Enthielt Häxan trotz seines ernsten Anliegens komödiantische Elemente, so ist der in den USA gedrehte Seven Footprints to Satan eine Horrorkomödie. Christensen, der später für Hollywood mehrere Spukhauskomödien drehte, lieferte damit sein Meisterwerk ab. Lange galt der von First National Pictures produzierte Film als verschollen und war nur durch aufsehenerregende Fotos bekannt. Zum Glück ist er inzwischen wieder aufgetaucht und hat das Versprechen der Standfotos eingelöst: Er gleicht einer Geisterbahn, in der sämtliche Motive und Figuren des Horrorfilms temporeich zum Einsatz kommen, auch wenn Christensen im prüden Hollywood bei der Umsetzung seiner opulenten Phantasien vorsichtiger sein musste als in Schweden, wo er Häxan drehte. Der gelangweilte Millionärssohn James, der mit Kerzenschießen den Tag totschlägt, wird während einer Feier samt Freundin Eva entführt. Sie finden sich wieder in einem riesigen, alten Haus voller Geheimgänge, unterirdischer Verliese, verwinkelter Korridore, auf deren Wände bizarre Schatten fallen und Entsetzliches andeuten. Bewohnt wird es von Zwergen, die aus Geheimtüren hervortreten und wieder verschwinden, einem riesigen Mann auf Krücken, genannt »die Spinne«, sowie einem wilden Gorilla, wolfsartig behaarten Dienern und einer Femme fatale im hautengen schwarzen Kleid. Von überall dringen Hilfeschreie, Erschießungen finden statt, Nackte werden in dunklen Zimmern ausgepeitscht, Hände lebendig Begrabener greifen verzweifelt aus ihren Marmorsärgen, in einem großen Saal zelebrieren Maskierte eine Orgie. Zuletzt gelangt James in eine riesige Halle in modernem Design: den Tempelraum. In ihm befindet sich eine mit Leuchtziffern versehene Treppe, die die titelgebenden sieben Fußabdrücke aufweist. In letzter Sekunde entpuppt sich das ganze Horrorszenario als vom besorgten Onkel Joe inszeniert, der zusammen mit Eva den jungen Müßiggänger mit dieser Schocktherapie zu einem verantwortungsvollen Leben erziehen will.
Diese ernüchternde Auflösung mag den Film zwar – wie ein zeitgenössischer Kritiker anmerkte – vor der Zensur bewahrt haben, ist aber derart unbefriedigend, dass man sich wünscht, die letzten zehn Minuten des Films wären verschollen geblieben. Insgesamt wirkt Seven Footprints to Satan so, als habe Christensen seine Konzeption von Häxan nachträglich parodieren wollen: Das episodische Szenario aus dämonischen gefolterten Frauen, Freaks und Monstern, in dessen Mittelpunkt Satan persönlich steht, erweist sich als Kunstgriff eines engagierten Aufklärers. Der besorgte Onkel, der diese Hölle zwecks Therapierung seines Neffen inszeniert, ist letztlich ein verspieltes Selbstporträt des pädagogischen Regisseurs Christensen, der es sich in Häxan nicht nehmen ließ, Oberlehrer und Teufel zugleich selbst zu spielen. Bei ihm bedarf die Rationalität des Irrationalen, um ihr Ziel zu erreichen.
Harald Harzheim
Literatur: Fernand Jung / Claudius Weil / Georg Seeßlen: Der Horrorfilm. München 1977. – Hans Schifferle: Die 100 besten Horrorfilme. München 1994.
Nosferatu – eine Symphonie des Grauens
D 1922 s/w 84 min
R: Friedrich Wilhelm Murnau
B: Henrik Galeen, nach dem Roman Dracula von Bram Stoker
K: Fritz Arno Wagner, Günther Krampf
M: Hans Erdmann
D: Max Schreck (Graf Orlok / Nosferatu), Gustav von Wangenheim (Hutter), Greta Schröder (Ellen Hutter), Alexander Granach (Knock)
Es könnte harmloser nicht beginnen, was im Horror kulminiert: Die Biedermeier-Schönheit Ellen Hutter spielt mit einer kleinen Katze am blumenbestückten Fenster: ein Bildnis innigen Friedens, der Idylle abseits der Gefahren, die vom Eisgang der Geschichte drohen, scheinbar auch abseits des drohenden Verderbens, das aus einer tieferen Dimension hervorsteigt – und das schon die an der Aufklärung zweifelnde Romantik als das schauerlich Unheimliche bezeichnet hat, dessen man mit allen Erklärungsversuchen der Naturforscher nicht Herr wird. Der Gatte der verinnerlichten Nonnenseele ist das genaue Gegenteil: ein fröhlich derber Draufgänger und Naturbursche, geeignet fürs große Abenteuer. Ein solches erlebt er dann auch im Auftrag seines Chefs, des Häusermaklers Knock.
