»Erzähl weiter«, bat ich Nick daher nur.
Für einen Moment schwieg er. Ein Ausdruck von Enttäuschung huschte über sein Gesicht. Dann jedoch schien er sich zu fangen und mit einem leisen Räuspern sprach er weiter. »Die anderen Welten, mal überlegen.« Er hob eine Hand und begann mit seiner Aufzählung. »Vesteria ist unser stärkster Verbündeter. Die Welt der Formwandler«, erklärte er mir und meine Augen wurden kugelrund.
»Werwölfe?«
»Nicht ganz. Ein Formwandler ist zu wesentlich mehr in der Lage, als sich in einen übergroßen Wolf zu verwandeln. Drake Careus ist ihr Herrscher. Nach deiner Initiation in Arcadia wird dies unser erster Stopp sein. Drake ist ein Charmeur, Lilly. Er wird dir mit Sicherheit alles über die Magie seines Volkes erzählen. Dann gibt es noch Dhanikans, die Welt der Zauberer und Hexen. Ein Land voll unglaublicher Magie und beeindruckender Berglandschaften. Die Zauberer betreiben Handel mit den restlichen Welten und verkaufen ihre Magie, hauptsächlich durch Runensteine. Besonders hilfreich bei Portalreisen«, fügte er zwinkernd hinzu.
Bevor ich auch nur ein Wort richtig verarbeiten konnte, erzählte Nick weiter.
»Fenodeere liegt dicht an Vesteria. Nur wenige Welten sind heutzutage noch so einfach zu erreichen oder haben durch Portale verbundene, direkte Grenzübergänge. Fenodeere ist einer unserer wichtigsten Handelspartner. Die Zwerge und Kobolde des Bergvolkes sind die besten Waffenschmiede, die man sich vorstellen kann. Ihre Körperkraft ist enorm. Magie besitzen sie jedoch meist keine. Fenodeere arbeitet daher oft mit den Zauberern Dhanikans‘ zusammen. Crinaee ist die Welt der Wasserwesen. Najaden, Nymphen und Sirenen«, erklärte Nick und grinste mich feixend an.
»Besonders beliebt bei den … hm … ledigen Unsterblichen.«
Zu sagen mir schwirrte der Kopf, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Zauberer? Zwerge und Najaden? Was kam als nächstes, Vampire und Zombies?
»Dann gibt es noch Thaumas, die Welt der Harpyien. Ganze Städte existieren dort oben in den Wolken. Du wirst es lieben! Ich habe früher ein paar Sommer in Thaumas verbracht und gelernt, die Sturmwinde zu reiten.«
»Sturmwinde?«
»So nennen die Krieger ihre geflügelten Biester. Thaumas ist eine Welt des Krieges, Lilly. Die Krieger sind hauptsächlich weibliche Harpyien, da sie die Gabe besitzen, sich mit ihrem Sturmwind zu synchronisieren. Ihre Magie erkennt und ergänzt sich und macht sie so noch stärker. Und vor allem noch gefährlicher.«
»Womit betreibt Thaumas Handel«, fragte ich, »wenn die Welt fast nur aus Kriegern besteht?«
Nick seufzte. »Genau damit. Mit Krieg. Viele von ihnen verkaufen sich als Söldner oder Personenschützer.«
Das klang … brutal. Und unmenschlich. Aber genau das war es auch, dachte ich. Alles, was Nick mir erzählte, war unmenschlich, weil es zu einer ganz anderen Welt gehörte. Einer Welt voller Magie und unsterblicher Kriegerinnen und Krieger. Wo sollte ich in diese Gleichung passen? Eine einfache Kellnerin?
»Wer herrscht in Thaumas?«
»Odile und ihr Gefährte Aello«, antwortete er. »Aello ist Anführer der Bodentruppen und seine Gefährtin Odile ist die Herrscherin der Lüfte. Sie ist die Königin. Die Harpyien folgen ihr blind, ebenso die Sturmwinde. Ihr Biest ist der Alpha des Rudels.«
Das wiederum klang ziemlich interessant. Eine weibliche Herrscherin mit so viel Einfluss könnte in all dem Irrsinn vielleicht zu einer Verbündeten werden. Vorausgesetzt natürlich, ich blieb.
