Doch anders als im wirklichen Leben können wir uns im Film ganz dem Schrecken hingeben, ihn in seinen extremen Darstellungen regelrecht lustvoll genießen, sitzen wir doch sicher im Kino- oder Fernsehsessel und müssen keine negativen Auswirkungen auf unser Leben befürchten. Es herrscht ein heimliches Einverständnis zwischen Machern und Publikum, fernab wirklicher Gefahren und Bedrohungen Schauergefühle und Gänsehaut, Schrecken und Angst miteinander zu zelebrieren, den eigenen dunklen Seiten, unausgelebten Begierden, uneingestandenen Neigungen, größten Ängsten zu begegnen. Genau mit dieser Sicherheit spielt Scream 2 (1997), wenn ein Zuschauer, der sich die verfilmten tödlichen Ereignisse des ersten Teils im Kino anschaut, zwischen Popcorn und Cola von einem Killer in der berühmt gewordenen, zu einem Schrei verzerrten Maske ermordet wird.
Obwohl ihm immer wieder Ernsthaftigkeit und Tiefgang abgesprochen wird, verhandelt der Horrorfilm letztlich existenzielle Fragen über das Gute und das Böse, den Tod und ein Leben danach. Letztlich geht es immer um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, um Gewalt, die Rache der Natur und ihrer Kreaturen. Er dringt an die ungeahnten Grenzen der Realität, des Menschlichen, des Erträglichen vor. Stets geht es um nichts weniger als um eine letale Bedrohung, um Leben und Tod. Zugleich ist dem Genre aber auch ein wichtiges reflexives Moment eigen, das den Betrachter immer wieder auf sich selbst zurückverweist und ihn mit dem Bösen in sich konfrontiert, auch wenn dies nur mittelbar über die filmische Repräsentation geschieht. Wichtig dafür ist, dass im Gegensatz zu der immer komplexer werdenden Realität eines jeden Einzelnen die Welt des Horrorfilms ein überschaubarer Mikrokosmos ist, sei es die kleine Stadt Wisborg in Nosferatu, das unwirtliche Bates-Motel aus Psycho oder die doppelte Abgeschlossenheit des düsteren Herrenhauses auf der britischen Kanalinsel Jersey in The Others (2001), die idyllischen Kleinstädte in The Fog (1980) und A Nightmare on Elm Street (Nightmare – Mörderische Träume, 1984), das insulare Urlaubsparadies in Jaws, die experimentierfreudige Jungärzte-WG in Re-Animator (1985), der Wald des Blair Witch Projects (1999) oder im Extremfall der Mensch an sich, während der Makrokosmos unendlicher Sphären hingegen typisch ist für die Science Fiction. In dem überschaubaren Rahmen des Horrorfilms und der verabredeten geschützten Rezeptionssituation kann man sich dem hingeben, was sonst nur zu gerne verdrängt wird, und die kathartische Wirkung erfahren, die schon Aristoteles in seiner Katharsis-Theorie beschrieb. Denn Horrorfilm ist eine rituelle Entäußerung grundlegender Ängste, mit dem Ziel, diese zu distanzieren, zu kontrollieren und schließlich zu überwinden. Nicht zuletzt darin bestehen der Reiz und der Erfolg dieses Genres, das so überaus lebendig und vital ist, gerade weil es so viel mit uns selbst, den eigenen Ängsten und Abgründen zu tun hat. Eine Faszination, die regelrecht süchtig machen kann. Denn die Wirkung hält so lange an, wie der Film läuft, im besten Falle auch noch ein wenig darüber hinaus, aber dann ist der Zuschauer wieder auf seine eigene Verfassung zurückgeworfen. Bis zum Kauf der nächsten Kinokarte, bis zum Griff zu einer weiteren Videokassette oder DVD, schließlich hat kein Genre außer dem Sexfilm so viele Direct-to-Video-Produktionen hervorgebracht. Sie sind Teil des gänzlich eigenen und eigentümlichen Universums, das sich der Horrorfilm geschaffen hat wie sonst vielleicht nur das Erotikkino – schließlich ist mit beiden auch eine Menge Geld zu verdienen. Anders als beim Sciene-Fiction-Genre gelang es dem Horrorfilm, sich flächendeckend auszubreiten, sowohl auf der Produktions- und Distributions- als auch auf der Rezeptionsebene. Bis heute bedient er unterschiedlichste Qualitäts- und Kommerzstufen: Auf dem Jahrmarkt der Leinwandattraktionen tummeln sich sowohl Hollywood-Großproduktionen, Mainstream-Streifen und Independents als auch Low- und No-Budget-Filme, produzieren in Ehren ergraute internationale Zeremonienmeister wie John Carpenter und Wes Craven neben Shootingstars wie Robert Rodriguez und unermüdlichen Szeneund Undergroundfilmern wie Olaf Ittenbach und Andreas Schnaas, entstehen Filme mit höchster Bild- und Tonqualität neben verwackelten und schlecht ausgeleuchteten Feierabendproduktionen auf Video oder digitalen Trägern, bei denen nur die Leidenschaft ihrer Macher größer ist als der bei jeder Einstellung ins Auge springende Mangel an Geld. Nur der Sexfilm kennt eine ähnlich reiche Sub- und Amateurkultur.
