegel, den er im Zwischenraum entdeckt hatte.
Rote leuchtende Katzenaugen starrten ihm entgegen. Dann betrachtete er sein Profil. Seine katzenähnlichen Gesichtszüge wurden durch die schwarzen Stupsnase und den hervorstehenden Eckzähnen gut abgerundet. Spitz aufragende Katzenohren standen seitlich aus dem noch leicht feuchten Haupthaar heraus. Weißes Fell bedeckte seinen Körper, durchbrochen von blau-gezackten Streifen. Seine Brust- und Bauchmuskeln waren leicht durch sein Fell hindurch definiert. Die scharfen Krallen an Pfoten und Füßen rundeten das ganze Bild ab. Leicht öffnete er sein Maul und strahlend weiße spitze Zähne kamen zum Vorschein. Ein sanftes Grinsen umspielte seine Lippen. Ja, er war zufrieden mit seinem Aussehen.
»Wie gefällt dir dein Zimmer?«, fragte eine Stimme und der Tiger macht einen Satz fast bis zu Decke. Er hatte seinen Herrn nicht kommen gehört. Rasch schloss er die Augen und sammelte sich. Dann drehte er sich mit gesenktem Kopf um und antwortete gehorsam: »Euer Raum ist tadellos, Meister.«
»Das freut mich zu hören.« Ein sanftes Lächeln umspielte die jugendlichen Züge. Dann fragte der Mensch: »Sag mal, wie heißt du eigentlich?«
»Ein Sklave trägt keinen Namen, bis sein Meister ihm einen gibt.«
In den blauen Kristallen des Menschen lag ein undefinierbarer Ausdruck. War es Trauer oder Zorn? Mit einem Seufzen fragte er erneut: »Ok, dann anders. Wie nannte