Im Licht des Mondes. A. Cayden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. Cayden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745097511
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habe ich mir in den letzten Jahren immer wieder selbst gesagt, dass es schlimmere Dinge gibt, als allein zu sein, doch es genügt nur ein kleiner Schubs und meine Mauer der Zufriedenheit gerät ins Wanken. Das ist schwach. Geradezu armselig.

      Zum Glück habe ich nun die Haltestelle erreicht und muss mich auf die unebenen Stufen konzentrieren, sodass für weitere Haarspalterei keine Zeit bleibt. Aufmerksam steige ich hinauf und genieße gleichzeitig die Stille, denn ich weiß, sobald ich die Straßenbahn betreten werde, wird es damit vorbei sein. Zu dieser Zeit sind die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt mit Halbstarken, die auf ihrem Weg in die Schulen und Ausbildungsstellen sind.

      Oben angelangt steht schon eine Gruppe von fünf Schülern am Bahnsteig und starrt mit gelangweilten Blicken durch die Gegend. Ich werde kurz taxiert, da wir uns allerdings jeden Werktag um diese Uhrzeit sehen, verlieren sie ihr Interesse an mir so schnell wie es gekommen war. Keine Konversation findet unter ihnen statt, nur die aggressiven Beats aus ihren kleinen MP3-Playern, welche sie sich lautstark in ihre Ohren zu dröhnen scheinen. Das Bild von langgesichtigen, blassen Aliens schiebt sich in meine Gedanken und ich kann den Vergleich nicht mehr aus meinen Kopf verbannen. Schnell wende ich meinen Blick ab und krame in meiner Umhängetasche selbst nach meinem veralteten MP3-Player, denn den werde ich gleich brauchen, wie mich ein leichtes Dröhnen in meinen Schläfen erahnen lässt. Vorsorglich verstaue ich diesen in meine Jackentasche und befestige die Ohrstöpsel an meinen Ohren. In diesem Moment ertönt das durchdringende Quietschen der bremsenden Straßenbahn. Ich behalte den kleinen Apparat griffbereit, warte kurz, ob jemand aussteigen möchte und betrete die Straßenbahn. Eine gewaltige Flut aus Geräuschen schwappt mir entgegen und reißt mich mit wie eine alles verschlingen wollende Flutwelle. Von allen Seiten prasseln Wortfetzen und Bruchteile von Melodien und Rappgesängen auf mich ein. Aus Gewohnheit halte ich dabei die Luft an, um das Unweigerliche hinauszuzögern und suche mir einen freien Stehplatz, der mehr am Anfang der Bahn liegt, um nicht ganz in dem Lärm unterzugehen. Es fühlt sich jedes Mal an, als würde man vergeblich gegen das Ertrinken ankämpfen. Stoßweise atme ich die angehaltene Luft aus und neue Luft ein, mit ihr den Gestank von verfaulten Eiern, ungewaschenen Körpern und Unmengen von verschiedenen Deos und Parfüms. Ich warte eine Weile, bis meine Nase sich an den penetranten Geruch gewöhnt hat und versuche kurz den Gesprächen der einzelnen Jugendlichen zu lauschen.

      „Das nächste Mal, wenn er muckt, Alter, dann hau ich ihm die Fresse ein! Aber so richtig, verstehste? So wie ich den kleenen Pisser aus unsrer Nachbarschaft alle gemacht hab. Ich sag dir, der hat dann nix mehr zu lachen!“

      „Männer stehen auf rote Schuhe, ehrlich! Denn rote Schuhe bedeuten, du bist bereit für Abenteuer. Das habe ich erst neulich gelesen und echt, es funktioniert! Jedes Mal wenn ich rote Schuhe anhabe, kann ich mich vor den Typen fast gar nicht mehr retten!“

      „Und dann hat die mir ihre Titten gezeigt, voll krass, Dicker! Ich sag dir, dann ging’s richtig ab! Ich hab’s ihr so …“

      Hastig drücke ich den Anschaltknopf meines MP3-Players und schalte mit einem Mal alle Geräusche um mich herum aus. Die Welt scheint einen kurzen Moment still zu stehen als die ersten Takte von „Join me in Death“ von „HIM“ erklingen. Ermattet schließe ich meine Augen, tauche in meine eigene Welt ab und vergesse alles um mich herum.

      ***

      „Hey Mick! Wie sieht’s mit ner Pause aus?“

      Als ich die vertraute, raue Stimme vernehme drehe ich meinen Kopf nach rechts und sehe direkt auf Jürgens Füße inklusive Waden. Ich überlege kurz, doch wenn ich heute pünktlich gehen möchte, um meine Einkäufe zu erledigen, dann muss ich die Pause durcharbeiten. Deswegen rolle ich mich nicht unter dem zu reparierenden Auto hervor, sondern bleibe, wo ich bin und antworte, ohne von meiner Arbeit abzulassen.

