Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: József Wieszt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991310266
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Sie spreizten die Beine, mussten an Schwanz und Ohren angehoben und in die Ställe hineingestoßen werden. Es war ein höllischer Lärm, der sich nur nach und nach legte. Vor Erschöpfung schwiegen Tier und Mensch schließlich still.

      Die Anführer beim Feuermachen hatten das Weite gesucht. Wir Kleinen wurden von den Erwachsenen zusammengesammelt und in die Häuser gebracht. Der Nachmittag ging so dahin, dass die Männer tranken und die Frauen sich aufregten. Es war schließlich Sonntag gewesen, und dann passierte so etwas. Als es dunkel wurde, schrien die „Anführer“.

      Die Wiest-Großeltern hatten, wie erwähnt, zwei Weingärten, einen hatte unsere Oma von ihrem Vater erhalten und als Mitgift in ihre Ehe eingebracht. Das Grundstück für den anderen haben sie gekauft und ihn selbst angelegt. Sie hatten auch zwei Weinkeller. Einer war beim Haus und einer in der Kellergasse in Perbál bei den Presshäusern (Es gab drei Kellergassen). Sie hatten pro Jahr 20 bis 30 Hektoliter Wein, 10 „Hekto“ guten für sich selbst und für Gesellschaften (Feiern, Besuche) und zwanzig „Hekto“ (Trunkwein) für die Arbeiter. Das waren solche, die in der Landwirtschaft mithalfen (Nachbarschaftshilfe) oder bei der Weinlese. Der Großvater trank täglich einen Liter guten im Keller, und 1,5 Liter Trunkwein nahm er mit nach Hause. Den trank er wohl in der Regel auch noch.

      Es ist im Weingarten. Mit ihren Scheren schneiden Erwachsene und junge Burschen und Mädchen die reifen Trauben von den Stöcken. Wir Kinder, mein Bruder und ich und vielleicht auch ein paar aus der Nachbarschaft, liegen auf einer Decke im Schatten eines Pfirsichbaumes und beißen in reife Früchte, der Saft tropfte uns auf die nackten Schenkel. Die Fülle des Geschmacks, der schwere aromatische Duft betäuben uns fast. Wieder ist es dieser intensive Geschmack und Geruch dieser reifen Früchte, der mir den tiefsten Eindruck macht. Das ganze Bild hat etwas vom Paradies. Die Fülle der Farben und Düfte, das fröhliche laute Treiben der Großen, der kühle Schatten in der großen Hitze und das kalte Wasser aus dem „Tschutter“, einer emaillierten Blechflasche, aus der uns die Frauen von Zeit zu Zeit zu trinken geben.

      Die Pause dann, die „Jaosn“, zu der sich alle um eine ausgebreitete Decke versammeln. Sie schneiden dicke Stücke von einem großen Weißbrot. Die Männer und Burschen essen Paprikaspeck dazu, „an papperten Speick“ und beißen herzhaft in eine geschälte Zwiebel. Die Frauen und jungen Mädchen essen Schmalzbrote und ein Stück geräucherte, trockene Wurst dazu. Obst isst außer den Kindern kaum jemand. Mitten in diesem Paradies von Früchten essen sie kein Obst, v.a. die Männer. Das ist auch in Deutschland so geblieben.

      Ich erinnere kaum andere erwachsene Männer in dieser Szene, nur meinen Großvater sehe ich ganz deutlich. Er hat die übliche Tracht der Männer an, lange schwarze Hosen, schwarze Lederstiefel und ein weißes Hemd mit einer schwarzen Weste. Der schwarze Janker ist ausgezogen, es ist zu heiß. Vorgebunden hat er eine blaue Arbeitsschürze, „a Fiedde“, ein Vortuch, mit einem Latz vor der Brust. Ein Band geht um den Hals, und hinten ist es zusammengebunden. Die Frauen haben helle Baumwoll- oder Leinenröcke mit sommerlichen Mustern an. Nur die alten Frauen tragen ihre schwarze Tracht. Alle tragen trotz der Hitze mehrere Röcke übereinander, das ist im Dorf so üblich. Darunter haben sie im Sommer sonst nichts mehr an. Die Röcke sind geschürzt, hochgebunden. Die kräftigen weißen Waden und Knie sind frei. Sie gehen barfuß oder tragen flache Sandalen aus Maisstroh, das sind eher untergebundene Sohlen. Auch der dünne Trunkwein tut seine Wirkung, einzelne Frauen fangen an zu singen. Die anderen fallen mit ein, zögernd zunächst, dann singen alle, und je länger der Tag dauerte, desto feuriger und lauter werden die Lieder. Die Männer singen erst am Abend, im Presshaus, wenn sie einen tüchtigen Rausch haben.