»Es fehlen zwei Welten.«
Nick griff nach seinem Glas und exte seinen Wein in einem Zug. Anscheinend war er es, der jetzt nervös wurde. Mein Kopf jedenfalls fühlte sich an, als würde er über den Wolken schweben. Das alles war völlig … fantastisch. Obwohl ich jeden Tag während der Arbeit und in meinem eigenen Zuhause von Fantasybüchern umgeben war, hätte ich mir solch eine Story in meinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können. So furchteinflößend das alles aber auch klang, es war faszinierend. Formwandler, Zauberer und Frauen, die auf Sturmwinden durch die Wolken flogen?
»Zählt man Abbadon hinzu fehlen sogar drei, aber die Welt der Dämonen lassen wir für heute außen vor.«
»Dämonen«, hauchte ich. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Es gab also wirklich Dämonen.
»Es gibt sie«, bestätigte er, »in vielen verschiedenen Formen. Und sie sind seit jeher unsere Feinde. Aber Abbadon ist ein sehr komplexes, eigenes Thema, Lilly.«
»Okay. Dann erzähl mir von den beiden fehlenden Welten«, bat ich ihn und speicherte meine Fragen über Abbadon und die Dämonen für später.
»Anak und Permata.« Die Stimme meines Bruders, Nicks Stimme, verbesserte ich mich schnell, klang düster. Ich brachte das Wort Bruder noch nicht einmal in Gedanken über die Lippen. Sein Tonfall hatte sich drastisch geändert und neugierig geworden, musterte ich ihn.
»Was ist mit diesen Welten? Warum wirst du auf einmal so abweisend?«
»Nicht alles in unserem Universum läuft perfekt oder überhaupt gut, Lilly. Das wirst du früh genug erfahren. Mit viel Macht kommt auch große Verantwortung und leider funktioniert das System nicht immer optimal. Unser Vater hatte es nach dem Clash nicht einfach. Unsere gesamte Welt lag in Schutt und Asche, nicht nur Alliandoan, und er hat versucht, wiederaufzubauen oder zu retten, was zu retten war. Dafür mussten Opfer gebracht werden.«
»Was genau versuchst du mir hier zu sagen, Nick?«
»Anak ist die Welt der Nephilim«, begann er.
»Halb Engel, halb Mensch?«
»Nicht ganz«, korrigierte er mich sanft. »Ein Nephilim ist ein halber Engel. Egal welche unsterblichen Gene sich mit denen eines Engels mischen, die Engels-Gene sind immer die dominanten.«
»Dann ist Anak eine Welt voller Engel?« Warum hatten sie dann überhaupt eine eigene Welt? Scheinbar blieben Unsterbliche gern unter sich. Aber sollten die Engel nicht in Alliandoan sein?
»Nach dem Clash wurden unsere Welten härter, zum Teil auch grausamer. Alle waren nur noch auf ihren eigenen Vorteil und ihr Überleben aus. So wurden die Schwächeren unter uns vergessen…
Und ausgegrenzt. Die Engel, also wir … erkennen die Nephilim nicht an. Ihr Blut ist nicht rein und ihre Magie nicht so mächtig wie unsere. Meist haben sie gar keine Magie. Daher ist ihnen der Zutritt nach Alliandoan untersagt. Außer sie kommen, um zu arbeiten.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
Nick fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Haare, ehe er mich leicht gequält ansah.
»Ich fürchte ja.«
»Und das ist okay für dich?«, brauste ich auf und starrte ihn fassungslos an. Wenn ich in der Welt der Menschen eins gelernt hatte, dann, dass es nie gut ausging, wenn jemand über Rasse oder reines Blut sprach. Nie!
»Aber sie sind Engel!«
»Das sind sie eben nicht.« Nick sah mich seufzend an. »Hör mal, Lilly, ich weiß, das ist alles verdammt viel auf einmal. Unser System ist ganz anders als alles, was du kennst. Aber bevor du unsere Welten verurteilst, lerne sie erst einmal kennen, okay?«
Tief in Gedanken schwieg ich für einen Moment. »Dir ist bewusst, dass wenn alles, was du mir erzählt hast, wahr ist, ich eigentlich nach Anak gehöre, nicht wahr?«
»Niemals!« Nicks Augen verdunkelten sich gefährlich.
»Das ist heuchlerisch, Nick. Ich bin zur Hälfte Mensch, was mich zu einer Nephilim macht.«
»In der Theorie, ja«, erwiderte er zähneknirschend, »in der Praxis jedoch sprach ich von anderen unsterblichen Genen, die sich mit unseren Genen mischen. Wenn unsterbliche Gene sich vermischen dann harmonieren sie entweder miteinander oder sie kämpfen. Neue Spezies können entstehen. Im Falle