Nosferatu ist die erste bedeutende Adaption von Bram Stokers viktorianischem Schauerroman Dracula und etablierte das filmische Subgenre des Vampirfilms. Murnaus Film bevorzugt die Dämmerstunde, die der Wahrnehmung Grenzen setzt. Anders als die meisten Filme der Stummfilmära entstand er nicht im Studio, ist die bizarre Vampirburg in den Karpaten ebenso wenig ein Werk der Ausstattungskunst wie die Backsteinfassaden der Ostseestadt, die im Film dem Wisborg des Jahres 1843 zugeschrieben werden: Schon deshalb, weil Murnau sich die Buchrechte nicht gesichert hatte und Drehbuchautor Henrik Galeen angewiesen war, Stokers in London spielende Vorlage umzumodeln. So heißt Jonathan hier Hutter und Nina Ellen, der titelgebende Vampir Graf Orlok bzw. Nosferatu, rumänisch für ›der Untote‹. Renfield und Jonathans Chef verschmelzen zur Figur des Maklers Knock. Auffallend: der unerbittliche Vampirjäger van Helsing wird ausgeklammert, das Prinzip der Gegenwehr kommt zu kurz. Nosferatu wirkt dadurch ungleich mächtiger und unbesiegbarer, es scheint nur eine Möglichkeit zu geben, ihn zu vernichten, nämlich ihn in der Verschmelzung zu überwältigen.
Trotz dieser Veränderungen ging Bram Stokers Witwe gerichtlich erfolgreich gegen den Film vor, sämtliche Kopien mussten vernichtet werden. Zum Glück blieben Exportkopien erhalten, zudem war das Negativ bereits ins Ausland verkauft worden.
Unverändert bleibt der (Seelen-)Handel, den der ahnungslose Hutter in Knocks Auftrag betreibt, als er dem reichlich entfernt in Transsylvanien wohnenden Graf Orlok eine Ruine in Wisborg genau gegenüber seinem eigenen Haus verkauft. Die Mühsal der weiten Reise um ganz Europa herum nimmt der Vampir aus einem ganz anderen Grund auf sich: Ihn treibt Begierde, Liebe, beides in einem, die Sehnsucht nach Ellens schönem Hals, den er auf Hutters Medaillon mit ihrem Abbild erspäht hat. Da kommt Bewegung in den starren Sonderling, er ist auf einmal, für seine Verhältnisse jedenfalls, Feuer und Flamme und unterschreibt alsogleich den Kaufvertrag für die Wisborger Ruine.
Nosferatu erzählt aus changierenden Perspektiven – der eines beteiligten Zeugen oder eines Akten vorlegenden Archivars; sogar ein Buch über Vampire erweist sich als verlässliche Quelle –, um auf jeden Fall glaubwürdig zu erscheinen. Diese ironische Versicherung, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu berichten, ist ein alter erzählerischer Trick bei Fabeleien von unerhörten Begebenheiten. Bei Nahsicht ist sogar eine doppelte Geschichte zu unterscheiden: ein melodramatisches privates Drama zum einen und eine Schreckenschronik zum anderen. Die melodramatische Handlung: Hutter hat zu seiner jungen Frau zwar ein zärtliches Verhältnis, aber als leidenschaftlich Liebende nimmt man dieses kinderlose Paar, das einander keusch auf die Stirn küsst, nicht wahr. Da sie sich am Ende als unschuldige Frau erweist, die den Vampir den ersten Hahnenschrei vergessen macht, scheint sie ungeachtet ihrer Ehe sogar noch Jungfrau zu sein. Ellens Gefühle wirken seltsam zweideutig, es entwickelt sich eine merkwürdige, nur halb verschlüsselte Dreiecksgeschichte, verbindet sie doch mit Orlok eine eigentümliche telepathische Beziehung: So ruft Ellen den Namen ihres Mannes aus, als sich Nosferatu in seinem Schloss auf den in einen Schreckensbann versunkenen Hutter ›vergewaltigend‹ werfen will, um aus seinem Hals Blut zu saugen. Die Gier des Vampirs kennt keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, will man seinen Blutdurst als puritanische Verschlüsselung