Die Gefühle, die das Horrorkino beim Betrachter auslöst, sind aber ebenso extrem individuell, wie das, was sie hervorruft, äußerst zeitabhängig ist. Horrorfilme laufen daher stärker noch als andere Genrefilme Gefahr, schnell altmodisch zu wirken, weil beispielsweise Bela Lugosi als Graf Dracula heute keine Alpträume mehr hervorruft, King Kong die Zuschauer nicht wie einst aus dem Kino rennen lässt oder der berühmte Duschmord in Psycho keinen Schock mehr auslöst. Auf diese kritischen Halbwertzeiten reagiert das Genre fast zyklisch mit zahlreichen Remakes, Bearbeitungen klassischer Protagonisten und Themen sowie Fortsetzungen, Prequels, Ripp-offs und Spin-offs, die im Idealfall versuchen, qualitativ einen genuinen Schrecken für ihre Zeit zu erzeugen, im schlechtesten und leider häufigsten Fall jedoch rein quantitativ auf mehr Blut und Eingeweide sowie einen höheren ›Body-count‹ setzen. Gelungene Neuverfilmungen der Universal-Klassiker wurden in den fünfziger und sechziger Jahren zum Grundstein des britischen Hammer Studios, bevor John Badham und Francis Ford Coppola mit ihren Interpretationen von 1979 und 1992 das Genre bereicherten; Karl Freunds The Mummy (Die Mumie, 1932) wurde nach Terence Fishers Verfilmung für die Hammer Studios (Die Rache der Pharaonen, 1959) Ende der neunziger Jahre digital zu multiplem Leben erweckt, George A. Romeros Klassiker Dawn of the Dead (1977) kam 2003 unter der Regie des Videoclip- und Werbefilmregisseurs Zack Snyder in neuem Gewand daher, das Remake von Tobe Hoopers Skandalfilm The Texas Chainsaw Massacre (Blutgericht in Texas, 1974) ließ Ende 2003 die Hollywood-Kassen klingeln, vom Siebziger-Jahre-Erfolgsfilm The Exorcist steht ein Prequel ins Haus. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Damit erreicht das Horrorkino im Gegensatz zu anderen Genres eine so starke generische Geschlossenheit, Moden und Trends eingeschlossen, dass es wie ein Perpetuum mobile wirkt und – angetrieben von unseren Ängsten und Befürchtungen sowie einem alten Stoff-, Figuren- und Motivinventar – sich dreht und dreht. Und dabei nicht verkennt, dass letztlich jede Zeit ihren eigenen Schrecken hat, der sich in neuen Motiven oder Aktualisierungen niederschlägt. Diesem als Autor und Regisseur nachzuspüren und filmisch Ausdruck zu verleihen, nicht zuletzt das macht einen guten Horrorfilm aus. Im besten Fall reagiert das Genre höchst sensibel auf gesellschaftliche und kulturelle Prozesse und Veränderungen. Ergänzend dazu gibt es Figuren wie das Horror-Baby aus It’s Alive (Die Wiege des Bösen, 1973) oder Amando de Ossorios reitende Templer aus La noche del terror ciego (Die Nacht der reitenden Leichen, 1971), die ihrer Zeit verhaftet bleiben und keine eigenen Subgenres zu begründen vermochten, aber trotzdem ihren festen Platz in der Ikonografie des Genres einnehmen, wie beispielsweise in beiden Fällen die Anspielungen des Horrorfans Peter Jackson in Braindead und der Lord of the Rings-Trilogie (2001–03) demonstrieren.
Der Horrorfilm gilt wie Science Fiction und Fantasy als Teil des phantastischen Kinos. Neben den mehr oder weniger reinen Horrorwerken adaptieren andere Genres, vor allem der Thriller und Science-Fiction-Film, seit Jahren verstärkt Elemente des Horrorkinos, wie dieses sich ohne Hemmungen bei ihnen bedient, exemplarisch beim Western in John Carpenters Vampires (1998), bis hin zur Genre-Mischung wie in From Dusk till Dawn (1996) und zu einer grenzwertigen Nähe zum Thriller, Science-Fiction- und Märchenfilm – dass Grimms Märchen die ersten Horrorgeschichten sind, die wir als Kinder erzählt bekommen, schlägt sich in konsequenten Märchenverfilmungen wie Snow White: A Tale of Terror (Schneewittchen, 1997) oder in Motivanleihen wie bei Carrie (1976) nieder – und nicht zuletzt zum Sexfilm.