A Chinese Ghost Story / Verführung aus dem Reich der Toten
Hellraiser – Das Tor zur Hölle
Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Register der Filmtitel
Einleitung
Die Lust am filmischen Horror ist ein Massenphänomen, das auf allgemeinmenschlichen Urängsten beruht, aber auch entscheidend in der Geisteswelt des 19. Jahrhunderts verwurzelt ist: Marx stellte die gegebene Ordnung in Frage und attackierte die gesellschaftliche Entfremdung des Individuums; Darwin begründete die Theorie vom »survival of the fittest« als antichristliches Motto des kreatürlichen Lebenskampfes; Nietzsche verkündete mit Gottes Tod den Zusammenbruch von religiösen und spirituellen Werten; Freud schließlich blickte ins Unterbewusste und fokussierte den Schrecken, der wir selbst sind. Diese vier Reiter der neuzeitlichen Apokalypse nahmen unserer Existenz die Sicherheit und führten sie so in die Moderne. In Wechselwirkung dazu griffen Literaten und Romanciers wie John Polidori, Charles Maturin, Mary Shelley, Bram Stoker, Edgar Allan Poe, Robert Louis Stevenson, H. P. Lovecraft oder Charles Brockden Brown in der Nachfolge der ›Gothic Literature‹ von Horace Walpole, William Beckford, Ann Radcliff und Matthew Lewis die Zeitströmungen und ihre jeweiligen zentralen Ängste auf und überhöhten sie literarisch auf der Grundlage alter Mythen, Legenden und Erzählungen aus aller Herren Länder. Damit legten sie den Grundstein für einen Großteil des Figuren- und Motivinventars und der Erzählmuster des Horrorfilms, denn obwohl dieser immer noch abfällig betrachtet wird, ist er doch im Grunde (hoch)literarisch geprägt. Vielleicht ist in dieser literarischen Tradition auch – neben den Produktionsgegebenheiten – ein Grund dafür zu sehen, dass der filmische Horror stark angelsächsisch geprägt ist, ohne hervorragende und erfolgreiche Filme anderer Provenienz damit in Abrede zu stellen. Die deutsche Schauerromantik beispielsweise hat keine vergleichbaren kinematographischen Folgen gezeitigt, wie auch der deutsche Horrorfilm immer vergleichsweise unbedeutend geblieben ist. Das Kino und seine Horrorvorlagen gingen eine enge Liaison ein – manchmal durch Bühnenadaptationen vermittelt –, auch weil sie verbindet, dass beide Kinder des 19. Jahrhunderts sind. Schon Filmpioniere wie Georges Méliès (Dracula und Le Manoir du diable, beide 1896), William N. Selig (Dr. Jekyll and Mr. Hyde, 1908), J. Searle Dawley (Frankenstein, 1910) und der große D. W. Griffith (The Avenging Conscience, 1914, nach Werken Poes) ließen sich von den literarischen Stoffen inspirieren.
