Anmuthiger Jüngling.
Woferne Euchs beliebet diesen Abend noch mein Zimmer zu besehen, so lasset mir durch gegenwärtige Servante Antwort wissen. Adjeu! Eure affectionirte Dame
welche bey Euch heute Abend über Tische an der Ecke zur rechten Hand gesessen und manchmahl mit den Knie gestossen
La Charmante.
Und »in Hochteutscher Frau Mutter Sprache« berichtet der Grobian später: »Sie fraß mir vor Liebe der Tebel hohlmer bald die Schnautze weg.« – Die phantasievoll erschwindelten Reiseabenteuer sind dem indischen Großmogul gewidmet, dem Schelmuffsky bei einem Besuch die Buchführung in Ordnung gebracht hat.
4. Aufklärung (1720–1785)
a) Das neue Weltbild
Die Philosophie der Empiristen1 und Rationalisten2 verminderte auch in Deutschland allmählich den Einfluss dogmatischer Theologen auf das Geistesleben. Die seit Luther verbreitete Seelenangst, das dualistisch zerrissene Weltbild mit der durch den Religionskrieg unterstützten pessimistischen Weltverneinung und der bis zu Gryphius reichende Wunder- und Gespensterglaube wichen im Licht der Vernunft einem neuen Optimismus. Die im 17. Jahrhundert so vielgeschmähte Welt hielt man nun mit LEIBNIZ (1646–1716) für die »beste aller möglichen Welten«. Das Glücksstreben richtete sich jetzt auf das Diesseits, das Denken auf die Nützlichkeit. An die Stelle religiösen Bekehrungseifers traten vernünftige Belehrung und die Idee der Toleranz. Das zur Zeit des Erasmus von Rotterdam verlorengegangene Ideal der Humanität (vgl. Kap. 2b) begann sich im 18. Jahrhundert durchzusetzen. Am Ende der Epoche gab IMMANUEL KANT (1724–1804) die gern zitierte Begriffsbestimmung:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.3
Diese durch naturwissenschaftliche Erfolge gesteigerte Wertschätzung der Vernunft bedrängte zwar jede Orthodoxie, doch nicht die subjektive Herzensfrömmigkeit, die ebenso wie der Rationalismus auf dem Grundgedanken der Toleranz baute. Wie selbstverständlich fiel daher die Verteidigung des Glaubens den Pietisten zu, den Anhängern jener von Jacob Spener (1635–1705) ins Leben gerufenen Bewegung des deutschen Protestantismus, die sich zwischen 1670 und 1740 von der erstarrenden kirchlichen Institution löste, um in privaten religiösen Zusammenkünften, in sogenannten Konventikeln, einen bis zur Rührseligkeit gehenden Seelen- und Freundschaftskult zu pflegen. Man belauschte seine Seele nach inneren Gotteserlebnissen, die dann in schwärmerischer Erbauungsliteratur, in Autobiographien, Briefen, Tagebüchern und ähnlichen Formen als »Bekenntnisse einer schönen Seele« (Goethe) niedergelegt wurden.
Diese Geisteshaltung, in der man oft mehr eine Ergänzung als einen Gegensatz zum Rationalismus sah, ist später in säkularisierter Form unter dem Namen ›Empfindsamkeit‹ in die Literaturgeschichte eingegangen. Empfindsamkeit (1740–1780) macht das Gefühl zum Maßstab, meint das Aufgeschlossensein für innerseelische Regungen sowie die Bereitschaft und das Vermögen, empfundene oder beobachtete Stimmungen zu zergliedern und fein abgestuft wiederzugeben.
