3. Barock1 (1600–1720)
a) Die literarische Reformation
Was Erasmus von Rotterdam befürchtet hatte, war eingetroffen: Die Reformatoren erwiesen sich als ausgesprochen kunstfeindlich.2 Sie schlugen mit ihren Bemühungen um die Erneuerung des Glaubens alle geistigen Kräfte in Bann und ließen keinen Raum für die Wiedergeburt der Künste in Deutschland. Im Gegenteil, die fanatische Zuspitzung im Streit zwischen den Konfessionen führte endlich zum Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), den nur ein Drittel der deutschen Bevölkerung überlebte.
Die humanistische Idee von der heiteren Entfaltung schöner Menschlichkeit ging unter in maßloser Verrohung der Sitten, in religiöser und in wirklich begründeter Daseinsangst. Der mittelalterliche Dualismus zwischen Gott und Welt polarisierte erneut das Weltbild und zerriss die Gemüter zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit, zwischen Seele und Leib, Glauben und Wissen, zwischen Todesangst und Lebenshunger. Dabei klang die Losung carpe diem kaum weniger angstgepresst als der Mahnruf memento mori.
In dieser Zeit innerer Zerrissenheit und äußerer Unordnung versuchten besonnenere Geister einen Rest menschlicher Würde durch Bemühung um ästhetische Formen zurückzugewinnen. Der schlesische Gelehrte und Diplomat MARTIN OPITZ (1597–1639) legte in seinem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) das Programm der Barockdichtung nieder. Diese erste deutsche Poetik3, die sich an bewährten Mustern der Antike orientiert, verwirft die damals verbreitete Fremdwörterei. Im Kapitel »Von der zuebereitung vnd ziehr der worte« mahnt Opitz zum Gebrauch des Hochdeutschen:
So stehet es auch zum hefftigsten vnsauber / wenn allerley Lateinische / Frantzösische / Spanische vnnd Welsche wörter in den text vnserer rede geflickt werden; als wenn ich wolte sagen:
Nemt an die courtoisie, vnd die deuotion,
Die euch ein cheualier, madonna, thut erzeigen;
Ein handvol von fauor petirt er nur zue lohn /
Vnd bleibet ewer Knecht vnd seruiteur gantz eigen.
Wie seltzam dieses nun klinget / so ist nichts desto weniger die thorheit innerhalb kurtzen Jharen so eingeriessen / das ein jeder / der nur drey oder vier außländische wörter / die er zum offtern nicht verstehet / erwuscht hat / bey aller gelegenheit sich bemühet dieselben herauß zue werffen / […].
Wichtiger als diese sprachreinigende Vorschrift ist die Regelung des Metrums4. Opitz stellt fest:
Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben [Länge] können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen / welche sylbe hoch [betont] vnnd welche niedrig [unbetont] gesetzt soll werden. Ein Jambus [
] ist dieser:Erhalt vns Herr bey deinem wort.
Der folgende ein Trochéus [
]:Mitten wir im leben sind. 5
Diese Regelung, die Sprach- und Versrhythmus aneinanderbindet, schließt zugunsten eines sinnvoll alternierenden Verses das bloße Silbenzählen der Meistersinger und die Senkungsfreiheit des Knittelverses aus (vgl. Kap. 2, Anm. 7 und 9). Ausgeschlossen bleiben zunächst auch die daktylischen Formen (
), Wörter wie ›Fingerchen‹, ›dreigliedrig‹ usw., die erst durch August Buchner (1638) wiedereingeführt werden.Anstelle des Hexameters empfiehlt Opitz den Alexandriner als Hauptversform. Dieser Vers, der seinen Namen von der französischen Alexanderepik des 12. Jahrhunderts hat, ist ein sechshebiger, jambischer Reimvers mit einer Zäsur nach der dritten Hebung. Die Zäsur legt es den Dichtern nahe, antithetische6 Halbverse zu bilden; z. B. Opitz:
Ich weiß nicht, was ich will || ich will nicht, was ich weiß.
