Charakteristisch für den Horrorfilm ist, dass das Böse, der eigentliche Antagonist im Mittelpunkt steht und oft Kultcharakter erwirbt: Ungeachtet des Titels geht es bei Frankenstein nicht um den ›Mad Scientist‹, sondern um das von ihm geschaffene Monster. Ganz ähnlich Dracula, die Mumie, Jekyll/Hyde, das Phantom der Oper, Michael Myers, Jason Voorhees, Freddy Krueger, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. »Horrorfilm, das ist immer auch ein Kino der Außenseiter, ein Kino auf Seiten der Vergessenen, der Seltsamen, der Dubiosen« (Hans Schifferle). Sie verkörpern das schlechthin Andere, Fremde und damit Unheimliche, weshalb sie auch oft ausländische Namen wie Caligari und Cesare (Das Cabinet des Dr. Caligari, 1919), Dracula, Nosferatu, Hjalmar Poelzig (The Black Cat / Die schwarze Katze, 1934), Irena Dubrovna (Cat People / Katzenmenschen, 1942) oder überdeutlich Murder Legendre (White Zombie, 1932) tragen. Eine Tradition, die von den seriellen Bösewichtern Jason Voorhees (Friday the 13th / Freitag der 13., 1980) und Freddy Krueger (A Nightmare on Elm Street) wieder aufgegriffen wurde. Schauspieler wie Boris Karloff, Bela Lugosi, Vincent Price, Christopher Lee sind als Bösewichter zu Kult-Stars mit einer großen Fan-Gemeinde geworden. Der positive Held und Retter fällt dagegen ab, bleibt bis auf wenige Ausnahmen blass und vermag sich nicht in unsere Phantasie einzuschreiben. Keiner erinnert sich an Sam Loomis, jeder jedoch an Norman Bates. Ein Sonderfall sind die ›Scream Queens‹ als Opfer mit Starqualitäten. Eine Ausnahme von der Regel, die sich in den neunziger Jahren zum Trend verstärkte, als in einem Paradigmenwechsel nicht mehr wie einst die – männlichen – Monster- und Täterdarsteller in der Nachfolge von Karloff, Lugosi und Lee zum Star wurden, sondern die – weiblichen – Opfer, Verfolgten und ›Final Girls‹ wie Neve Campell, Sarah Michelle Gellar, Courtney Cox, Jennifer Love Hewitt und Asia Argento.
In der Filmkritik, auf wissenschaftlicher Ebene und vor allem gesellschaftlich hat das Horrorgenre den denkbar schwersten Stand. Seine Werke werden nach verschiedensten Theorien und Methoden analysiert, immer wieder gerne psychoanalytisch und feministisch, bösen Verrissen sowie moralischen Verdikten ausgesetzt und zensiert, verstümmelt, verboten, denn unentrinnbar haftet ihnen der Ruf an, ästhetisch minderwertig und moralisch verderblich zu sein. Ersteres Urteil manifestiert sich darin, dass der Horrorfilm in klassischen Filmgeschichten im Vergleich zu anderen Genres deutlich unterrepräsentiert ist. Der Ausgleich erfolgt durch eine Unzahl von spezialisierten Festivals, Fanzines, Genrepublikationen und -zeitschriften wie Fangoria oder Splatting Image, wie sie kein anderes Genre kennt. Der zweite Vorwurf führt dazu, dass der Horrorfilm immer wieder auf dem gesellschaftlichen Prüfstand steht und sich mit Klischees und Vorurteilen konfrontiert sieht, sein Umgang mit Gewalt fördere die Gewaltbereitschaft seiner Zuschauer und inspiriere Jugendliche zu Nachahmertaten. Traurige Berühmtheit erlangte der ›Zombie-Prozess‹ um einen 15-Jährigen, der nach dem wiederholten Ansehen von Friday the 13th maskiert wie Jason Voorhees seine kleine Cousine und eine Nachbarin mit einer Axt und einem Buschmesser schwer verletzte. Die Debatte über die Wechselbeziehung zwischen Horrorfilm und realer Gewalt erreichte einen neuen Höhepunkt, dem aus konservativer Sicht unbequemen Filmgenre wurde eine Mitverantwortung zugeschrieben, die sich schuldmindernd für den Täter auswirkte. Das Genre reagierte auf das heikle Thema offensiv, bezog aber deutlich Stellung: In Scream 2 gibt Wes Craven dem Mörder das Tatmotiv, Film und Fernsehen öffentlich dafür verantwortlich machen zu wollen, dass er zu einem Monster geworden ist, lässt aber zugleich keinen Zweifel an der Verantwortung eines jeden Einzelnen für sein Tun.
