Im Licht des Mondes. A. Cayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. Cayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745097511
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als hätte ich irgendetwas zu verbergen, dann meint er nur: „Du solltest mal auf deine Überstunden achten, Junge, und auch mal zur Abwechslung früher gehen und dich erholen. Siehst heute ziemlich scheiße aus.“

      „Wenn sein Sohn krank ist, kann man nun mal nichts machen. Die Familie geht vor“, erwidere ich hoffentlich noch lächelnd und wende mich ihm zu. „Und was hast du denn Schönes für mich?“

      Er mustert mich einen Augenblick mit hochgezogenen Augenbrauen, schüttelt nochmals seinen dunkelbraunen Schopf und bezeugt mir mit einer Geste ihm zu folgen.

      „Das wird ne lange Schicht heute, Junge. Das kannst du mir glauben. Wir haben noch einige Geräte fertig auszubeulen und zu lackieren.“ Wortlos folge ich ihm zu den zerbeulten Blechen, sammle meine Konzentration und gebe mich erneut der Arbeit hin.

      ***

      Meine Augenlider sind so schwer, sodass ich sie nicht öffnen kann. Erschöpft lasse ich sie geschlossen und lausche in den Raum hinein. In der Ferne höre ich ein leises Klirren, als würde jemand unentwegt Glas zu Boden schmeißen. Erneut versuche ich meine Augen zu öffnen, doch wieder habe ich keinen Erfolg. Vorsichtig taste ich mit der Hand um mich herum. Ich liege auf dem Rücken auf hartem Boden und es scheint, als wäre mein gesamter Körper festgeklebt. Leichte Panik steigt in mir auf und versucht, von mir Besitz zu ergreifen. Mein Herz fängt an, schneller zu schlagen, und ich stoße mich mit aller Gewalt von dem klebrigen Boden ab. Es fühlt sich an, als würde jemand beginnen, mich zu häuten, und leise schreie ich auf, als der Schmerz Überhand nimmt. Ich atme tief durch, japse nach Luft wie ein Ertrinkender, im Hintergrund stets das seichte Klirren von zerbrechendem Glas, eine chaotische Melodie spielend.

      Mein Herzschlag beruhigt sich, die Schmerzen glimmen ab. Jetzt versuche ich erneut, meine Augen zu öffnen. Wo bin ich? Was geht hier vor? Ganz langsam, Stück für Stück, schaffe ich es, meine Lider zu heben. Mattes Licht nimmt mich in Empfang, wie ein Vater seinen verloren geglaubten Sohn. Ich muss ein paarmal blinzeln, bis ich mich an die schummrigen Lichtverhältnisse gewöhnt habe. Mein Kopf gleitet langsam von links nach rechts: eine geschlossene braune Holztür, umrandet von blanken Wänden, sonst nichts. Schwerfällig richte ich mich gegen den Willen meines eigenen Körpers auf, der mich mit aller Kraft wieder zu Boden zwingen möchte. Gegen die Wand gelehnt bleibe ich ein paar Minuten lang stehen, riskiere es, die Augen nochmals zu schließen, um den Moment der Erholung auszukosten und neue Kräfte zu sammeln. Die Luft riecht stickig und verbraucht. Intuitiv möchte ich ein Fenster öffnen, doch es ist keins da. Mit wackeligen Beinen taste ich mich an der kalten Mauer vorwärts zur Tür, jeder Schritt ist ein Kampf. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich den kühlen, metallenen Griff in meine Hände nehmen kann. So leise wie möglich mache ich auf und luge in den unbekannten Raum hinein. Ein kleines, gekrümmtes Männchen steht vor einer riesigen Spiegelreihe und klopft mühselig Splitter heraus, die klirrend zu Boden fallen. Unter ihm ein Teppich aus kleinen Glasscherben, die traurig bei jedem seiner Schritte knirschen, als wollten sie schreien. Unsicher betrete ich das langgezogene Zimmer und sehe ihm zu, wie seine kleinen, gebrechlichen Hände angestrengt mit Pflock und Hammer die Spiegel zerstören. Die ganze Zeit über bemerkt er mich nicht. Ich fasse Mut und spreche ihn an.

      „Entschuldigen Sie … Was machen Sie da?“

      Das Männchen hält in seiner Bewegung inne und dreht sich auf der Stelle zu mir um. Ich erschrecke, als ich sein Totenkopf gleiches Gesicht sehe, welches nur mit einer dünnen Hautschicht überzogen zu sein scheint, um ihn lebendiger wirken zu lassen. Ein belustigendes Grinsen macht sich auf seiner Miene breit, als er mich von oben bis unten mustert.

      „Ich zerstöre Spiegel“, antwortet er mir flapsig mit arroganter Stimme und starrt mich unverändert an, als würde er auf etwas warten.