Das mochte eine der barocken Zwiespältigkeit angemessene Ausdrucksform sein; Goethe lehnte den Alexandriner, der bis hin zu Lessing das deutsche Drama beherrschte, gerade wegen dieser sich aufdrängenden Dialektik ab.
Wegen der schulmeisterlichen Art seiner Poetik ist Opitz im 18. Jahrhundert überhaupt scharf kritisiert worden. Man mochte die aus der Antike übernommene Dreiteilung in einen niederen, einen mittleren und einen hohen Stil nicht mehr gelten lassen.7 Die Unterscheidung zwischen Tragödie und Komödie nach Tod oder Überleben des dramatischen Helden erkannte man bald als zu äußerlich. Die Festlegung, dass eine Tragödie immer eine Haupt- und Staatsaktion sein müsse, in der eine Standesperson als Held auftritt, wogegen der einfache Mann bestenfalls ein Komödienheld sein dürfe,8 wurde schließlich durch das Aufkommen des bürgerlichen Trauerspiels überholt. Zu seiner Zeit aber galt Opitz nicht grundlos als Autorität und vielseitiger Neuerer. Er hatte unter anderem mit seiner Dafne (1626) für den Komponisten Heinrich Schütz (1585–1672) das erste deutsche Opernlibretto geschrieben und mit der Schäfferey Von der Nimfen Hercinie (1630) die Schäferdichtung9 in die deutsche Literatur eingeführt.
Vielleicht hat das Buch von der Deutschen Poeterey durch seinen gelehrten Ton wesentlich zu der scharfen Trennung zwischen der gesellschaftlich gehobenen Dichtkunst und der schlichten Volkskunst im Stil des 16. Jahrhunderts (vgl. ↑) beigetragen. Doch die kulturellen Mittelpunkte waren im Barock nun einmal die Höfe der absolutistischen Fürsten, an denen sich gebildete Adlige und bürgerliche Gelehrte als Träger der literarischen Erneuerung in sogenannten Sprachgesellschaften zusammenschlossen.
Nach dem Vorbild der florentinischen »Accademia della crusca« (gegründet 1582) hatte Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen 1617 die erste deutsche Sprachgesellschaft gegründet. Die Vereinigung, die sich »Fruchtbringende Gesellschaft« oder »Palmorden« nannte, zählte in den vierziger Jahren die bekanntesten Dichter und Sprachgelehrten der Zeit zu ihren Mitgliedern: Harsdörffer, Moscherosch, Logau, Gryphius, Rist, von Zesen, Opitz; Tobias Hübner, August Buchner, Johann Georg Schottel u. a. bemühten sich im gesellschaftlichen Kreise Gleichgesinnter – aber nicht ohne Gelehrtenstreit – um die Reinerhaltung der deutschen Sprache von fremden Einflüssen.
Oft erwähnt man, dass die Sprachreiniger in ihrem Übereifer auch alte Lehnwörter ausmerzen wollten, dass sie Wörter wie ›Fenster‹ oder ›Nase‹ durch ›Tageleuchter‹ und ›Gesichtserker‹ ersetzen wollten. Doch sollte man über dieser Abwegigkeit nicht vergessen, dass ohne die Verdienste der barocken Sprachgesellschaften um Poetik, Grammatik und Lexikologie (›Lehre vom Wortschatz‹) der literarische Aufschwung im 18. Jahrhundert kaum möglich gewesen wäre.
b) Das Drama
Das barocke Schauspiel setzt die Tradition der Schuldramen fort, jener Stücke, die in den Gymnasien und Universitäten ursprünglich um der lateinischen Sprach- und Redeschulung willen aufgeführt wurden (vgl. ↑). Im Zuge der Gegenreformation gewann vor allem das prunkvolle Jesuitendrama an Bedeutung. Eines der erfolgreichsten Stücke dieser Art schrieb JAKOB BIDERMANN (1578–1639).
Bidermann, Professor für Rhetorik in München, später Bücherzensor in Rom, verband in seinem Cenodoxus (1602) das Motiv vom Teufelsbündler Theophilus mit der Gründungslegende des Kartäuserordens. In der Form des barocken Welttheaters mit allegorischen Verkörperungen himmlischer