Für die deutsche Literatur der Aufklärungszeit waren die geistesgeschichtlichen Strömungen des Rationalismus, des Pietismus und der Empfindsamkeit von größerer Bedeutung als die stilgeschichtliche Entwicklung des Barock zum Rokoko4; denn die harmlose, spielerische Rokokodichtung (1730–1750) beschränkte sich in der Nachfolge des antiken Lyrikers Anakreon (6. Jh. v. Chr.) zu sehr auf das Lob der Liebe, des Weines und heiterer Geselligkeit.
b) Lehrgedicht und Lyrik
Die Vernunft, die sich vormals der theologischen Dogmatik zu beugen hatte, sucht am Anfang ihrer Freisetzung deistische Gottesbeweise.5 Wie der Philosoph Leibniz in seiner Theodizee (1710) versucht der Dichter BARTHOLD HEINRICH BROCKES (1680–1747) in der vielbändigen Gedichtsammlung Irdisches Vergnügen in Gott (1721–48) »den Schöpfer im Geschöpf« zu erkennen. Unablässig weist Brockes auf Schönheit und Zweckmäßigkeit in der Natur, um aus der Harmonie der Welt auf einen vernünftigen Schöpfer zu schließen. Er meint:
Wer also jederzeit mit fröhlichem Gemüt
In allen Dingen Gott als gegenwärtig sieht,
Wird sich, wenn Seel und Leib sich durch die Sinne freuen,
Dem großen Geber ja zu widerstreben scheuen.
ALBRECHT VON HALLER (1708–1777), der viel von Brockes lernte, schrieb nach einer botanischen Studienreise in die Berner Bergwelt das Lehrgedicht Die Alpen (1729). Das oft überarbeitete Gedicht in zehnzeiligen Alexandriner-Strophen mischt in den Erlebnis- und Studienbericht kulturkritische Gedankengänge und Stilzüge der Schäferdichtung. Haller öffnet seinen Zeitgenossen die Augen für die Schönheit des Schweizer Hochgebirges, das man bis dahin als abstoßend wild ansah, und stellt, Rousseau vorwegnehmend, das einfache Leben der Gebirgsbewohner über das bequeme naturferne Leben in den Städten. – Obgleich das Gedicht Vorbild klassizistischer Landschaftsschilderungen wurde, kritisierte Lessing im Laokoon (vgl. ↑) diese Art beschreibender Dichtung.
Dieselbe Kritik trifft das Lehrgedicht Der Frühling (1749) von EWALD VON KLEIST (1715–1759), denn auch Kleist, der sich u. a. auf Haller beruft, verfährt nach dem Grundsatz »ut pictura poesis«6 und reiht auf einem Spaziergang hübsch geschaute Einzelbilder aneinander, ohne das betrachtende Gedicht durch eine Handlung zu einer Einheit zu verknüpfen. Dennoch fand die gefühlvolle idyllische Verklärung des Landlebens und der Natur wegen des damals noch ungewöhnlichen Hexameters7 außerordentliche Beachtung.
Den Höhepunkt gefühlvoll beschaulicher Naturbetrachtung bilden SALOMON GESSNERS (1730–1788) Idyllen (1756). Geßner, der auch Landschaftsmaler und hervorragender Kupferstecher war, fand: »Es ist eine der angenehmsten Verfassungen, in die uns die Einbildungs-Kraft und ein stilles Gemüth setzen können, wenn wir uns mittelst derselben aus unsern Sitten weg, in ein goldnes Weltalter setzen.« Dementsprechend malen seine Idyllen (vgl. Kap. 3, Anm. 20) in wohllautender Prosalyrik paradiesische Landschaften, in denen sanftmütige Hirten und schöne Schäferinnen mit griechischen Namen in völliger Übereinstimmung mit einer gartenähnlichen Natur leben. Aus den abgerundeten, fein stilisierten Visionen weht der Geist der griechischen Dichter Theokrit und Longos. Schiller, der an der Form der Idyllen die Vereinigung von Natur und Geist schätzte, bedauerte zugleich ihr elegisches Moment.8 Die Idyllen, sagt er, »stellen unglücklicherweise das Ziel hinter uns, dem sie uns doch entgegenführen sollten, und können uns daher bloß das traurige Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der Hoffnung einflößen«.
Nicht weniger wirklichkeitsfern als Geßner in den rückwärtsgewandten Idyllen sind die Anakreontiker HAGEDORN (1708–1754), GLEIM (1719–1803), Uz (1720–1796) und GÖTZ (1721–1781), die in leichten, unverbindlichen Liedern Freundschaft und heitere Geselligkeit preisen. – Hagedorn gab den Anstoß:
Ihr Dichter voller Jugend,
Wollt ihr bei froher Muße
Anakreontisch singen,
So singt von milden Reben,
Von