Dieser hartnäckigen Ablehnung und Ächtung des Horrors steht die umso größere Liebe seiner Anhänger gegenüber. Die Geschichte dieses Genres ist immer auch die Geschichte seiner Fans, die kaum einem Genre so treu sind. Zugleich sind sie es leid, sich immer wieder für ihre Genrevorliebe neu legitimieren und gegen Vorverurteilungen als besonders gewalt-affin und asozial wehren zu müssen. Es ist immer noch nicht genügend akzeptiert, »dass in einer Person sowohl ein eigenes, nicht weiter zu rechtfertigendes Interesse an Bildern der Gewalt, als auch die Überzeugung Platz finden kann, dass ›Grausamkeit das Schlimmste ist, was wir tun‹ (Richard Rorty)« (Lau). Auch wenn Horrorfans in der großen Mehrzahl männlich sind, gibt es – entgegen früherer Positionen der feministischen Filmkritik – auch eine selten wahrgenommene weibliche Anhängerschaft, die eine »›subversive affinity‹ with the monster« (Cherry in Jancovich) auszeichnet. Ihre Vorliebe gilt zumeist dem Vampirfilm, während der Slasher das am wenigsten gemochte Subgenre ist.
Die für diesen Band herausgestellten Filme repräsentieren – bei aller unvermeidbaren Subjektivität und Reduktion der Auswahl – das Genre Horrorfilm in seinen Entwicklungen und verweisen wieder auf andere Genrewerke. Renommierte und Nachwuchs-Autoren gehen der Frage nach, worin bei dem jeweiligen Film das Spezifische des Horrors liegt. So wird Das Cabinet des Dr. Caligari explizit als – höchst einflussreicher – Horrorfilm rezipiert, da seine filmhistorische Bedeutung als Meisterwerk des Expressionismus lange Zeit genau diesen Blick verstellte. Der Film ist beispielhaft dafür, wie sehr nach den frühen Horrorwerken der Filmpioniere der deutsche Expressionismus das Genre inhaltlich und visuell grundlegend prägte und durch Emigranten wie Paul Leni, Karl Freund und Fritz Lang auch Hollywood beeinflusste. Mit Nosferatu gestaltete F. W. Murnau die erste bedeutende »Dracula«-Verfilmung, der Anfang der dreißiger Jahre Tod Brownings Dracula folgte und bis in die heutige Zeit unzählige weitere Bearbeitungen des Stoffes, die den Vampirfilm zu einem der vitalsten und facettenreichsten Subgenres machen. Überhaupt zählen die frühen dreißiger Jahre zu den produktivsten Phasen des Horrorfilms, als vor allem in Hollywood und den Universal Studios eine Vielzahl der stilbildenden Klassiker und Prototypen entstanden, neben Dracula Frankenstein und Dr. Jekyll and Mr. Hyde (beide 1931), White Zombie und King Kong. Obwohl sie heute teilweise veraltet und wenig beängstigend wirken, haben sie immer noch großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Genres, denn oft stellen sie als aus heutiger Sicht kindertaugliche Gruselfilme den ersten Kontakt mit dem Genre dar. Peter Jacksons Faszination für Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks King Kong führte beispielsweise dazu, dass er überhaupt Regisseur werden wollte. Dank des überragenden Erfolgs seiner Trilogie The Lord of the Rings ist er nun finanziell dazu in der Lage, sein lang gehegtes Traumprojekt einer opulenten Neuverfilmung von King Kong in die Tat umzusetzen.
Während des Zweiten Weltkriegs erlebte der Horrorfilm einen deutlichen Einbruch, galt er doch angesichts des realen Schreckens und Leides als unangemessen. In Großbritannien wurde er durch das British Board of Film Censors sogar regelrecht verboten. Der Produzent Val Lewton vermochte dem Genre jedoch neue Impulse und eine poetische Dimension zu geben: In seinem heute legendären elfteiligen Horrorzyklus für RKO mit Werken wie Cat People und I Walked with a Zombie ist das Schreckliche nicht vordergründig visuell präsent, sondern der psychologische Horror zwischen Mythen und Aberglaube kommt dank geschickter Verkürzungen und einer effektvollen Lichtdramaturgie in der Phantasie der Zuschauer zum Tragen.
Neben deutlich auf ein jugendliches Publikum spekulierenden Filmen wie I Was a Teenage Werewolf (Der Tod hat schwarze Krallen, 1957) sorgten in den fünfziger Jahren hingegen die tierischen Monster der ›Creature Features‹ für Furore und waren als Melange aus Horror und Science Fiction Ausdruck der Angst vor einer nicht mehr beherrschbaren Realität, die durch atomare Bedrohung, wissenschaftliche Experimente, Kalten Krieg und kommunistische Unterwanderung geprägt war. Der durch Strahlen mutierte Riesenaffe Godzilla (1955), wissenschaftlich manipulierte Wesen wie die giftige Riesenspinne Tarantula (1955) oder die urzeitliche Creature from the Black Lagoon (Der Schrecken vom Amazonas, 1954) reüssierten im B-Picture. Zeitgleich setzte Roger Corman auf als Farb- und Breitwandfilm opulent in Szene gesetzte Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen wie House of Usher (Die Verfluchten, 1960), obwohl die beste Adaption immer noch Jean Epsteins Stummfilm La chute de la maison Usher (Der Untergang des Hauses Usher, 1928) ist. Die britischen Hammer Studios propagierten seit Ende der fünfziger Jahre den gothic horror und schufen mit zahlreichen Neuverfilmungen wie Dracula eine eigene Marke, deren Wiederbelebung in Zuge der anhaltenden Horror-Renaissance angestrebt wurde, jedoch ohne an die früheren Erfolge anknüpfen zu können.