Raunen dunkler Seelen. Isabella Kubinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isabella Kubinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991079767
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andere Überraschung treffen. Kiral Theron liebt Spielchen, also lasst uns unsere ersten Züge setzen.“

      Zustimmendes Gemurmel erklang von allen Seiten. Nur Halvar, Aaron und ich sahen uns verwirrt an. Was sollte das nun schon wieder heißen? ‚Den ersten Zug setzen‘? Ich fühlte mich ja wie beim Schachspielen mit Ragnar. Vielleicht war das einfach eine Sache, auf die diese fremden Soldaten standen. Mit steifen Schritten gesellte ich mich zu meinen beiden Freunden. Ihre neugierigen Blicke schienen Löcher durch meinen menschlichen Körper zu fressen. Sie hatten mein Gespräch mit dem Anführer unseres überraschenden Rettungstrupps gesehen. Nun zappelten beide vor mir herum und platzten beinahe vor Neugierde. Nun, dies würde warten müssen. Für Erklärungen war gerade einfach keine Zeit.

      ***

      Seit Stunden, zumindest fühlte es sich für mich nach einer halben Ewigkeit an, wanderten wir schweigend durch die matschige Brühe hintereinander her. Ich sah kaum meine eigene Hand, deren steifen Finger sich krampfhaft um das abgenutzte Heft meines Dolches krallten. Zurzeit hatte ich ihn mit der Spitze nach unten gerichtet, um meinen von der Dunkelheit verschluckten Vordermann nicht aus Versehen zu erstechen, doch wäre ich trotzdem für einen feindlichen Angriff mehr als bereit.

      Corvins Worte über das Spielchen spielen hallten gruselig durch meinen Kopf. Ich fühlte mich mehr wie in einer der alten Horrorgeschichten, die Reena und ich immer gemeinsam von reisenden Händlern erzählt bekommen hatten. Damals war es mir nie in den Sinn gekommen, dass Erwachsene derartig ticken würden, wenn es um die endgültige Ausschaltung der verfeindeten Kräfte ging.

      „Macht euch bereit!“, hallte die befehlshabende Stimme des morodekischen Kriegers von den feuchten Wänden ab. Es würden zwar sicher noch ein paar Abbiegungen auf uns warten, bevor wir aus diesem stinkenden Loch kriechen würden, aber dann wäre das Risiko zu hoch und unser Überraschungsmoment, wenn alles schiefginge, ungenutzt verstrichen..

      Wie jagende Panther stapften wir, darauf bedacht, so wenige Geräusche wie möglich zu machen, weiter durch die Dunkelheit. Was ein Ding des Unmöglichen zu sein schien, da jeder Schritt von einem ekelhaften Schmatzer begleitet wurde. Nur mit großer Mühe konnte ich mich davon abhalten, über den genaueren Inhalt dieser stinkenden Brühe nachzudenken. Ich zählte jede noch so kleine Biegung mit. Wenn es nötig wäre, würde ich Halvar und Aaron hier irgendwie wieder rausbringen. Auch wenn die fremden Soldaten bis jetzt keinen Grund für Zweifel an ihrer guten Tat geboten hatten, wollte ich Corvin und seinen Männern nicht bedingungslos vertrauen.

      Sieben Mal. Sieben Biegungen. Davon drei nach links und vier nach rechts. Ich wiederholte diese Zahlen wie ein altes Mantra. Zu sehr auf meine konzentrierten Gedanken fokussiert, prallte ich ungebremst in einen morodekischen Soldaten vor mir hinein. Statt mich darauf gereizt anzumaulen, beließ er es auf ein drohendes Knurren. Ich biss mir auf die Zunge, um keine Entschuldigung von mir zu geben. Erstens schickte es sich nicht für einen Prinzen, sich für seine Taten zu entschuldigen. Zweitens würde jedes gesagte Wort eine Chance zum Fliehen vernichten können.

      Wir waren endlich angekommen. Es dauerte keine fünf Wimpernschläge, als auch schon ein kleiner Spalt an der tropfenden Decke geöffnet wurde und uns etwas frische Nachtluft und schimmerndes Mondlicht geschenkt wurden. Mein Herz macht dabei wilde Freudensprünge. Unsere Freiheit war zum Greifen nahen und doch würde uns noch ein langer, komplizierter Weg bevorstehen. Zumindest konnten wir endlich diese bestialisch stinkenden Tunnelsysteme hinter uns lassen.

      Nacheinander erklommen wir die eiserne Leiter und hoben uns aus der unangenehm riechenden Kanalisation heraus. Ausgespuckt wurden wir dabei in einer abgelegenen, einsamen Gasse in einem der äußeren Stadtviertel. Selbst hier, weit entfernt vom modernen Machtzentrum, konnte man den ungeheuren Reichtum der Glasscherben Ebene spüren. Die rötlich braunen Hausmauern waren säuberlich aneinandergereiht und von etlichen Balkonen drang der Duft blühender Rosen zu uns herab. Aus keinem einzigen Fenster schien Licht auf die leeren Gassen.

