Der Duft der indischen Nelke. Nicolà Tölcke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicolà Tölcke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750206052
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fungieren die Riesen der Pyrenäen. Links ein

      One-World-Stand der Bergwelt. La Brèche de Roland! Als Karl der Große gegen die Sarazenen zu Felde zog, ebnete ihm sein Neffe Roland den Weg und schlug diese Bresche in die Gipfelkette; jedenfalls erzählt das die Sage. Rechts ist unter anderem der Pic du Midi d’Ossau. Schlappe 2.900 Meter hoch! Ich glaube, jetzt brauch‘ ich auch ´ne Kippe.“

      „Kann man denn sagen, dass dich dieses Ambiente hier in deiner Arbeit beeinflusst?“ Philipp fingert an seinem Recorder.

      „Kolossal! Zum Beispiel mein neues Projekt Lichtsinnlich dehnbarer Traum ist nur hier vorstellbar gewesen.“

      „Kommen wir doch mal zu den Anfängen deiner Karriere. Wie kam es denn dazu, dass Tabula Raza für den Song The Diamond Ian Gillan von Deep Purple begeistern konnte?“

      „Da bin ich nicht ganz unbeteiligt!“ Liane setzt ein kleines bisschen Schmollmund in Szene.

      „Stimmt, wir hatten uns gerade kennengelernt und nur ein paar Nächte zu erregenden Tagen umgestaltet, als wir an einem Montagabend zu einem Soundcheck im Sounds in Berlin waren. Der Chef des Ladens tobte, weil irgendetwas mit der Anlage nicht stimmte. Es pfiff über die Boxen, als hätte eine Kuh über einen Tonabnehmer am Hinterteil Dauerblähungen abgelassen. In dem Moment tauchten die Jungs von Deep Purple auf.“

      „Ian fuhr sofort total auf mich ab!“ Man merkt ihr an, dass sie das stolz macht. „Er versuchte alles Mögliche, um mich mit auf sein Zimmer einzuladen. Das habe ich für Hubert ausgenutzt. Hab‘ ihm verklickert, dass, wenn er bei The Diamond seine Stimme zum Einsatz bringen würde, wir uns natürlich wieder sehen müssten.“

      „Geile Story, Liane. Seid ihr denn noch mit Ian in Kontakt?“

      Ich gehe rüber zur kleinen Bar und besorge ein paar Gläser, Wasser und eine Flasche Ricard.

      „Hoffe, du trinkst ´n Gläschen mit uns? Ach, deine Frage, ja, ja, Ian war schon ein paar Mal hier. Vorletzten Monat war er mit den Leuten von Ange hier und hat bei uns im Studio ein Album mit dem wohlklingenden Titel L’évidence bornée du graphique de l’amour aufgenommen. Liane wird übrigens auch darauf zu hören sein. Sie musste auf einem Track ein paar mal Je te plais comme ça, t’as envie de moi ? hauchen.“

      Nachdem Philipp den Ricard abgenickt hat, gieße ich uns drei wohl bemessene Gläschen ein. Wir prosten uns zu.

      „Hubert, du hast vorhin etwas von einem Projekt Lichtsinnlich dehnbarer Traum erzählt. Kannst du dazu ein bisschen was sagen?“

      „Das ist ein Ultra-Mega-Ding! Tabula Raza goes Psycho! Wir haben dazu Richard Wright von Pink Floyd gewinnen können. Ein 25-Minuten-Song, der sozusagen akustisch einen LSD-Trip wiedergibt. Ganz exklusiv für dich ein paar Töne daraus.“

      Ich gehe zum Sideboard und schmeiße

      die TEAK-Vierspurmaschine an.

      „Kannst loslegen, Chéri, alle vier Boxen sind angeschlossen!“ Liane hat plötzlich rote Wangen. Der Ricard wirkt offenbar. Wir haben uns in Frankreich angewöhnt, uns gegenseitig in Chéri umzutaufen. Ich starte das Band an der Stelle, wo sie mit lasziver Stimme je mange du maïs schmollt.

      Draußen, hinter der majestätischen Kette der Pyrenäen, geht die Sonne unter und bei uns erobern die Klänge von Lichtsinnlich dehnbarer Traum das Terrain.

      „Auch abends macht ein Joint den Tag zum Freund, oder?“ Philipp sieht uns fragend an.

      „Philipp, das wäre schlecht für die Kondition! Ich habe noch eine kleine Überraschung, Surprise, wie man hier sagt, arrangiert.“ Liane geht zur Bandmaschine und stoppt sie. Daneben steht der Plattenspieler. Auf dem Teller liegt mit gelbem Etikett und türkiser Schrift Deep Purple In Rock. Witzigerweise ist laut Etikett die A-Seite auch die B-Seite. Mit anderen Worten bei der Plattenfirma Harvest wurde versehentlich auf beide Seiten des Vinyls das Etikett der B-Seite aufgeklebt. Aber keine Bange! Liane weiß inzwischen, welche der B-Seiten die A-Seite ist und lässt den Saphir auf den dritten Song der A-Seite niedergleiten: Child In Time!