      Zu meinen frühesten Erinnerungen gehören die an Weihnachten 1945 im Haus der Kopp-Großeltern. Wir Kinder saßen in der vorderen Stube und warteten. Die Stimmung war ängstlich angespannt. Die Großeltern – an die Eltern in dieser Zeit erinnere ich mich nicht – und die unverheirateten Schwestern unserer Mutter hatten uns gründlich auf das Ereignis eingestimmt. Waren wir brav gewesen, würde uns „die Lucie“ vielleicht etwas geben. Waren wir „schlimm“ gewesen, würde uns der „Krampus“ den „Orrsch“ verhauen. Das war am Tag der Heiligen Lucia, am 13. Dezember. Eine junge Frau mit einem Kranz auf dem Kopf kam herein und sang ein feines Lied. Neben ihr polterte und trampelte ein ganz in Schaffell gehülltes Wesen herum. Es war mit Ketten behängt, brummte, machte Krach mit Glocken und Rasseln und drohte uns Kindern. Es war der Krampus, ein wilder zottiger Geselle, der eine Art Schamanentanz vor uns aufführte. Sein weißes Schaffell hob und senkte er mit wilden Gebärden der Arme, wie ein großer unbeholfener Vogel, der erste Flugversuche macht.

      Ich stierte wie gebannt auf das Spektakel, starr vor Schrecken. Doch dann durchzuckte mich eine große Erleichterung. Es war nur eine Ahnung einerseits und doch auch eine große Gewissheit: Ich hatte in dem wilden Krampus meine Tante Resi erkannt. Sie war damals etwa sechzehn Jahre alt. Damit endete meine Angst aber nicht. Als der Krampus mich mit künstlich verstellter, tiefer Stimme ansprach: „Bisd Du aa olleweö brav gweist?“, da brachte ich nur ein kaum hörbares „jo“ heraus. Krampus gab sich damit aber nicht zufrieden und hielt mir eine Reihe von Verfehlungen vor, die ich begangen haben sollte. Ich weiß nicht mehr, was es im Einzelnen war. Als die Aufzählung zu Ende war, musste ich mich bücken, und Krampus versohlte mich mit seiner Rute aus Reisig den Hintern. Aber er schlug nicht sehr fest, und es tat nicht weh. Es ist die Resi, es ist die Resi, ging es mir plötzlich durch den Kopf, oder richtiger: „As is die Resi, as is die Resi“, denn so dachte ich damals ja.

      Sicher ist, dass der Krampus und die „Lucie“ gemeinsam vor Weihnachten kamen. Zu Weihnachten brachte das „Christkindl“ die Geschenke. Mein Bruder und ich erhielten zusammen ein Schaukelpferd aus Holz, weiß lackiert mit aufgemalten schwarzen Flecken, einen Apfelschimmel mit rotem Zaumzeug. Auch als wir schon größer waren, erhielten wir beide zusammen nur ein Spielzeug. Und das bedeutete, dass mein Bruder es erhielt, der ein Jahr älter war als ich. Mir gab er es dann, wenn er keine Lust mehr hatte, damit zu spielen, ich musste in der Regel darauf warten.

      Das Christkind war ein etwa zehn Jahre altes Mädchen. Es trug ein langes weißes Kleid und sah sehr schön aus. Im Haar war ein Blumenkranz befestigt, vermutlich trug es auch einen Schleier vor dem Gesicht. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht gab es dieses Christkind auch gar nicht und ein Firmkind aus späteren Jahren geistert durch meinen Kopf. Aber doch, ein „Christkindl“ muss gewesen sein, wie könnte ich es denn sonst so deutlich vor mir sehen und seine leisen Glöckchen hören, die es an einer Schnur in der rechten Hand trug? Das waren die vorerst letzten Weihnachten in der Familie meiner Großeltern. Mein Vater war nicht dabei. Er hatte sich schon Richtung Österreich von der ungarischen Armee verabschiedet, um sich weiter zu den Amerikanern nach München durchzuschlagen, wo er in Kriegsgefangenschaft kam. Bis Weihnachten 1947 war er auch in Berghofen nicht dabei. Er hat es vorgezogen, in München bei einer Freundin zu bleiben. Insofern hat das Weihnachtsfest für mich nicht den verklärenden Erinnerungswert wie für Kinder aus anderen Familien.

      Wie lange schon Mais in Perbál angebaut wurde, weiß ich nicht. Diese indianische Brotfrucht hat sich in Europa relativ spät ausgebreitet, im 17. und 18. Jahrhundert vielleicht. In den Rang eines Brotgetreides ist der Mais auf dem alten Kontinent kaum aufgestiegen. Er war hier seit jeher Viehfutter oder „Armeleuteessen“. Auch in Perbál wurde Maismehl zu einem Brei verarbeitet, bei armen Leuten versteht sich. In Italien essen arme Leute in verschiedenen Gegenden bis heute einen steifen, spröden Maisbrei, die Polenta. In Perbál hieß der Maisbrei „Guckrutzmari“„. Guckrutz, in der Operettensprache „Kukuruz“ ist, ist in unserem Dialekt der Mais. An den Brei aus Maisgries kann ich mich noch gut erinnern. Er hatte einen etwas strengen Geruch und schmeckte salzig. Wir Kinder bekamen ihn vor allem im Sommer öfter, wohl als Alternative zum Grießbrei, der bei uns Grieskoch hieß. In Perbál wurde aus Maismehl kein Brot gebacken. Ich bin aber sicher, dass es Regionen in Europa gibt, in denen Maismehl dem Brotteig zumindest beigemengt wird. In Ungarn wird heute ein Weizenbrot