      „Warum zerstören Sie die Spiegel?“

      „Weil Sie keiner mehr braucht und damit sie keiner vermisst.“

      Das kahle Männchen dreht sich um und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Ich überlege kurz und ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Ohne den Blick von ihm abzuwenden, stelle ich die nächste Frage.

      „Was sind das für Spiegel?“

      Das Männchen entfernt weitere Stücke von den großen Spiegeln und dreht sich dieses Mal nicht zu mir um. Auf seinem schmalen Rücken sehe ich durch die dünne, schwarze Jacke seine Wirbelsäule, die sich hart vom Stoff abdrückt und die sich zu winden scheint wie eine lebendige Schlange.

      „Das sind gespeicherte Erinnerungen.“

      Ich schlucke. Meine Kehle wird staubtrocken. Aus Angst vor der nächsten Antwort balle ich meine Hände zu Fäusten.

      „Sind das … sind das meine Erinnerungen?“

      Das Männchen prustet verachtend auf.

      „Nein, du Trottel, dies sind die Erinnerungen anderer Leute – Erinnerungen AN DICH!“

      Ein polterndes Lachen entrinnt seiner Kehle und hallt im Raum wider. Verzweifelt springe ich vor, will ihm sein Werkzeug aus der Hand schlagen, doch bevor ich ihn erreichen kann, zerplatzen die Spiegel von selbst. Einer nach dem anderen, wie eine sich schnell verbreitende, tödliche Krankheit. Ich stolpere und knalle hart auf den Scherbenteppich auf. Einzelne Splitter bohren sich in mein Fleisch, lähmen meinen Körper vor Schmerz. Als ich aufsehe, steht das Männchen direkt über mir und grinst mir hämisch ins Gesicht.

      „Also … und wer bist nun du?“

      Ein Schrei entrinnt meiner Kehle und noch ehe ich mich versehe, sitze ich kerzengerade in meinem Bett. Mit weit aufgerissenen Augen blicke ich mich um, bis ich erkenne, dass ich nur schlecht geträumt habe. Mit laut pochendem Herzen wische ich mir den Schweiß aus dem Gesicht.

      „Es war nur ein Traum! Beruhige dich, Mick! Nur ein dämlicher, nichtsbedeutender Traum von vielen!“, beteuere ich mir unzählige Male. Doch es nützt nicht. Mein Puls möchte sich nicht so schnell beruhigen. Meine Kehle kratzt unangenehm und zwingt mich aufzustehen. Meine Beine fühlen sich so weich an wie warme Butter, als ich in die Küche wanke, um mir etwas zu trinken zu holen. Als ich die Milch aus dem Kühlschrank nehmen möchte, fällt mir diese aus der Hand und fliegt mit einem lauten Klatschen hinunter. Der weiße Inhalt verteilt sich über den Fußboden und bildet eine Lache. Kraftlos lasse ich mich auf die Knie sinken und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, die sich stürmend ihren Weg aus meinen brennenden Augen bahnen.

      Kapitel 5

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      Unzufrieden streife ich durch die eintönigen Straßen. Ein Leben ist zwar nicht gerade viel, dennoch ist es ein gutes Leben mit einer starken Aura, die ich in dieser Nacht für meinen Herrn erbeutet habe. Dennoch, eins sollte ich noch ergattern, wenn ich meinen Rekord halten möchte und das will ich. Nicht, dass ich sonderlich scharf auf das Lob und die Anerkennung bin, nein. So etwas habe ich nicht nötig. Allerdings möchte ich es diesem aufgeblasenen Dummkopf Moritz nicht gönnen, der Favorit meines Herrn zu werden. Ich brauche unbedingt noch ein menschliches Leben.

      Ich blicke mich im Schutz des alles umhüllenden Deckmantels der Nacht um. Die sogenannte Oststadt habe ich die Nächte zuvor schon abgegrast. Dort ist nicht mehr viel zu holen. Mein Blick schweift weiter nach Westen. Eigentlich ist dies nicht mein Jagdrevier, doch solange mich keiner der anderen Sammler sieht, wie ich ihre Beute wegnehme, kann es mir egal sein. Wer hält sich schon groß an Regeln? Behände überquere ich die unsichtbare Grenze und erkunde das fremde Gebiet, welches sich nicht wirklich von meinem unterscheidet. Hier sieht ein Weg aus wie der andere. Die ganze Stadt ist eine düstere, unförmige Masse.

      Gelangweilt passieren meine Augen die Häuserreihen auf der Suche nach einem offenen Fenster, während ich über die grauen Straßen schlendere. Geschickt weiche ich herumliegenden Dosen, Flaschen und Mülltüten aus, die sich mir immer wieder in den Weg stellen. Menschen sind doch wirklich primitive Wesen, die kein Mitleid verdienen. Lästige Plagegeister, die alles zerstören, was nicht ohnehin durch die Kriege zerstört wurde. Nicht einmal ihresgleichen verschonen sie, auf ihrer egoistischen Suche nach grenzenloser Macht