Schöne Ungeheuer. Wilfried Steiner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Steiner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701362929
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      So beiläufig wie möglich fragte ich:

      „In welcher Angelegenheit?“

      Eva wartete eine Weile, dann machte sie eine Art Robert-De-Niro-Gesicht und zeigte mit dem Finger auf mich.

      „Sie sind gut! Aber Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen das erzähle.“

      „Natürlich nicht.“

      Sie musterte mich ein paar Sekunden. Schien mit sich zu ringen.

      „Also gut“, sagte sie schließlich. „Nur, damit hier keine falschen Vorstellungen aufkommen. Es war weit weniger dramatisch, als Sie denken. Ich war seine Scheidungsanwältin.“

      „Seine was?“

      „Hat er Ihnen nie von seiner Scheidung erzählt?“

      „Nein.“

      „War eine ziemlich langwierige Sache. Hat ihn sehr mitgenommen.“

      Vor mir hatte er das gut verborgen. Dafür war ich ihm jetzt dankbar. Und dennoch: Vielleicht hätte ich ihm ja helfen können? Es gab Zeiten, da haben wir auch über persönliche Dinge geredet. Da war sie wieder, die leichte Melancholie, die mich befiel, wenn ich an unsere Vergangenheit dachte. Und die Wut über die Gegenwart.

      „Überzeugt Sie meine Antwort nicht?“

      „Doch, schon. Ich wundere mich nur, weil …“

      „Weil?“

      Ich zögerte.

      „Herbert hat mir gegenüber angedeutet, dass Sie ihm einen Gefallen schuldig seien.“

      Das war zu viel, ich registrierte es sofort. Augenblicklich schämte ich mich.

      Doch Eva legte nur den Kopf ein wenig schief und begann zu lachen.

      „Das kommt vor. Er verwechselt manchmal die Personalpronomina.“

      Ich lachte mit und bewunderte sie im Stillen dafür, wie sie die peinliche Situation gerettet hatte.

      Das Übliche war ein riesiger Erdbeerbecher, den der Ober vor Eva auf den Tisch stellte.

      „Also, fangen wir an.“ Sie nahm den langen Eislöffel und begann genüsslich, das Schlagobers Schicht für Schicht abzutragen.

      „Sie haben sicher auch Fragen, die meine Klientin betreffen.“

      „Ich verstehe so vieles nicht. Diese Frau, Jelena Karpova, hat doch gestanden, ihren Kollegen erstochen zu haben.“

      „So ist es.“ Eva schob sich eine große Erdbeere in den Mund.

      „Und Sie sind angetreten, sie zu verteidigen.“

      Sie nickte.

      „Aber was ist Ihre Strategie? Ich meine, wenn sie sich schuldig bekennt, worauf plädieren Sie? Mildernde Umstände?“

      „Es gibt viele Ungereimtheiten. Sie weigert sich strikt, über ihre Motive zu sprechen. Ich habe schon mehrmals auf sie eingeredet, ihr erklärt, dass sie dem Gericht sagen muss, wenn sie erpresst wurde oder sich bedroht gefühlt hat. Doch sie schweigt. Was bleibt, sind die Widersprüche zwischen Indizien und Geständnis.“

      „Vielleicht, weil es nichts dergleichen gegeben hat? Nur einen kaltblütigen Mord?“

      Eva schnappte sich den Strohhalm und sog die letzten Tropfen Erdbeerlikör aus dem Becher.

      „Dieser Frau traue ich nicht einmal zu, eine Ratte abzustechen.“

      „Doch aus welchem Grund sollte sie für eine Tat, die sie nicht begangen hat, freiwillig für Jahrzehnte ins Gefängnis gehen?“

      Den Becher drehte Eva nicht um, sie schob ihn einfach von sich weg.

      „Das genau versuche ich herauszufinden.“

      „Und welches Interesse haben Sie, mich da mit hineinzuziehen?“

      „Sie kennen doch Herbert und seinen berühmten Riecher für große Geschichten?“

      „Mehr als mir lieb ist.“

      „Nun, Jelena Karpova ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Ein Wunderkind. Sie war bei der Entdeckung des Higgs-Teilchens dabei und ihre Publikationen werden weltweit zitiert.“

      „Und wie komme ich da ins Spiel?“

      „Herbert meint, Sie seien ein ausgezeichneter Wissenschaftsredakteur. Weder der Untersuchungsrichter noch ich verstehen etwas von Karpovas Fachgebiet. Wir können gar nicht die richtigen Fragen stellen.“

      „Aber offensichtlich geht es doch nicht um die richtigen Fragen. Sie will keine Antworten geben, das ist das Problem.“

      Eva massierte mit Daumen und Zeigefinger ihre Augenlider.

      „Sie haben natürlich recht: Es ist gut möglich, dass wir gar nichts erreichen.“

      „Sag ich doch.“

      Sie hob den Kopf und schaute mich an:

      „Aber versuchen müssen wir es. Es ist mein Job, ihr zu helfen. Und Sie sind meine letzte Option.“

      „Weshalb ausgerechnet ich?“

      „Ich habe viel versucht. Verschiedene Wege, die üblichen Methoden. Ohne Erfolg. Jetzt hege ich die Hoffnung, dass wir hinter die Wahrheit dieses Falls gelangen, wenn wir mit Jelena auf einer fachlichen Ebene in Verbindung treten können.“

      „Sie überschätzen mich.“

      „Kann schon sein. Den Versuch ist es mir wert.“

      „Warum will sie überhaupt mit mir reden?“

      „Das wissen wir ja noch nicht.“

      Ich verstand nicht.

      „Warum wissen wir –“

      „Ich habe sie noch nicht gefragt. Ich brauche natürlich ihre Einwilligung.“

      „Sie haben sie noch nicht … Ich dachte, sie hat schon …“

      „Zugestimmt? Nein. Ich wollte zuerst Sie kennenlernen.“

      Ich begriff nur langsam, wie meistens.

      „Dann war unser Gespräch also eine Art Prüfung?“

      „Wenn Sie so wollen. Und ob es Ihnen gefällt oder nicht: Sie haben bestanden.“

      „Und wenn der Prüfling gar nicht bestehen will?“

      „Kommen Sie, Sie müssen doch zumindest ein bisschen neugierig sein. Sonst würden Sie gar nicht hier sitzen.“

      „Ich sitze hier“, sagte ich trotzig, „weil meine Zeitung mich dazu gezwungen hat.“

      Eva seufzte und schaute auf ihre Armbanduhr. Ich versenkte mich in die Betrachtung der gefiederten Schlange. Eine ungewöhnliche Arbeit. Sehr realistische Farben. Die Musterung des Körpers könnte einer Boa Constrictor nachempfunden sein. Die Flügel schillerten in Indigoblau, durchsetzt mit Türkisen …

      Da war sie verschwunden, die Schlange.

      Eva hatte sich ihre Jeansjacke wieder angezogen. Jetzt stand sie auf.

      „Also gut. Ich habe es zumindest versucht. Ich werde Herbert berichten, dass Sie nicht mit mir zusammenarbeiten möchten. Und dass wir unsere Idee daher vergessen müssen.“

      Ich hätte mich nun ganz einfach erheben können, ihr die Hand schütteln und ein paar Entschuldigungsformeln murmeln – schon wäre dieser Kelch an mir vorübergegangen. Den Wutausbruch von Herbert Schiller hätte ich entspannt über mich ergehen lassen, darin hatte ich Übung.

      Aber nein. Stattdessen sagte ich:

      „Moment … warten Sie …“

      Blitzschnell saß Eva wieder am Tisch.

      „Ich höre.“

      Es