      „Danke, doch ich passe heute. Aber morgen wieder.“

      „Mmh … alles klar. Doch übernimm dich nicht. Pausen sind dafür da, um eingehalten zu werden, du kleiner Workaholic. Nicht, dass du uns irgendwann aus den Latschen kippst!“

      Ich muss kurz über seine Aussage lächeln, auch wenn er das nicht sehen kann, und erwidere knapp: „Keine Sorge, Unkraut vergeht bekanntlich nicht. Aber das müsstest du ja wissen.“

      „Hey, hey! Pass auf, dass dir das Auto nicht auf deinen Sturkopf fliegt! Die Jugend von heute, kein Respekt mehr vor dem Alter, tss!“

      Er klopft zum Gruß gegen den Wagen und entfernt sich dann mit schlurfenden Schritten in den Hof. Ich atme noch einmal auf, dann konzentriere ich mich wieder ganz auf meine Arbeit. Manchmal fühle ich mich wie ein Arzt in einer Klinik, nur dass ich keine lebendigen Patienten habe, sondern Autos und Motorräder. Sicher, die Werkstatt ist nicht wirklich sehr steril, aber so manch ein Krankenhaus ist das heutzutage auch nicht mehr.

      ***

      Nur noch fünf Minuten, dann habe ich es geschafft. Nicht, dass ich es besonders eilig habe, doch heute ist irgendwie nicht so mein Tag. Die Stunden haben sich wie Kaugummi gezogen und ich bin einfach nur noch müde und möchte meine Einkäufe schnell erledigen, damit ich mich daheim hinlegen kann. Ich stehe auf und beginne erleichtert, das Werkzeug zu säubern und einzuräumen. Aus den Augenwinkeln sehe ich Jürgen und Thomas miteinander tuscheln und ich weiß nicht warum, aber irgendwie macht sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Gerade als ich dabei bin, den grauen Werkzeugkasten zuzuklappen, kommt Thomas mit einem fragenden Gesichtsausdruck auf mich zu. Unsicher spielt er an seinem Schlüsselbund und ich warte geduldig, bis er endlich ansetzt zu sprechen.

      „Du, hör mal Mick, ich habe da ein kleines Problem. Ich sehe, du möchtest gerade gehen, aber …“

      Er stockt nochmals und blickt mich fast bettelnd an. Das ungute Gefühl bestätigt sich sofort.

      „Könntest du heute meine Schicht übernehmen? Ich weiß, du hast schon viele Überstunden und ich bin dir auch noch ein oder zwei Schichten schuldig, aber meine Freundin hat gerade angerufen und meinte, dass es unserem Sohn ziemlich schlecht geht. Er muss sich irgendetwas eingefangen haben. Ich würde gerne heim und ihn ins Krankenhaus fahren. Natürlich gibt es auch die Straßenbahn, aber mir wäre nicht wohl dabei, meine Freundin mit dem Kleinen allein rumfahren zu lassen, du verstehst?“

      Seine braunen Augen bohren sich in meine und unsicher fährt er sich mit seinen Fingern durch seine blonde Mähne. Thomas soll vor ein paar Jahren ein ziemlicher Schürzenjäger gewesen sein und ich weiß, dass er bei den Frauen immer noch sehr gut ankommt und wohl nicht lange nach einer Bettgefährtin suchen müsste, wenn er wollte. Umso bemerkenswerter finde ich es, dass er zu seiner Freundin steht, die er vor zwei Jahren leichtsinnig geschwängert hat, und, so wie ich bisher mitbekommen habe, sich sehr fürsorglich um seine Familie kümmert. Ich nicke ihm flüchtig zu und lächle beschwichtigend, wenngleich meine Augen vor Müdigkeit brennen und meine schweren Glieder nach meinem Bett geradezu schreien. Doch wenn es um die Gesundheit von Kindern geht, ist nicht zu spaßen, und ich kann seine Beweggründe sehr gut nachvollziehen. Ich an seiner Stelle, hätte meine Freundin und meinen Sohn auch nicht allein durch die Straßen ziehen lassen wollen. Zumal es nicht mehr lange dauern kann, bis es zu dämmern beginnt.

      „Hey, ist doch kein Thema. Wenn dein Sohn krank ist, geht das natürlich vor.“

      Seine Augen erhellen sich schlagartig und er klopft mir kurz dankend auf die Schulter.

      „Klasse, Mick. Danke, echt. Ich bin dir wirklich was schuldig, ehrlich Mann. Die nächsten Schichten übernehme ich bestimmt für dich … du rettest mir damit meinen Arsch!“

      „Passt schon. Fahr mit deinem Sohn ins Krankenhaus. Ich drück euch die Daumen, dass es nichts Ernstes ist.“

      Thomas nickt mir abermals zu und verschwindet dann mit schnellen Schritten mit Jürgen in der Umkleidekabine. Unmerklich seufze ich auf, nehme meinen Werkzeugkasten und gehe zur anderen Schichtgruppe. Jörn, ein hagerer Mann im mittleren Alter, sieht mich kopfschüttelnd an.

      „Übernimmst du schon wieder ne Schicht?“

      „Ja … für Thomas. Er muss heute früher raus“,