Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188668
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Magd und ... eine Diebin!«

      »Du aber hast deine Schwester verkauft.«

      »Du lügst! Ich leide ohne meine Schuld und kann durch eine einzige Aussage ... verstehst du wohl, wer sie ist?«

      »Nun, wer?« fragte Schatow und trat neugierig an die Tür heran.

      »Verstehst du es auch wohl?«

      »Ich werde es schon verstehen; sage nur, wer sie ist!«

      »Ich habe den Mut, es zu sagen! Ich habe immer den Mut, alles öffentlich zu sagen! ...«

      »Na, du wirst wohl kaum den Mut dazu haben,« höhnte Schatow und winkte mir mit dem Kopfe, ich möchte zuhören.

      »Ich habe nicht den Mut dazu?«

      »Meiner Meinung nach hast du ihn nicht.«

      »Ich habe nicht den Mut dazu?«

      »So rede doch, wenn du nicht zu fürchten hast, daß dich ein Herr und Gebieter durchpeitschen läßt ... Du bist ein Feigling, und das will ein Hauptmann sein!«

      »Ich ... ich ... sie ... sie ist ...« stammelte der Hauptmann aufgeregt mit zitternder Stimme.

      »Nun?« Schatow hielt das Ohr hin.

      Es trat ein Stillschweigen ein, das mindestens eine halbe Minute dauerte.

      »Schu-schurke!« ertönte es endlich auf der anderen Seite der Tür, und der Hauptmann retirierte, wie ein Samowar schnaufend, schnell nach unten, wobei er auf jeder Treppenstufe geräuschvoll stolperte.

      »Nein, er ist schlau; auch wenn er betrunken ist, verplappert er sich nicht,« sagte Schatow und trat von der Tür zurück.

      »Was bedeutet denn das alles?« fragte ich.

      Schatow machte eine mißmutige Handbewegung, schloß die Tür auf und horchte wieder nach der Treppe hin; er horchte lange und stieg sogar leise ein paar Stufen hinunter. Endlich kehrte er zurück.

      »Es ist nichts zu hören; er hat sie nicht geschlagen; also hat er sich ohne weiteres hingeworfen und ist eingeschlafen. Es ist Zeit, daß Sie gehen.«

      »Hören Sie, Schatow, was soll ich denn jetzt aus alledem schließen?«

      »Ach was! Schließen Sie daraus, was Sie wollen!« antwortete er müde und verdrossen und setzte sich an seinen Schreibtisch.

      Ich ging weg. Ein sonderbarer Gedanke befestigte sich immer mehr in meinem Kopfe. Mit Sorge dachte ich an den morgigen Tag ...

      VII.

      Dieser »morgige Tag«, das heißt eben jener Sonntag, an welchem sich Stepan Trofimowitschs Schicksal unwiderruflich entscheiden sollte, war einer der merkwürdigsten Tage der Geschichte, die ich hier erzähle. Es war ein Tag der Überraschungen, ein Tag, an welchem frühere Knoten ihre Lösung fanden und neue sich schürzten, ein Tag greller Aufklärungen und noch ärgerer Verwirrungen. Am Mittag sollte ich, wie dem Leser bereits bekannt ist, meinen Freund zu Warwara Petrowna begleiten, und um drei Uhr nachmittags sollte ich bereits bei Lisaweta Nikolajewna sein, um ihr, ich wußte selbst nicht was, zu erzählen und ihr, ich wußte selbst nicht wobei, behilflich zu sein. Aber alles gestaltete sich in einer Weise, die niemand hatte voraussehen können. Kurz, es war ein Tag, an dem eine Anzahl von Zufällen wunderbar zusammentrafen.

      Es begann damit, daß wir, Stepan Trofimowitsch und ich, als wir bei Warwara Petrowna ihrer Bestimmung gemäß pünktlich um zwölf Uhr erschienen, sie nicht zu Hause trafen; sie war noch nicht von der Messe zurückgekehrt. Mein armer Freund befand sich in einer solchen Stimmung oder, richtiger gesagt, in einer solchen Zerrüttung, daß dieser Umstand ihn sogleich niederschmetterte; halb ohnmächtig sank er im Salon auf einen Lehnstuhl. Ich bot ihm ein Glas Wasser an; aber obwohl er ganz blaß im Gesicht aussah und ihm sogar die Hände zitterten, wies er dies doch würdevoll zurück. Ich bemerke beiläufig, daß sich sein Kostüm bei dieser Gelegenheit durch ungewöhnliche Eleganz auszeichnete: er trug fast ballmäßige gestickte Batistwäsche, ein weißes Halstuch und neue strohgelbe Handschuhe; in der Hand hielt er einen neuen Hut, und er hatte sich sogar ein ganz klein wenig parfümiert. Kaum hatten wir uns hingesetzt, als Schatow, von dem Kammerdiener geführt, hereintrat; offenbar war auch er offiziell eingeladen worden. Stepan Trofimowitsch schickte sich schon an, aufzustehen, um ihm die Hand zu reichen; aber Schatow drehte, nachdem er uns beide aufmerksam angesehen hatte, sich kurz um, ohne uns auch nur zuzunicken, ging in eine Ecke und setzte sich dort hin. Stepan Trofimowitsch blickte mich wieder erschrocken an.