      „Geht Musik orgiastischer?“, sagt sie nach einigen Tönen.

      Draußen wirbelt plötzlich ein Höllenlärm los. Ein Hubschrauber im Landeanflug auf den eigens für diesen Zweck arrangierten Platz oberhalb des Hauses.

      Eine Blonde, eine Rothaarige und eine Schwarzhaarige verlassen das gelbe Fluggerät. Liane nimmt sie in Empfang und zeigt ihnen den Weg zu uns.

      „Wir wollen uns doch heute einen ultrageilen Abend machen! Chéri, Philipp.“

      Gerda trägt ihre blonde Pracht schulterlang offen. Ich hätte gerne ihr luftiges Kleidchen mit den kleinen weinroten Rhomben auf grauem Hintergrund im Helikoptersturm wehen sehen.

      Mafalda gönnt uns einen verschmitzten Blick. Ihre bronzenen Locken schaukeln mit jedem Schritt. Das körpernahe, sandfarbene Top wird wie es sich gehört in der Taille von einem wilden, dunkelblauen Faltenrock gezähmt, auf dem sich gelb erblühte Rosen tummeln.

      Agnieszka ist ganz in Schwarz, und als habe sie sich mit Liane abgesprochen, bändigt eine Bananenfrisur ihre pechfarbene Mähne. Die Bluse gewährt alle Vorzüge, die auch Liane eigen sind, nur nicht in Weiß! Ihr Rock, der eines Oktopus‘ Ejakulation alle Ehre machte, lädt zum zählen von kleinen weißen Pünktchen ein.

      „Ist wohl Zeit für einen Champagner!“, findet sie.

      „Chéri, rechts in der Kühlschranktür der Veuve Clicquot. Ich kümmer mich um die Flöten.“

      Als ich in die Panoramastube zurückkehre, sitzen die Ladys auf dem roten Kanapee. Agnieszka, dann rechts Mafalda. Liane hat sich zwischen sie gemogelt, und nur Gerda hat niemanden zu ihrer Rechten. Auf seinem Stuhl allen gegenüber hockend wirkt Philipp etwas verschüchtert. Ich fülle die Flöten der Ladys und dann natürlich auch Philipps und meine.

      „À notre Santé, Mesdames.“

      „Skøl“, erwidert Gerda mit einer Stimme, die beruflich Obszönes am Telefon verklickern könnte.

      „Lieber Philipp, das ist jetzt ein privater Abend. Wir laden dich gerne dazu ein. Der Recorder muss jetzt aber verstummen!“ Liane nimmt den Zeigefinger ihrer rechten Hand und hält ihn senkrecht vor ihren Mund, der ein wenig Lipgloss getankt hat.

      Sie geht zum Plattenspieler und wechselt die Scheibe. Auf der Schallplattenhülle steht: Deutsche Grammophon Gesellschaft, Herbert von Karajan,

      Bach: Brandenburgische Konzerte

      Nr. 1, 2 & 3, Berliner Philharmoniker.

      „Wir verteilen nun Zahlen mithilfe eines Würfels. Agnieszka, fang an!“ Liane gibt ihr einen großen Würfel aus dunkelrotem Plüsch mit weißen Punkten.

      „Fünf!“ Sie gibt das Plüschteil an Mafalda weiter.

      „Eins! Jetzt bist du dran, Liane.“

      „Sechs! Und nun noch Gerda.“

      „Drei!“

      „So, Jungs, nun ist es an euch! Ihr würfelt euch jetzt die Ladys. Jeder von euch bekommt zwei.“

      „Fang an, Philipp. Du bist Gast!“ Ich reiche ihm den Würfel.

      Er scheint sich zu zieren.

      „Ist doch nur Spaß und Vergnügen! Du sollst sie ja nicht heiraten!“ Ich klopfe ihm auf die Schulter.

      „Okay, habe so was noch nie gemacht!“ Er würfelt.

      „Zwei! Und nun?“ Er schaut Liane an.

      „Würfel noch mal, Philipp.“

      „Sechs!“

      „Schlingel, hast du mich!“ Liane grinst. „Nun bist du dran, Chéri!“

      Ich schmettere das Teil gegen die Panoramascheibe. Es wirbelt zurück und bleibt liegen auf – fünf.

      „Okay, ich habe Agnieszka! Jetzt du noch mal, Philipp.“