      Es war also mitten in der Nacht. Zwar neigte es bereits zu den frühen Morgenstunden, dennoch war es noch weit zu früh, um aus den warmen Bettlaken zu kriechen und sich auf den Weg zur Arbeit zu machen.

      „Kein Schnee? Wie ist das möglich? Hier sollte doch schon mindestens Ende Herbst sein?“ Aarons verwunderte Stimme legte sich wie ein tiefer Schatten über diese Erkenntnis. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Wir befanden uns hinter der eisigen Gipfelebene und selbst im sonnigen Katalynia könnten wir mittlerweile schon die letzten schneefreien Tage zählen. Dieses geheimnisvolle Land war mehr als nur merkwürdig und tief in mir drinnen machte sich das ungute Gefühl breit, dass uns Kiral Theron noch etliche Schwierigkeiten verschaffen würde.

      Geduckt schlichen wir nun über gepflasterte Wege weiter hinaus aus der schlafenden Stadt. Es schien mir nun zur unbewussten Gewohnheit zu werden, ungesehen verschwinden zu wollen. Nur lagen wir, oder zumindest meine beiden Freunde und ich, im klaren Nachteil, da wir nicht wirklich eine Ahnung von dem irrgartenähnlichen Aufbau von Calor hatten.

      „Sscht!“

      Wie auf ein Kommando verharrten wir alle in unserer an die raue Mauer gepressten Haltung. Gespannt hielt ich meinen Atem an und lauschte in die ruhige Nachtluft. Nichts. Falschalarm? Gut möglich, da wir unter extremer Spannung standen, würde selbst das Fiepen eines grauen Mäuschens für Aufregung sorgen. Ich nutzte den vorübergehenden Halt, um mit meinen zusammengekniffenen Augen die umliegenden Häuserdächer abzusuchen. Wieder nichts.

      „Weiter!“, drang Corvins Stimme an mein Ohr. Doch ich nahm unsere wieder in Bewegung gekommene Gruppe nur im Hintergrund wahr. Rehbraune Augen starrten mich unentwegt aus einem der gegenüberliegenden Fenster an. Ich hatte noch nie so viel Bedauern, Wut und Hoffnungslosigkeit auf einmal gesehen. Trotz Jebs Verrat an mir und meiner Familie, regten sich erwartungsvolle Gefühle in meiner kribbelnden Magengrube.

      Plötzlich veränderte sich Jebs emotionaler Blick in eine gefühlskalte Maske. Neben ihn gesellte sich ein dunkel gekleideter Soldat und richtete ein metallenes Rohr in unsere Richtung. Solch eine Waffe hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ja, die tödlichen Schusswaffen im Süden waren mir bestens bekannt. Doch ein derartiges massives Gerät verhieß nur noch mehr Zerstörung.

      „Runter!“ Ich hörte meine panische Stimme wie in einem furchtbaren Traum. Verwirrte Blicke musterten mich empört. Ich war schließlich nicht ihr Anführer. Wieso sollte ich meine Stimme in diesem befehlshabenden Ton an sie richten?

      Plötzlich ging alles ganz schnell. Ein explosiver Ton fraß sich in meine Ohren und hinterließ ein taubes Gefühl. Panik brach aus. Wildes Geschrei. Weitere Schüsse fielen, doch ich konnte mich einfach nicht vom Platz bewegen. Ich fühlte mich wie versteinert. Eingefroren durch den kühlen Blick des Mannes, der trotz seines miesen Verrates weiterhin Gefühle in mir auslöste, die mir den letzten Rest meines Verstandes und Überlebenswillens zu rauben schienen. Eine menschliche Salzsäule.

      Wie in Zeitlupe flogen die metallischen Geschosse an mir vorbei und durchbohrten jedes erdenkliche Material, das ihnen in den Weg kam. Je länger ich meine vor Enttäuschung triefenden Augen auf den ehemaligen Stallburschen richtete, desto mehr schien er eine undurchdringbare Mauer um sich selbst zu bauen. Es könnte auch alles nur reine Einbildung sein. Sehr wahrscheinlich wollte ich mir einfach nur einreden, Jeb hätte etwas

      Ähnliches für mich empfunden, wie ich für ihn. Ich war so naiv.

      Klebrige Finger schlossen sich um mein offenliegendes Handgelenk und navigierten mich durch den undefinierbaren Hagel aus tödlichen Patronen. Es glich schon einem Wunder, dass mein menschlicher Körper nicht wie eine hölzerne Zielscheibe durchlöchert wurde. Erst als ich durch den verkrampften Griff des Mannes zu Boden gerissen wurde, wurde mein Geist ebenfalls wieder in die grausame Realität zurückkatapultiert. Mein Blick wurde von Jeb weggerissen und die Sicht deutlich und klar.

      Fluchend rollte sich Corvin über das schmutzige Pflaster. Eine der metallischen Kugeln hatte seinen Oberschenkel gestreift und eine blutende Wunde hinterlassen. Eilig rappelte ich mich auf und schob mich hilfestellend unter seinen vor Schmerzen bebenden Körper. Dankend nickte er mir zu, während nun ich an der Reihe war, den schnellsten Weg außer Reichweite der unbekannten Geschosse zu finden.

      Immer wieder