In einem weiten, wirkästhetischen Verständnis meint Horrorfilm alles, was im Kino und auf dem Bildschirm beim Zuschauer gezielt Angst, Panik, Schrecken, Gruseln, Schauer, Ekel, Abscheu hervorrufen soll – negative Gefühle in all ihren Schattierungen. Während Suspense und Spannung dem Psychothriller eigen sind, ist diese Gefühlsskala – bei aller Relativität des Genrebegriffs (vgl. Jancovich) – konstitutiv für das Horrorgenre und schlägt die Brücke zwischen seinen beiden grundlegenden Tendenzen: den phantastischen oder übersinnlichen Erzählungen um Untote wie Vampire und Zombies, um Werwölfe und Katzenmenschen, Geister und Dämonen auf der einen Seite und auf der anderen Seite den in der Wirklichkeit fundierten Geschichten, die sich so zugetragen haben könnten, mit ihren menschlichen Monstren wie Peeping Tom Mark Lewis oder Psycho Norman Bates (beide 1960), Miss Giddens (The Innocents, 1961) oder tierischen Ungeheuern wie Der weiße Hai (Jaws, 1975). Gemeinsam demonstrieren sie, dass der Horrorfilm sich letztlich immer um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse dreht und die denkbar radikalste Negation einer heilen Welt ist. »Das Heimliche wird unheimlich, das Natürliche unnatürlich, das Menschliche unnormal, die Idylle gerät zum Chaos« (Heinzlmeier/Menningen/Schulz). Stephen King, der als meistverfilmter zeitgenössischer Horrorautor das literarische Erbe des 19. Jahrhunderts angetreten hat, versuchte sich an einer dreistufigen Nomenklatur des Horrorfilms: Der Schrecken existiert in der Imagination des Zuschauers, der Film selbst deutet nur an und suggeriert; Horror präsentiert sich visuell und konkret erfahrbar, wahrt aber Grenzen des guten Geschmacks, welche die Ebene des Ekels nicht mehr kennt, die stattdessen bis in die Extreme der Gewalt geht und die Auflösung des Körpers zelebriert.
Im Grunde hat King damit zugleich eine Kurzcharakteristik essentieller Etappen der Horrorfilmgeschichte skizziert, von heute auf viele Zuschauer harmlos wirkenden Schreckensfilmen wie Nosferatu – eine Symphonie des Grauens (1922) und I Walked with a Zombie (Ich folgte einem Zombie, 1943) über Filme wie The Exorcist (Der Exorzist, 1973) hin zu den Splatter- und Gorefilmen mit hohem ›Body Count‹ und den Slasherfilmen und Fun-Splattern à la Braindead (1991). Letztere eint, dass sie die Auflösung und Destruktion des Körpers thematisieren oder zelebrieren. Die extreme Körperlichkeit dieser Filme spiegelt sich auch in ihrer Begrifflichkeit, die auf blood and guts, ›Blut und Eingeweide‹, geronnenes Blut (engl. gore), herumspritzende (engl. to splatter) Körpersäfte und Innereien sowie auf aufgeschlitzte (engl. to slash) Leiber verweist.
Eine Ausnahme von dieser Angsterzeugung bilden die Genreparodien, die mit genau den Ängsten und Genre-Topoi spielen, sie aber, wenn sie ihren Gegenstand ernst nehmen, zugleich auch unterschwellig bedienen. Das unterscheidet beispielsweise Polanski gelungenen Dance of the Vampires (Tanz der Vampire, 1967) von Mel Brooks’ unterhaltsamem Klamauk Dracula: Dead and Loving It (Dracula – Tot aber glücklich, 1996): Nach vermeintlicher Rettung trägt der schrullige Professor Abronsius das Böse, das er eigentlich vernichten wollte, in Gestalt der Neu-Vampirin Sarah und seines von ihr gebissenen Assistenten Alfred erst in die Welt hinaus. Dasselbe gilt für den Kinder-Horrorfilm, der sich in Der kleine Vampir nach den berühmten Kinderbüchern von Angela Sommer-Bodenburg komödiantisch des Subgenres Vampirfilm ohne Altersbeschränkung bedient, während in den bislang drei Harry Potter-Verfilmungen (2001, 2002 und 2004) die Horrorelemente wie in den Romanen mit zunehmendem Alter des Protagonisten verstärkt zu Tage treten. Der von Tim Burton produzierte poetische Horrorfilm Nightmare Before Christmas (1993) wurde nur auf Grund seiner Eigenschaft als Puppentrickfilm als vermeintlich kindertauglich eingeschätzt. Wie die Kurzfilme Frankenweenie (1984) und Frankenstein Punk (1986), der Anime Chôjin densetsu Urotsukidôji (Legend of the Overfiend, 1989) oder ¡Vampiros en la Habana! (1985) beweist er, dass Horrorgenre und Animationsfilm kompatibel sind, auch wenn dies eher die Ausnahme darstellt.
Wie die schwarzen (Skelett-)Männer