      So saßen wir noch mehrere Minuten in völligem Stillschweigen da. Stepan Trofimowitsch fing an, mir etwas sehr schnell zuzuflüstern; aber ich konnte ihn nicht verstehen, und er selbst sprach vor Aufregung nicht zu Ende, sondern brach ab. Der Kammerdiener kam noch einmal herein, um etwas auf dem Tische in Ordnung zu bringen, wahrscheinlicher aber, um uns anzusehen. Plötzlich wandte sich Schatow an ihn mit der lauten Frage:

      »Alexei Jegorowitsch, wissen Sie nicht, ob Darja Pawlowna mit ihr mitgefahren ist?«

      »Warwara Petrowna sind allein nach dem Dom gefahren, und Darja Pawlowna sind oben in ihrem Zimmer geblieben; Fräulein sind nicht ganz wohl,« meldete Alexei Jegorowitsch feierlich und zeremoniös.

      Mein armer Freund warf mir wieder einen flüchtigen, unruhigen Blick zu, so daß ich mich endlich von ihm abwandte. Plötzlich fuhr an der Haustür eine Equipage vor, und eine entfernte Bewegung im Hause benachrichtigte uns, daß die Hausfrau zurückgekehrt sei. Wir sprangen sämtlich von unseren Plätzen auf; aber es begab sich wieder etwas Unerwartetes: es wurde das Geräusch vieler Schritte hörbar, woraus sich entnehmen ließ, daß die Hausfrau nicht allein zurückgekehrt war, und dies war wirklich einigermaßen sonderbar, da sie uns doch selbst diese Stunde bestimmt hatte. Zuletzt hörten wir, daß jemand mit ungewöhnlicher Schnelligkeit herbeikam oder geradezu lief; so konnte doch Warwara Petrowna nicht kommen? Und auf einmal kam sie ins Zimmer hereingestürzt, ganz atemlos und in höchster Aufregung. Hinter ihr folgte in einigem Abstande und weit ruhiger Lisaweta Nikolajewna und mit Lisaweta Nikolajewna Arm in Arm – Marja Timofejewna Lebjadkina! Wenn mir das geträumt hätte, so hätte ich es nicht einmal da geglaubt.

      Um dieses völlig unerwartete Ereignis zu erklären, muß ich eine Stunde zurückgreifen und ausführlich das ungewöhnliche Erlebnis erzählen, das Warwara Petrowna im Dom gehabt hatte.

      Zur Messe hatte sich an diesem Sonntage fast die ganze Stadt zusammengefunden, ich meine damit die höchste Schicht unserer Gesellschaft. Man wußte, daß die Frau Gouverneur zum erstenmal nach ihrer Ankunft bei uns in der Kirche erscheinen werde. Ich bemerke, daß bei uns schon Gerüchte im Umlauf waren, sie sei eine Freidenkerin und huldige »neuen Prinzipien«. Ferner war allen Damen bekannt, daß sie prächtig und mit außerordentlichem Geschmack gekleidet sein werde; und deshalb zeichneten sich die Kostüme unserer Damen diesmal durch besondere Eleganz und Kostbarkeit aus. Nur Warwara Petrowna trug wie immer ihr bescheidenes schwarzes Kleid; so war sie unveränderlich die ganzen letzten vier Jahre gegangen. Als sie in den Dom gekommen war, nahm sie auf ihrem gewöhnlichen Sitz links in der ersten Reihe Platz, und ein Diener in Livree legte ein Samtkissen für das Niederknien vor ihr auf den Fußboden; kurz, es war alles wie gewöhnlich. Aber man konnte bemerken, daß sie diesesmal während des ganzen Gottesdienstes besonders eifrig betete; man behauptete sogar nachher, als man sich alles ins Gedächtnis zurückrief, es hätten ihr die Tränen in den Augen gestanden. Endlich war die Messe zu Ende, und unser Bischof, Vater Pawel, kam heraus, um eine feierliche Predigt zu halten. Seine Predigten waren bei uns sehr beliebt und wurden sehr geschätzt; man hatte ihm sogar schon oft zugeredet, sie drucken zu lassen; er hatte sich aber dazu noch nicht entschließen können. Diesmal fiel die Predigt besonders lang aus.

      Und siehe da, als die Predigt schon begonnen hatte, fuhr beim Dome eine Dame in einer leichten Droschke alter Bauart vor, das heißt in einer jener Droschken, in denen Damen nur seitwärts sitzen können, sich an dem Leibgurt des Kutschers festhalten müssen und von den Stößen des Wagens wie ein Halm auf dem Felde im Winde hin und her schwanken. Solche Droschken fahren in unserer Stadt immer noch. Die Droschke hielt